Berlin. Forscher haben ein Neandertalerkind mit Down-Syndrom ausgegraben. Sein Überleben zeugt von der sozialen Kompetenz der Neandertaler.

Heutzutage ist es selbstverständlich, sich um Kranke und Behinderte zu kümmern. Doch wie haben sich unsere frühen Vorfahren, die Neandertaler, in solchen Fällen verhalten? Die Überreste eines sechsjährigen Kindes aus der Höhle Cova Negra in Valencia könnten jetzt Antworten liefern.

Archäologie: Neandertaler-Kind mit Down-Syndrom entdeckt

Der Fund war ein Glücksfall. Mercedes Conde-Valverde und ihr Team von der Universität Alcala untersuchten im Rahmen einer Nachuntersuchung Neandertalerfossilien, die 1989 bei Ausgrabungen in der Höhle Cova Negra gefunden worden waren. Dabei fiel besonders ein Knochenfossil eines etwa sechsjährigen Kindes auf, das durch Computertomografie und den Vergleich mit anderen Fossilien als Neandertaler identifiziert werden konnte.

Die Knochen des Kindes wiesen auffällige angeborene Fehlbildungen wie eine verkleinerte Hörschnecke und einen verbreiterten seitlichen Bogengang auf, die dem Down-Syndrom ähneln. „Das einzige Syndrom, das mit der Gesamtheit der vorhandenen Fehlbildungen kompatibel ist, ist das Down-Syndrom“, wird Erstautorin Conde-in der Fachzeitschrift „Science Advances“ zitiert. Eine geplante DNA-Untersuchung soll bestätigen, ob das Kind das für das Down-Syndrom typische zusätzliche Chromosom 21 hat.

Anhand der Knochenveränderungen konnten die Forscher jedoch bereits auf zahlreiche Einschränkungen des Kindes schließen, darunter Kommunikationsschwierigkeiten aufgrund eines Hörverlusts sowie Gleichgewichtsprobleme, die das Laufen erschwerten. Trotz dieser Schwierigkeiten erreichte das Kind ein Alter von etwa sechs Jahren, was nach Ansicht der Archäologe für prähistorische Zeiten ungewöhnlich ist und auf eine intensive Pflege durch seine Mitmenschen hindeutet.

Historische Fälle zeigen, dass Neandertaler-Kinder mit ähnlichen Behinderungen oft nicht älter als 16 Monate wurden.

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Neandertaler-Kind überlebte dank gemeinschaftlicher Fürsorge

Bleibt die Frage, wie die Neandertaler das Kind mit Down-Syndrom versorgen konnten. Der Alltag der Frühmenschen war anspruchsvoll und von hoher Mobilität geprägt. Kaum vorstellbar, dass eine Mutter nebenbei noch Zeit für die aufwendige Pflege hatte. Conde-Valverde ist deshalb überzeugt: „Das war nur möglich, weil die Gruppe der Mutter kontinuierlich geholfen hat. Möglicherweise praktizierten die Gruppenmitglieder eine gemeinschaftliche und uneigennützige Pflege, die der modernen menschlichen Fürsorge ähnelt.

Damit stellt der Fund nach Ansicht der Forscher bisherige Annahmen infrage, wonach sich Neandertaler nur dann um Schwache kümmerten, wenn sie selbst davon profitierten. Gerade bei Kindern treffe dieses Argument nicht zu. Conde-Valverde betont zudem die Bedeutung des Fundes, da sich die Diskussion um die Fürsorge bei Neandertalern bisher vor allem auf erwachsene Neandertaler konzentriert habe. Zwar gebe es einen früheren Fund eines Neandertaler-Kindes mit einer Fehlbildung, der sogenannten Kraniosynostose, doch sei dort das Ausmaß der Behinderung und der Pflegebedarf nicht zweifelsfrei geklärt.

Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift „Science Advances“ veröffentlicht.

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