Madrid/ Spanien. Urlauber überfluten die Kanarischen Inseln. Bei den Einheimischen regt sich jetzt der Unmut. Was Touristen wissen müssen.
- Zehntausende Menschen haben am Samstag auf den Kanaren gegen Massentourismus demonstriert
- Der Protest richtet sich vor allem gegen die Politiker
- Die Aktivisten fordern einen Bau- und Wachstumsstopp
Immer mehr Urlauber, aber auch immer mehr Probleme: Über 16 Millionen in- und ausländische Touristen besuchten 2023 die Kanarischen Inseln – ein Plus von elf Prozent. Die Inselregierung feiert die spektakulären Besucherzahlen und den touristischen Umsatzrekord, der über 20 Milliarden Euro in die Kassen spülte. Doch nicht alle freuen sich: In der Bevölkerung kippt die Stimmung. Den Bürgern wird es zu viel, sie gehen auf die Barrikaden. Sterben die Ferieninseln am eigenen Erfolg?
Zehntausende demonstrieren auf Kanaren gegen Massentourismus
Zehntausende Menschen haben am Samstag unter dem Motto „Die Kanaren haben eine Grenze“ gegen Massentourismus demonstriert. Insgesamt 55.000 Demonstranten forderten auf den acht bewohnten und zu Spanien gehörenden Inseln im Atlantik vor der Westküste Afrikas eine Obergrenze der Zahl der Touristen oder etwa bezahlbaren Wohnraum für Einheimische, wie der staatliche TV-Sender RTVE und die Zeitung „El País“ berichteten.
„Die Kanaren sind am Limit“, riefen die Umweltschützer, die sich in mehr als 20 Bürgerinitiativen organisiert haben, bereits Tage vor den massiven Protesten am Wochenende. Mit Kundgebungen, Menschenketten und einem Hungerstreik protestierten sie gegen die Folgen des Massentourismus. „Es reicht!“, sagten sie. Stetig neue Hotelbauten, Naturzerstörung, Trinkwassernot, Verkehrsstaus und wachsender Mangel an bezahlbarem Wohnraum für Einheimische. „Der Tourismus tötet die Inseln.“ Die Aktivisten fordern einen Bau- und Wachstumsstopp, um einen Kurswechsel einzuleiten.
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Kanaren: Proteste verbreiten sich über alle Inseln
Die ankommenden Reisenden auf dem Flughafen Teneriffa schauten irritiert, als sie im Terminal von Demonstranten empfangen wurden. „Die Kanaren sind kein Paradies mehr“, konnte man da auf Papptafeln lesen. Und: „Für einen nachhaltigen Tourismus“. Auch in den Straßen sieht man, dass der Frieden gestört ist. „Urlauber, respektiert unsere Inseln“, wurde auf eine Wand gesprüht. Auf einer anderen Fassade steht: „Wegen Airbnb muss ich immer mehr Miete zahlen.“
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Am stärksten sind die Proteste auf Teneriffa spürbar. Wohl auch, weil es die größte und meistbesuchte Kanareninsel ist, auf der knapp eine Million Menschen leben. Allein auf Teneriffa kamen im vergangenen Jahr 6,5 Millionen Feriengäste an – mehr als sechsmal so viel, wie die Insel Einwohner hat. Rund die Hälfte aller Touristen kommt aus dem deutschsprachigen Raum und aus Großbritannien.
„Unser Protest richtet sich nicht gegen die Touristen“, sagt Felipe Ravina. Sondern gegen die Politiker, die den Tourismus in verträgliche Bahnen lenken müssten. „Wir fordern, dass nicht immer weiter gebaut wird.“ Die stetig größeren Urlauberzahlen seien weder sozial- noch umweltpolitisch verkraftbar. Der Biologe und Filmemacher Ravina gehört zu den prominentesten Stimmen der Kritiker. Ravina hat mit seinem Dokumentarfilm „Salvar Tenerife“ (Rettet Teneriffa) die Auswüchse des Feriengeschäfts festgehalten.
Immer mehr Betten, immer mehr Luxus, immer weniger Platz für die Natur
Als ein Musterbeispiel für diese Auswüchse gilt das Luxus-Hotelprojekt La Tejita Beach Club Resort, das an einem der letzten jungfräulichen Naturstrände Teneriffas errichtet wird. Der Fünf-Sterne-Komplex mit 880 Betten entsteht an der Playa La Tejita im Süden der Insel. Nicht weit entfernt liegen die bekannten Urlaubszentren Los Cristianos, Las Americas und Costa Adeje, deren Bettenburgen bereits die Küste säumen.
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Umstritten ist ebenfalls die neue Luxussiedlung Cuna del Alma in der Bucht Puertito de Adeje, ebenfalls im Inselsüden. Dort sollen 420 Nobelvillen und Wohnungen geschaffen werden. In einer Bucht, in der es bisher nur ein paar alte Fischerhäuser gab. Und die dafür bekannt ist, dass man dort beim Schwimmen und Schnorcheln in Küstennähe noch Meeresschildkröten sichten konnte. „Ein magischer Ort“, werben die belgischen Investoren. Aber wie lange noch?
Noch mehr ist im Süden Teneriffas geplant: Arona, die größte und wichtigste Urlaubsgemeinde der Insel, will weiter wachsen. Und zwar mit einem gigantischen neuen Stadtteil namens „El Mojón”. Dort sind, gleich neben den ebenfalls zu Arona gehörenden Ferienbastionen Los Cristianos und Las Americas, insgesamt 9000 neue Betten geplant, die sich über Hotels, Ferienapartments und Wohnresidenzen verteilen.
„Die Tourismusindustrie ist dabei, jenes Produkt zu zerstören, das sie verkauft“, sagt Ravina. Jene einzigartige Naturlandschaft, die sich auf den Vulkaninseln vor der westafrikanischen Küste in Millionen Jahren gebildet habe. Auch sozialer Zündstoff habe sich angesammelt, vor allem durch die Folgen der Immobilienspekulation. Diese werde durch das zügellose Tourismuswachstum angeheizt.
Immer mehr Wohnraum wird in Ferienwohnungen umgewandelt, die über Airbnb und Co. vermarktet werden. „Früher übernachteten die Touristen nur in Hotels. Aber jetzt sind die Inseln voll mit Ferienapartments“, so Ravina. Auf Teneriffa, Gran Canaria, Lanzarote und den übrigen Inseln entstanden im letzten Jahrzehnt über 200.000 Betten in Ferienwohnungen. Das Angebot an normalen Mietwohnungen wird immer kleiner. „Dadurch schießen die Mietpreise in die Höhe.“
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Kaufpreise für Wohnungen und Häuser schießen durch die Decke
Auch die Kaufpreise für explodieren. 2023 wurden nahezu 30 Prozent aller angebotenen Wohnungen und Häuser von Ausländern gekauft. „Die einheimische Bevölkerung wird verdrängt“, beklagt Ravina. Deswegen braue sich auf den Kanaren ein Unwetter zusammen. „Die Mischung aus ökologischem Niedergang und sozialem Unbehagen wird sich sehr negativ auswirken.“
Dass der soziale Sprengstoff zunimmt, spiegelt sich in zunehmend radikaleren Schmierereien im Süden Teneriffas. Dort verbreitet sich inzwischen an Fassaden auch der Spruch „Tourist go home“ (Urlauber, hau ab). Der konservative Inselregierungschef Fernando Clavijo rief deswegen die Kritiker auf, nicht zu vergessen, dass die Kanaren vom Tourismus leben: „Wir sollten nicht jene beleidigen, die auf die Inseln kommen, um hier ein paar Tage zu genießen und um ihr Geld hier zu lassen.“