Berlin. 1650 sorgte ein 20 Meter hoher Tsunami im Mittelmeer für Verwüstung. Lange gab die Katastrophe der Wissenschaft Rätsel auf – bis jetzt.
20 Meter hohe Wellen, Überschwemmungen auf Sikinos und bis zu zwei Quadratkilometer große Überflutungen an der Ostküste der griechischen Insel Santorini. Die Orte Kamari und Perissa verwüstet. Ein Tsunami im Mittelmeer scheint unwahrscheinlich. Doch Tatsache ist: Er ist möglich – erst 1650 löste der Ausbruch des Kolumbo eine solche Riesenwelle aus. Zumindest dachte man das bisher.
Der Vulkan soll damals einen Feuerwall ausgestoßen haben, der mehrere Kubikkilometer Lava, Bimsstein und Asche auf die umliegenden Inseln schleuderte. Der Knall der explosiven Eruption war wohl mehr als 100 Kilometer weit zu hören. Trotz anschaulicher Berichte sorgte der Ausbruch in der Wissenschaft für Rätselraten.
Denn Computersimulationen konnten das beschriebe Ausmaß des Vulkanausbruchs nicht nachstellen. „Danach wären an einer Stelle sechs Meter hohe Wellen zu erwarten. Wir wissen aber aus den Berichten der Zeitzeugen, dass sie hier 20 Meter hoch waren“, sagt Jens Karstens vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Erstautor der Studie „Cascading events during the 1650 tsunamigenic eruption of Kolumbo volcano“. Auch die zeitliche Abfolge der Tsunami-Flutwellen passe nicht. Nun hat sein Forscher-Team erstmals herausgefunden, was die eigentliche Ursache der Naturkatastrophe war.
Rätsel gelöst: So entstand der Mittelmeer-Tsunami von 1650
Dass zunächst der Vulkanausbruch verdächtigt wurde, den Tsunami ausgelöst zu haben, ist nicht verwunderlich. Denn nur sieben Kilometer von Santorini entfernt liegt der aktive Unterwasservulkan Kolumbo. Vor mehr als 370 Jahren brachte er Verwüstung über die griechische Insel, fast zeitgleich mit der Riesenwelle. Forschende prognostizieren in rund 150 Jahren einen weiteren Ausbruch. Schon jetzt häufen sich Erdbeben in der Region. Doch die Schuld an dem Tsunami von 1650 trug der Feuerberg nur teilweise.
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Das haben die Wissenschaftler um Jens Karstens herausgefunden. An Bord des Forschungsschiffs Poseidon untersuchten sie den Meeresgrund. Dabei erstellten sie ein dreidimensionales Abbild des heute 18 Meter unter der Wasseroberfläche liegenden, 2,5 Kilometer großen Kraters. Dieses zeigte: Die Nordwestflanke des Unterseevulkans zeigt Deformationen – und die normalerweise geordnete Schichtfolge ist an diesem Hang gestört. „Basierend auf den seismischen Daten sind dort rund 1,2 Kubikkilometer der Vulkanflanke 500 bis 1.000 Meter weit den Hang hinuntergerutscht“, so Karstens. Dieser Kollaps müsse unmittelbar vor dem Ausbruch stattgefunden haben.
„Der Kolumbo besteht zu großen Teilen aus Bimsstein mit sehr steilen Hängen. Er ist daher nicht sehr stabil“, erklärt Karstens weiter. „Während der Eruption, die ja schon einige Wochen in Gange war, ist laufend Lava ausgestoßen worden. Darunter, in der Magmakammer, in der viel Gas enthalten war, herrschte ein enormer Druck.“ Erdbeben könnten den Vulkan so stark erschüttert haben, dass es an der Nordwestseite zu einem Bruch kam. Die Folge: Der gesamte Hang rutschte ab.
Die explosive Abfolge: Wie vulkanische Beben und Tsunami miteinander verknüpft waren
Laut den Wissenschaftlern sah der Ablauf der Katastrophe so aus:
- Zuerst kamen die vulkanischen Beben, die die Nordwestflanke des Unterwasserbergs destabilisierten.
- Die Beben gingen Hand in Hand mit einer aufkommenden Eruption, die den gesamten Hang in Bewegung setzte.
- Der dadurch entstehende Hangrutsch verdrängte gewaltige Wassermassen, die in einem Tsunami gipfelten.
Dieser breitete sich dann hauptsächlich in die Richtung aus, in die der Hang abgerutscht war. Schon das ist ungewöhlich, weil sich durch Vulkane ausgelöste Tsunamis in der Regel ringförmig ausbreiten. Der Hangkollaps und die explosive Phase des Vulkanausbruchs mussten unmittelbar aufeinander folgen, berichten Karstens und sein Team weiter. Nur das würde die Heftigkeit der Eruption und des Tsunamis erklären.
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Denn der abrupte Kollaps des Vulkanhangs führte zu einer plötzlichen Entlastung des Vulkanschlots und seiner Magmakammer. Ein starker Druckabfall im gasreichen Magma des Feuerbergs trat ein. Karstens beschreibt den Vorgang bildhaft: „Als eine Flanke des Vulkans abrutschte, hatte das einen Effekt, als wenn man eine Sektflasche entkorkt: Das Gas aus dem Magmasystem konnte sich durch die plötzliche Entlastung ausdehnen, und es kam es zu der gewaltigen Explosion.“
Der Unterwasservulkan explodierte und schleuderte gewaltige Mengen an Gasen und Magma in die Höhe. Als das glühende Magma auf das kalte Meerwasser traf, entstanden weitere Explosionen, weil das Wasser schlagartig verdampfte. Ein zweiter, sich in alle Richtungen ausbreitender Tsunami setzte ein und der gesamte Umkreis wurde von einem Regen aus Bimsstein, Lavabrocken und Asche heimgesucht. Als stummes Zeugnis der Ereignisse erstreckt sich heute der große Vulkankrater am Meeresgrund.
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Kolumbo-Vulkan: Neue Erkenntnisse enthüllen Gefahren aktiver Unterwasservulkane
Die Rekonstruktion der historischen Vulkankatastrophe am Kolumbo wirft ein neues Licht auf die Gefahren, die von aktiven Unterseevulkanen ausgehen können. „Die Deformation einer Vulkanflanke war der Auslöser einer ganzen Kette von Ereignissen“, schreiben Karstens und sein Team.
Die Forschenden weisen darauf hin, dass Ähnliches bei der starken Eruption des Unterseevulkans Hunga Tonga im Januar 2022 geschehen sein könnte – einer der stärksten Eruptionen der Neuzeit. Sie hoffen, dass ihre Erkenntnisse als Grundlage für die Entwicklung neuer Ansätze zur Risikobewertung im Zusammenhang mit vulkanischen Tsunamis dienen können.