London. Ein gefährliches Opioid breitet sich auf dem britischen Drogenmarkt aus. Das Problem: Es ist leicht und günstig zu produzieren.
Die erste Warnung kam im vergangenen Sommer. Die Gesundheitsbehörden in der englischen Großstadt Birmingham meldeten, dass innerhalb von zwei Monaten rund 30 Drogenkonsumenten an den Folgen einer Überdosis gestorben waren – das sind etwa doppelt so viele wie gewöhnlich.
Gesundheitsexperten hatten den Verdacht, dass eine neue Gruppe synthetischer Rauschmittel hinter dem schnellen Anstieg der Drogentoten steckte, die sogenannten Nitazene. Diese sind bis zu hundertmal stärker als Heroin, entsprechend ist das Risiko einer Überdosis viel höher. Die Situation könnte bald „noch viel schlimmer werden“, sagte Megan Jones von der Drogenstiftung Cranstoun damals gegenüber der BBC.
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Ihre Befürchtung scheint sich seither bestätigt zu haben. „Extrem starke synthetische Opioide“ wie Nitazene fänden im britischen Drogenmarkt zunehmend Verbreitung, schrieb das British Medical Journal einige Monate später.
Droge Nitazen: Ausbreitung hat mit den Taliban zu tun
Im Januar meldete die Strafverfolgungsbehörde National Crime Agency (NCA), dass in der zweiten Hälfte 2023 allein 65 Menschen an den Folgen einer Nitazen-Überdosis starben. In ihren Stichproben konfiszierter Drogen wird Nitazen bereits fünfmal häufiger gefunden als noch vor zwei Jahren.
Nitazen wurde ursprünglich in den 1950er-Jahren als Schmerzmittel entwickelt, jedoch nie zugelassen. In Großbritannien ist es seit 2016 verboten. Dass es jetzt häufiger in illegalen Laboren hergestellt und in den britischen Markt geschmuggelt wird, könnte mit den politischen Umwälzungen 5500 Kilometer weiter östlich zusammenhängen, in Afghanistan.
Im Sommer 2021 kamen die Taliban dort zurück an die Macht. Bald darauf machten sie sich daran, den Opium-Anbau zu unterbinden. Satellitenaufnahmen zeigen, dass die Fläche, auf der Opium-Mohn gezüchtet wird, seither um 85 Prozent kleiner geworden ist. Die Folge: Im Opium-Nachschub hat sich eine riesige Lücke aufgetan, da der Großteil des Heroins in Europa aus Afghanistan stammt.
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Diese Lücke, so mutmaßen Experten, wird jetzt durch künstlich hergestellte Opioide gefüllt. Möglicherweise werden Nitazene in Laboren in China produziert und dann per Post nach Europa geschickt, so die NCA. „Starke synthetische Opioide haben klare Vorteile für die Produzenten“, schreibt das Fachmagazin The Lancet. „Sie können schnell und billig hergestellt werden, ohne dass man sich auf illegale Nutzpflanzen verlassen muss.“
„Zombiedroge“: In England drohen Zustände wie in den USA
Für die Konsumenten hingegen sind solche Drogen brandgefährlich. Nitazen kann als Tablette, per Injektion oder auch per Inhalation eingenommen werden. In den meisten Fällen werden Nitazene herkömmlichem Heroin beigemischt, ohne dass sich die Verbraucher dessen bewusst sind, warnt die NCA. Weil sie um ein Vielfaches stärker sind als andere Opioide, kann es viel schneller zu einer Überdosis und einem Atemstillstand kommen. Mögliche Folge: Tod.
Welch verheerende Folgen synthetische Opioide verursachen können, hat sich in den vergangenen Jahren in den USA und in Kanada gezeigt: Dort hat die Droge Fentanyl eine Krise mit Zehntausenden Todesfällen ausgelöst – und Nitazene sind sogar noch stärker als Fentanyl.
„Wir wissen noch nicht, ob Nitazene und andere synthetische Opioide zu den dominanten Opioiden im britischen Drogenmarkt werden“, schreiben Niamh Eastwood und Shayla Schlossenberg von der Drogenstiftung Release, „aber wenn sie es tun, könnten die Folgen katastrophal sein.“ Experten warnen, dass Nitazene auch in anderen europäischen Ländern häufiger im Umlauf sind.
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Hoffnung liegt auf Prävention und Sucht-Behandlung
Um die gesundheitlichen Schäden der drohenden Nitazen-Krise in Großbritannien zu begrenzen, fordern Drogenstiftungen mehr Investitionen in Prävention und Behandlung. Im Jahrzehnt der britischen Sparpolitik ab 2010 wurde das staatliche Geld für Behandlungs- und Beratungszentren für Drogenabhängige stark reduziert.
Die Folgen waren schnell spürbar: Innerhalb von fünf Jahren nahmen die Todesfälle infolge von Drogenmissbrauch um rund 60 Prozent zu. Die Krise hat die Regierung seither zum Handeln bewegt. 2021 versprach sie, 700 Millionen Pfund in Hilfsprojekte und Behandlungszentren für Drogenabhängige zu stecken.
Aber es gibt auch Forderungen, die britische Drogenpolitik zu liberalisieren, etwa durch die Errichtung von Drug Consumption Rooms, also Konsumstellen, wo Abhängige ihre eigenen – illegalen – Drogen unter medizinischer Aufsicht konsumieren können. Die schottische Regierung hat im vergangenen Herbst grünes Licht gegeben für ein erstes solches Projekt, es soll noch in diesem Jahr starten.