Im Skandal um Rammstein-Sänger Till Lindemann kämpfen Anwälte mit harten Bandagen gegen die Berichterstattung. Was ist ihre Strategie?
- Gegen Rammstein-Frontmann Till Lindemann werden schwere Vorwürfe erhoben
- Es geht um Machtmissbrauch und übergriffiges Verhalten
- Lindemanns Anwälte kämpfen mit harten Bandagen – und fahren dabei eine klare Strategie
Berlin. Der Fall Rammstein beschäftigt die Medien, seit sich zahlreiche Frauen mit Vorwürfen von Machtmissbrauch und übergriffigem Verhalten gegen Mitglieder der Band an die Öffentlichkeit gewandt haben. Lindemann und Co. wehren sich mit Hilfe ihrer Anwälte gegen die Berichterstattung – teils mit Erfolg. Mit welchen harten Bandagen Rammstein kämpft, welche Rolle die Aussagen Betroffener spielen und wie es im Fall Lindemann weitergehen könnte, erklärt Medienanwalt Severin Riemenschneider im Interview.
Zahlreiche Redaktionen, die über Rammstein berichten, bekommen Post von Anwälten. Fällt Ihnen ein vergleichbarer Fall ein?
Severin Riemenschneider: Dass Kanzleien ihre Klienten medienrechtlich vertreten und sich Teile der Berichterstattung in entsprechenden Verfahren als unzulässig erweisen, passiert fast jeden Tag. Aber es gibt wenige Fälle, auf denen ein vergleichbares Augenmerk liegt. Man denkt an die Kachelmann-Verfahren, wo auch Straftatvorwürfe im Raum standen und sehr viele Prozesse rund um die Berichterstattung geführt wurden. Das Novum bei Rammstein ist, dass Influencer sich positionieren und damit Millionen Menschen erreichen.
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Ein Beispiel ist die Youtuberin Kayla Shyx, die in einem Video „beängstigende“ Erfahrungen von einer After-Show-Party schildert. Das Landgericht Hamburg hat ihr einige Aussagen verboten.
Riemenschneider: Bei der sogenannten Verdachtsberichterstattung müssen bestimmte Regeln eingehalten werden. Es muss ein Mindestbestand an Belegtatsachen vorhanden sein, nicht nur lose Behauptungen. Außerdem darf keine Vorverurteilung stattfinden und man muss dem Beschuldigten die Möglichkeit geben, vor der Veröffentlichung zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Diese Regeln werden – mit einem gewissen Laienabschlag – auch auf Influencer angewandt. Sie sind damit allerdings häufig nicht so vertraut wie Journalisten. Wenn das Gericht die Vorwürfe von Kayla Shyx nicht als Verdachtsberichterstattung, sondern als Tatsachenbehauptung wertet, müsste sie beweisen, dass ihre Aussagen wahr sind. Das ist denkbar schwierig.
Was droht Menschen wie Kayla Shyx?
Riemenschneider: Es gibt mehrere presserechtliche Ansprüche, die auch gegen Privatpersonen geltend gemacht werden können, darunter die Richtigstellung und der Geldentschädigungsanspruch. Am häufigsten und am leichtesten zu erwirken ist aber der Unterlassungsanspruch. Per Abmahnung werden dann zum Beispiel bestimmte Aussagen verboten, wie es in Kayla Shyx’ Fall passiert ist.
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Würden Sie Betroffenen raten, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen?
Riemenschneider: Für jemanden, der über begrenzte finanzielle Mittel verfügt, kann es gefährlich werden. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass die Frauen im Fall Rammstein die Unwahrheit erzählt haben, kann sie das viel Geld, bis zu Zehntausende Euro, kosten. Man sollte sich also vorher gut beraten lassen, damit man nicht an Formalitäten wie einer nicht eingeholten Stellungnahme scheitert.
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Till Lindemann hat sich bisher nicht selbst zu den Vorwürfen geäußert, lässt aber seine Anwälte gegen die Medien vorgehen. Welche Taktik steckt dahinter?
Riemenschneider: Es ist üblich für Menschen, die medial an den Pranger gestellt werden, sich entsprechende Beratung einzuholen. Die Kommunikation nach außen überlässt man Medienrechtsprofis oder PR-Agenturen. Schon allein, weil die eigenen Aussagen ein Strafverfahren gefährden könnten. Lindemanns Anwälte werden versuchen, Unterlassungen durchzusetzen, schauen, wie sich die Gerichte positionieren und dann am Ende entscheiden, ob sich Schadensersatzansprüche lohnen. Ich gehe davon aus, dass sie sich zunächst die Verlage mit der größten Reichweite und die großen Influencer vornehmen und sich dann runter arbeiten.
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Mit einer Unterlassung gegen Shelby Lynn, die als erste Vorwürfe gegen Lindemann öffentlich machte, sind die Anwälte des Sängers kürzlich gescheitert. Wie ist das Urteil zu bewerten?
Riemenschneider: Frau Lynn hat einen juristischen Erfolg erzielt. Allerdings soll sie in dem Verfahren eingeräumt haben, dass sie Lindemann nie vorgeworfen habe, ihr Drogen verabreicht zu haben. Genau dieser Eindruck wurde der Öffentlichkeit aber durch ihre Aussagen vermittelt. Für Frau Lynn und die Medien, die sich auf sie stützen, wird es nun schwer, Herrn Lindemann mit einem Vorwurf zu belasten, den sie nicht geäußert haben will. So konnte Lindemann mit dem Verfahren ein starkes, ihn belastendes Indiz beseitigen.
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In der Vergangenheit hat Lindemann auf Konzerten Videos abgespielt, die ihn beim Sex mit Fans zeigen. Das zeige, so das Landgericht Hamburg, dass er diesbezüglich „kein Geheimhaltungsbedürfnis verspüre“.
Riemenschneider: Diesen Grundsatz fasst man häufig unter dem Begriff des „medialen Vorverhaltens“ zusammen. Sex ist Teil der Privat- oder gar Intimsphäre. Lindemann hat aber zu verstehen gegeben, dass Sex für ihn nicht privat ist. Das ist meines Erachtens genau richtig bewertet worden. Von daher dürfte es schwierig werden, Berichte über sein Sexualverhalten zu verbieten. Das heißt aber noch nicht, dass die Berichterstattung automatisch zulässig ist. Denn es müsste weiter geprüft werden, ob die Voraussetzungen einer Verdachtsberichterstattung eingehalten wurden, wenn zum Beispiel der strafrechtlich relevante Vorwurf der Vergewaltigung geäußert wird. Daran ändert sich auch nichts, wenn durch Lindemanns Verhalten Privates zum Teil der sogenannten Sozialsphäre wurde.
Mancher wirft den Medien eine regelrechte Hexenjagd auf Lindemann vor. Wie empfinden Sie die bisherige Berichterstattung?
Riemenschneider: Es geht um eine der bekanntesten Bands Deutschlands, es gibt erhebliche Vorwürfe und unterschiedliche Quellen, die Indizien präsentiert haben. Da kann man von der Presse erwarten, dass sie recherchiert und prüft, ob die Indizien für eine zulässige Berichterstattung ausreichen. Manchmal passiert es, dass Verlage berichten, obwohl sie erkannt haben, dass die Berichterstattung nicht zulässig veröffentlicht werden kann. Hier habe ich bisher im Großen und Ganzen aber nicht den Eindruck, dass vorsätzlich Recht gebrochen wird.
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