Ingolstadt. Die Flutkatastrophe in Süddeutschland hat neben Menschenleben auch zahlreiche Existenzen zerstört. Ein Besuch vor Ort.

Nach der Flut kommt die Ungewissheit – und die Verzweiflung. Zwei Jeeps pflügen am Montagabend durch die Wassermassen, die die kleine Ortschaft Pichl bei Ingolstadt überflutet haben. Es ist der vergebliche Versuch eines alten Mannes, sein Haus zu erreichen. Auch sein Auto fällt den Wassermassen zum Opfer, bleibt in der stoßstangenhohen Brühe stecken. Ein Retter in gelber Anglerhose zieht den tattrigen Mann an Land. Ihm bleiben nicht mehr als seine durchnässten Kleider am Körper.

Ein Schicksal, das rund die Hälfte der Einwohner von Pichl ereilt. Den kleinen Ort hat es besonders schwer getroffen. Während andere Anrainer der Donauzuflüsse, meist mit Wassermassen in Ufernähe zu kämpfen haben, brachen in vereinzelten Ortschaften wie Pichl die Dämme.

Hochwasser Bayern
Erich von Wiegen (rechts) blickt auf die Wassermassen, die auch sein Haus (gelb) umschließen. © Funke | Daniel Weidmann

Zunächst seien sie per App informiert worden, erzählt Erich von Wiegen. Er steht mit den Helfern am Ortseingang und blickt über die Wassermassen. Hinter den zwei gestrandeten Jeeps schaut seine Doppelhaushälfte hervor, in der er noch die Nacht auf Montag verbracht hatte. Sie liegt nicht einmal 100 Meter entfernt, und ist doch unerreichbar.

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Nach Dammbruch weite Teile des Ortes überflutet

„Das war dann schon ein sehr unruhiger Schlaf“, erzählt er. Am Morgen um zehn vor fünf seien sie dann plötzlich evakuiert worden. Dann durchbrach die unweit entfernte Paar den Damm, überflutete weite Teile der Ortschaft. Da hatten auch Rose, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, und ihre Tochter bereits die Gefahrenzone verlassen. „Wir saßen auf unseren Sandsäcken und die Leute haben uns ausgelacht“, erinnert sie sich an die Vorkehrungen vom Vortag. Niemand habe gedacht, dass die Flut auch Pichl erreiche. Tags darauf die traurige Einsicht: Auch die Sandsäcke konnten den Wassermassen nicht Stand halten.

Rose steht mit ihrer Tochter an der Wasserkante, blickt auf die von braunen Wassermassen durchflutete Dorfstraße. Irgendwo dahinten, versuchen ihr Mann und der Vermieter gerade das Haus zu erreichen. Wie viele hier plagt sie die Ungewissheit. Ohne „Hab und Gut“, lediglich mit einem Auto hatten sie ihr Haus verlassen. „Sogar die Tiere sind noch im Haus.“ Wie es den Vögeln und Hasen geht, bleibt für die kleine Familie an diesem Montag unklar.

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Die überflutete Dorfstraße von Pichl. © Funke | Daniel Weidmann

Von Wiegen geht davon aus, dass er erst in zwei Tagen wieder zu seinem Haus kann. Eine lange Zeit, bedenkt man, dass diese gegen ihn läuft: „Wenn das Wasser in das Wohnzimmer und die Essensräume läuft, ist alles kaputt“, befürchtet er. Türverkleidungen, die Einrichtung oder die Heizung könnten der zerstörerischen Kraft des Wassers nicht standhalten. Wie er den Schaden finanzieren soll, wisse von Wiegen noch nicht. Er spekuliert sogar über den Verkauf seines Eigenheimes.

Flut fordert mehrere Todesopfer

„Wir leben seit 20 Jahren hier und haben sowas noch nie erlebt“, sagt er, ohne Bitterkeit in der Stimme. Wie so viele in Pichl wirkt er gefasst, erzählt fast schon emotionslos von seiner existentiellen Lage. „Zum Glück ist uns nichts passiert“, fasst Rose diese standhafte Haltung der Anwohner zusammen.

Ein Glück, das dieser Flutkatastrophe Anfang Juni nicht jedem zu Teil wurde. Von Baden-Württemberg bis zur bayrischen Grenze nach Tschechien überschlugen sich am Wochenende und zu Wochenbeginn die Katastrophenmeldungen. Nachrichten von Flüssen, die nach langanhaltenden Regenfällen über die Ufer traten, mischten sich immer wieder mit menschlichen Schicksalen.

Südlich von Pichl kam bei Uttenhofen in der Nach auf Sonntag ein Feuerwehrmann ums Leben, weil sein Schlauchboot kenterte. Tags darauf fanden die Retter in der gleichen Region eine leblose Frau im Keller ihres Hauses, nachdem ihn die Retter leergepumpt hatten. Auch in Baden-Württemberg entdeckten Helfer zwei Leichen in einem Keller. In dem Bundesland wird zudem ein 22-jähriger Feuerwehrmann vermisst.

Retten, was zu retten ist

Allerdings entspannt sich in den oberen Lagen der Donauzuflüsse die Lage allmählich. Die Gefahrenzone geht zunehmend auf die Donau über, die die Wassermassen von Ilm, Paar und anderen Flüssen aufnehmen muss. Teile von Regensburg und Passau wurden bereits evakuiert.

Hochwasser
Die Familie von Alfred Burghard hat im Vorgarten einen Müllberg errichtet. Alles, was sich im Keller befand, ist nun Schrott. © Funke | Daniel Weidmann

Dort, wo das Wasser zurückgeht, können die Bewohner ihre Schäden inspizieren. In den Straßen von Reichertshofen rattern am Abend die Wasserpupen, die vollgelaufene Keller entwässern. Über den Seitenstraßen von Ilm liegt ein Geruch aus Diesel und Fisch in der Luft. Auf dem Asphalt erstreckt sich eine müllige Schlammspur.

Auch in den späten Abendstunden versuchen die Bewohner von Reichertshofen zu retten, was zu retten ist. Den ganzen Tag hat Alfred Burghard gemeinsam mit seiner Schwester den Keller seines 93-jährigen Onkels und seiner 85-jährien Tante ausgeräumt. Im Vorgarten der Familie türmt sich mittlerweile ein riesiger Müllberg auf. „Die Tante hat gesagt, das schaut sowieso keiner mehr an“, erzählt er. Aber für Burghard ist es ein trauriger Anlass: „Da stirbt eine gewisse Geschichte!“

Handwerker auf Monate ausgebucht

Auf der anderen Flussseite muss Hans Summerer nicht nur das Keller-, sondern auch das Erdgeschoss sanieren. Dort, wo am selben Tag noch das Wasser in 40 cm Höhe gestanden hatte, hat er sämtliche Einrichtungsgegenstände am Montagabend bereits ausgeräumt. „Das muss so schnell wie möglich raus, das ist für das Haus überlebenswichtig“, erklärt Summerer. Mit dem Hochdruckreiniger hat er die Wände im Erdgeschoss von Schlammmassen befreit.

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Hans Summerer vor der Paar, die kurz zuvor in Reichertshausen noch über die Ufer getreten ist. © Funke | Daniel Weidmann

Dabei hatte er das Haus vor einigen Jahren bereits kernsanieren lassen, wie er erzählt. Es steht in der zweiten Reihe in einer Gefahrenlage, die dem Eigentümer durchaus bewusst ist. 8900 Euro lässt er sich die Elementarschadensversicherung im Jahr kosten. Dennoch habe er so einen „Supergau“ noch nie erlebt. Nun befürchtet er, dass die Handwerker rund um die Flutgewässer auf Monate ausgebucht sind. Dennoch lässt er keine Zeit vergehen, erwartet bereits für Dienstag die Bauschuttcontainer.

Eine Anpackermentalität, an die im überfluteten Pichl noch nicht zu denken ist. Als ein Retter den alten Mann von der überfluteten Straße wegführen will, macht er auf dem Absatz kehrt. Er rennt ins trübe Wasser, möchte ein Garagentor öffnen und stürzt. Erst weitere Rettungskräfte können den verwirrten, mitunter alkoholisierten – in jedem Fall verzweifelten Mann beruhigen. Rose, ihre Tochter, von Wiegen und seine Frau haben für diesen Tag genug gesehen. Sie verbringen die Nacht bei Familienangehörigen, in der Hoffnung, bald ihre Heimat wieder betreten zu können.