Nashville. Den Gletschermann zieren mehr Tattoos als einen italienischen Profi-Kicker. Doch wie wurden sie gestochen? Es gibt neue Erkenntnisse.
Der 1991 in den Tiroler Alpen gefundene Ötzi ist sehr wahrscheinlich die am besten untersuchte Leiche der Welt. Und das Faszinierende an dem Mann aus dem Eis, der etwa 5.300 Jahre lang im Similaun-Gletscher eingefroren war, ist, wie nah er uns heutigen Menschen mittlerweile ist.
Wir wissen, wie er sich ernährt hat, wir wissen, mit welchen Tricks und welcher Ausrüstung er die harte Witterung überlebt hat. Wir kennen seine Waffen und wissen um seinen dramatischen Tod.
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Und ein faszinierendes Detail macht ihn geradezu zu einem frühgeschichtlichen Hipster: Ötzi war am ganzen Körper tätowiert: 61 Tattoos zieren den Mann aus der Jungsteinzeit: meist einfache Strichmuster, die in Gruppen oft parallel zueinander angeordnet wurden. Die Tätowierungen finden sich wiederum an den verschiedensten Stellen – am Oberkörper, an den Handgelenken und an den Beinen. Nun sind amerikanische Forscher mit einem neuen Ansatz dem Rätsel dieser Körperbilder wieder ein bisschen näher gekommen.
Wie ist Ötzi tätowiert worden?
Dabei geht es um die Frage, auf welche Weise und mit welcher Technik die ältesten bekannten Tattoos überhaupt entstanden sind. Wie Aaron Deter-Wolf, der Hauptautor der neuen Studie erläutert, gingen die Wissenschaftler dabei anwendungsorientiert vor: Bisher seien die Tätowierungen vor allem von Historikern untersucht worden, „die selbst nicht tätowiert waren und keine persönliche Erfahrung mit Techniken hatten“, so Deter-Wolf, Forscher an der Tennessee Division of Archaeology. Die Studie stützt sich auf Experimente zur Nachahmung antiker Tätowiertechniken sowie auf Gespräche mit indigenen Völkern, die bis heute traditionelle Körperbilder tragen.
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Deter-Wolf kann zudem auf frühere Vorarbeiten zurückgreifen. Für eine Studie 2016 hatte er eine Datenbank mit Dutzenden von Beispielen antiker Tätowierungen zusammengetragen, darunter Körperkunst, die auf mumifizierten Überresten von Ägyptern, Chinesen und Inkas gefunden wurde. Mit diesen wurden Ötzis Tattoos nun von Wissenschaftlern gemeinsam mit Tätowierern verglichen. „Wenn wir alle unsere Köpfe zusammenstecken, kommen wir zu viel besseren und fundierteren Hypothesen darüber, wie diese Dinge funktionieren“, so Deter-Wolf.
Der Vergleich zeigt: Die Tattoos wurden gestochen wie die heutigen
Das Ergebnis bringt uns Ötzi wieder ein bisschen näher. Seine Tattoos scheinen mit einer Technik gestochen worden zu sein, wie sie heute noch Anwendung findet – denn auch moderne Tätowiermaschinen beruhen auf dem gleichen Prizinzip. Bisher nahm man an, Ötzis Körperbilder seien mit einem scharfen Gegenstand geritzt worden.
Der Vergleich mit den anderen historischen Körperbildern hat aber ergeben, dass auch Ötzis Tätowierungen klassisch enstanden sind: Farb-Pigmente werden dauerhaft mit einem spitzen Werkzeug durch klopfen oder stechen unter die Haut eingebracht. In einer Studie vom September 2022 hatten Deter-Wolf und seine Kollegen auch handfeste Experimente angestellt: Der neuseeländische Tätowierer und Mitautor der Studie, Danny Riday, hatte dazu mit Werkzeugen aus Tierknochen, Obsidian, Kupfer, Eberzahn sowie einer modernen Stahlnadel Muster auf sein Bein gestochen.
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Möglicherweise waren die Tattoos eine Art frühsteinzeitliche Akupunktur
Ergebnis: Die Tätowierungen auf Ötzis Körper haben abgerundete Ränder, die mit einer handgestochenen Tätowierung übereinstimmen. Sie wurden höchstwahrscheinlich mit einem Knochen oder Kupfer gemacht. Man sehe auf den Vergrößerungen einen typischen Tupfen-Effekt - im Gegensatz zu den scharfen Rändern, wie sie bei der Schnitt-Tätowierung entstehen, heißt es in der Studie. Solche Hand Poked Tattoos scheinen übrigens ein kulturübergreifendes Phänomen zu sein.
US-Forscher fanden heraus, dass sich die Ureinwohner Nordamerikas Tattoos mit Kaktusstacheln stachen. Auch angespitzte Truthahnknochen wurden verwendet. Die ältesten gefundenen Tätowier-Knochen sollen 5260 Jahre alt sein – und damit vielleicht sogar noch etwas älter als Ötzi.
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Der Zweck von Ötzis Körperbildern dürfte weniger ästhetische Gründe gehabt haben – es ging wahrscheinlich um schamanistische Heiltechniken, eine frühe Form der Akupunktur. Dafür spricht, dass sich die meisten der ornamentalen Tätowierungen an Gelenken, Knöcheln und an und der Halswirbelsäule befanden, also Stellen, die im Alter Schmerzen bereiten können.
Als Ötzi mit einer Pfeilspitze im Rücken starb, dürfte er mit etwa 46 Jahren für seine Verhältnisse bereits ein sehr alter Mann gewesen sein. Ötzis Leichnam förderten zutage, dass der Gletschermann vor seinem Tod im Eis an einigen Gebrechen litt, unter anderem an Rücken- und Bandscheibenproblemen, Gelenkabnutzungen und Gallensteinen. Auch Alopezie wurde bei Ötzi festgestellt. Mit anderen Worten: Der Mann aus dem Eis hatte eine Glatze. Ötzi war einer von uns.