Berlin. Am Dienstag soll die Ariane 6, ein europäisches Projekt, erstmals starten. Vor allem deutsche Hersteller machen es möglich.

Am Dienstagabend deutscher Zeit ist es soweit: Vom Weltraumbahnhof in Kourou soll die Ariane 6 abheben. Der Jungfernflug der Schwerlastrakete eröffnet den Europäern nach knapp einem Jahr wieder einen eigenen Zugang zum All. Richtigen Schub für das europäische Gemeinschaftsprojekt liefert Technologie aus Deutschland. Bei aller Vorfreude auf den Start: Besonders innovativ ist die Rakete nicht.

Die Ariane 6 löst die Ariane 5 ab, die zuletzt 2023 von Französisch-Guyana aus gestartet ist. Seither musste Europa seine Satelliten von anderen ins All schießen lassen. Denn die neue Rakete hat sich mehrere Jahre verzögert. „Europa braucht für seine Souveränität eine eigene Schwerlastrakete“, sagt Matthias Wachter, Raumfahrtexperte beim Industrieverband BDI. „Ein eigenständiger Zugang ins All ist von strategischer und gesamtwirtschaftlicher Bedeutung.“

Ariane 6: Bis zu vier Booster treiben die Rakete an

Die Rakete ist etwas größer als die Vorgängerin, hat einen Durchmesser von 5,4 Metern und wiegt beim Start mit Sprit und Nutzlast bis zu 870 Tonnen. In der kleineren Version ist sie 56 Meter hoch und mit zwei Boostern bestückt. Die große Version mit 62 Metern Höhe und vier Boostern kann mehr transportieren oder weiter fliegen. Insgesamt hat es seit 2015 rund vier Milliarden Euro gekostet, die neue Rakete zu entwickeln.

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Federführend ist ArianeGroup, hinter der der französische Triebwerkshersteller Safran und der deutsch-französische Flugzeugbauer Airbus stehen. Eingebunden sind Unternehmen aus ganz Europa, die meisten Teile stammen aber aus den beiden größten Esa-Geldgebernationen Frankreich und Deutschland. „Die deutsche Forschung und Industrie spielen im Gesamtpaket der neuen europäischen Trägerrakete eine Hauptrolle“, sagt Walther Pelzer, Chef der Deutschen Raumfahrtagentur am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Gut 21 Prozent liefern die Standorte von ArianeGroup in Bremen, dem baden-württembergischen Lampoldshausen und Ottobrunn bei München sowie MT Aerospace in Augsburg und Bremen – etwa Tanks, Brennkammern, Verkleidungen. Weitere 50 deutsche Firmen liefern zu.

Ariane-6-Triebwerke können mehrfach zünden

Ariane 6 besteht wie ihre Vorgängerin aus einer Hauptstufe mit Boostern, die die Rakete von der Erde fortbringt, und einer Oberstufe, die jene Stellen im All ansteuert, an denen die Nutzlast, zum Beispiel Satelliten, ausgesetzt werden soll. ArianeGroup in Bremen hat die Oberstufe neu entwickelt, vor allem die Triebwerke. Sie können mehrfach gezündet werden, die Oberstufe dadurch Lasten an unterschiedlichen Stellen im All absetzen.

Neu gebaut wurde auch auf dem Weltraumbahnhof. Die Ariane 5 haben die Techniker noch montiert und dann im Schleichtempo über mehrere Kilometer aufrecht zu ihrem Startplatz gefahren. Ihre Nachfolgerin wird stehend dort zusammengesetzt, wo sie abheben soll. Vor Tropenstürmen und Regen schützt eine Halle, die sich 90 Meter über die flache tropische Landschaft erhebt. Sie wiegt gut 8200 Tonnen und wird zum Start 120 Meter zur Seite gefahren.

Es gibt zwei Versionen der Ariane 6, die mit zwei oder vier Boostern ausgestattet sind.
Es gibt zwei Versionen der Ariane 6, die mit zwei oder vier Boostern ausgestattet sind. © AFP | EMMANUEL DUNAND

Halle und weitere Gebäude lieferte SEH aus Hannover. Eine Mainzer Tochter des Bremer Satellitenspezialisten OHB baute Starttisch und -turm der Ariane 6. Die Elektroanlagen stammen von RMT aus dem baden-württembergischen Kehl. Und die Mannheimer Actemium Cegelec steuerte die Betankungsanlage für Sauerstoff und Wasserstoff bei.

Nach 7 Minuten und 41 Sekunden kommt es zu kritischem Moment

Der Jungfernflug der Ariane 6 ist für Dienstag zwischen 20 Und 24 Uhr festgesetzt. Ein Computer steuert den Start. Zunächst zündet das Haupttriebwerk, sieben Sekunden später die Booster. Dann gibt es kein Zurück mehr. 2:16 Minuten nach dem Abheben werden die Booster abgetrennt. 7:41 Minuten nach dem Start der letzte, sehr kritische Moment: Die Oberstufe koppelt sich ab, die dann allein weiterfliegt. Nach knapp einer Stunde und sechs Minuten setzt die Oberstufe dann die ersten Satelliten und Tests aus. Nach gut zwei Stunden und 40 Sekunden werden zwei weitere Nutzlasten freigegeben. Danach stürzt die Oberstufe kontrolliert auf die Erde und verglüht.

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Großauftrag von Amazon

Die neue Rakete ist begehrt, unter anderem wegen der Flexibilität der Oberstufe. 28 Flüge sind bereits gebucht. Stolz ist die Esa besonders auf den Großauftrag des US-Handelsriesen Amazon, der mit dem Kuiper-Programm ein eigenes Netz von Kommunikationssatelliten um die Erde spannen will – Konkurrenz zu Starlink von Elon Musk.

Beim Erstflug sind noch keine großen Satelliten für Erdbeobachtung, Kommunikation oder das europäische Galileo-System, eine Art GPS, an Bord, sondern 17 kleinere Satelliten und Tests. So schickt der Raumkapsel-Entwickler The Exploration Company aus Weßling bei München einen Schutzschild, der wohlbehalten auf die Erde fallen soll. Das Experiment von Orbital Matters aus Berlin will 3D-Druck im All ausprobieren. Und die Trainees der Esa dokumentieren den kompletten Flug bis zum Verglühen.

Elon Musks Falcon 9 hat Vorteile gegenüber der Ariane 6

Trotz der Neuerungen ist die Ariane 6 nicht das Maß der Dinge. Das setzt SpaceX des US-Unternehmers Elon Musk mit der Falcon 9. 2023 startete sie fast 100 Mal. Für 2024 sind mehr als 140 Starts geplant. Die Ariane 6 dürfte auf zwei kommen. Die Amerikaner können so häufig abheben, weil die Falcon 9 wiederverwertbar ist. Von einer Ariane 6 dagegen verglüht das meiste in der Erdatmosphäre. Jedes Mal hebt eine neue Rakete ab. Entsprechend unterscheiden sich die Kosten für einen Start: umgerechnet um die 62 Millionen Euro bei der Falcon 9, geschätzt 100 Millionen Euro bei der Ariane 6. Immerhin ist sie schon rund 40 Prozent günstiger als ihre Vorgängerin.

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„Die Mitgliedstaaten der Esa sollten bereits jetzt nach vorn schauen und den Prozess für die nächste Generation starten“, sagt BDI-Raumfahrspezialist Wachter. Er fordert ein grundsätzlich neues Vorgehen. „Wir brauchen künftig mehr Wettbewerb unter europäischen Herstellern. Das Thema Trägerrakete muss entpolitisiert werden.“ Im Hintergrund rangeln Deutschland und Frankreich um Einfluss und Kontrolle.

Am Dienstag geht es erst einmal um einen reibungslosen Erststart der Ariane 6. Die Vorgängerin hob zwischen 1996 und vergangenem Jahr 117 Mal ab, war höchst zuverlässig. Das soll auch bei der Nachfolgerin so sein. Sollte der Start wegen widrigen Wetters oder technischer Probleme abgesagt werden, ist noch bis 15. Juli Zeit für einen neuen Termin. Sonst verzögert sich die Mission bis September, weil erst dann die geplanten Zielgebiete im All wieder gut erreichbar sind.