Mit einer einzigen Personalentscheidung gelang dem BVB ein Befreiungsschlag

DORTMUND. Wer in diesen Tagen auf den Fernsehbildschirm schaut, hat gute Chancen, Jürgen Klopp vorbeirasen zu sehen. Man hört „Welcome Sun” von Fools Garden und staunt über einen Mann, der lachend in einem japanischen Sportwagen sitzt und durch Liverpool brettert. „Sportliches Talent entsteht auf der Straße”, lautet die Botschaft, und es gibt bestimmt nicht viele Trainer hierzulande, die über die Qualität verfügen, einen so schnittigen Werbespot glaubhaft zu präsentieren.

Klopp, der neue Fußball-Lehrer von Borussia Dortmund, gehört fraglos dazu. Der Mann kommt an. Im DSF-Doppelpass schmilzt Katrin Müller-Hohenstein dahin, wenn sie über den BVB-Coach spricht. Bei Premiere muss ein aufgebrachter Franz Beckenbauer vor Jürgen Klopps Rhetorik kapitulieren, und jahrelang empfanden die Zuschauer des ZDF den Fußball-Experten als Unterhalter und nicht als Oberlehrer. Vielleicht ist der 41-Jährige deutschlandweit der Einzige, der den Job von Thomas Gottschalk bei „Wetten dass...” übernehmen könnte, ohne sofort durchzufallen.

Egal wie abgedroschen es klingt, für Borussia ist Jürgen Klopp ein Glücksfall. Er ist allgegenwärtig, er zieht die Blicke auf sich und lenkt zugleich von Dingen ab, die sich in anderen Klubs zu einem Donnergrollen aufbauen könnten. Dieser Trainer ist womöglich das beste Beispiel dafür, wie es ein Verein mit einer einzigen Personalentscheidung schaffen kann, die öffentliche Wahrnehmung komplett zu verändern.

Schließlich geht es um Schwarz-Geld, um den Klub, der als Größenwahn AG bundesweit durchgefallen war, und der vor wenigen Monaten noch unter einem Trainer zu leiden hatte, der seine Zuhörer mit Floskeln befeuerte, wenn er sich nicht gerade „den Arsch ablachen” musste. Jawohl, Thomas Doll, gar nicht lange her, erst im Mai 2008 war seine Zeit bei der Borussia abgelaufen.

Es waren turbulente Wochen damals, denn anderthalb Jahre, nachdem Bert van Marwijk gehen musste, geriet die Dortmunder Führungsriege, die ja zwischenzeitlich auch noch einen Jürgen Röber als Trainer installiert hatte, ins mediale Feuer. Schlechte Platzierungen und furchtbarer Fußball lauteten die Anklagepunkte. Michael Zorc, dem Spordirektor, wurde kaum noch eine Zukunft beim BVB gegeben, und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke wurde angekreidet, in der Trainerfrage ziellos umherzuirren.

Das alles ist Geschichte. Seit Jürgen Klopp da ist, ist es offenbar unnötig geworden, das sportliche Fachwissen des Geschäftsführers zu hinterfragen. „Schwatzgelb.de”, das wichtigste Fan-Forum der Borussen, hat die aktuelle Situation kürzlich zusammengefasst. „Nicht wenige ärgern sich quasi darüber”, stellt der Autor sehr zutreffend fest, „dass sie den BVB nun nicht mehr abgrundtief hassen können, weil Jürgen Klopp nun mal ein Sympathieträger mit unbestrittenen fachlichen Kompetenzen ist.”

Nicht nur der Gute-Laune-Bär

Fachliche Kompetenz ist das eine, aber natürlich gehört auch Mut dazu, unbequeme Entscheidungen durchzupeitschen. Und Klopp ist nicht nur Gute-Laune-Bär, er ist nicht nur Kumpel der Spieler, er kann kompromisslos genug sein, um einen Mladen Petric nach Hamburg ziehen zu lassen. Selbst auf die Gefahr hin, dass der Stürmer serienweise Tore für den Bundesliga-Konkurrenten erzielt.

Das Erstaunlichste am Petric-Wechsel ist womöglich sogar die Tatsache, wie geräuschlos er über die Bühne ging. Es gab kaum Murren, kaum Klagen, keine große Aufregung unter den Fans. So etwas kann nur mit guten Argumenten gelingen, die der Trainer gerne geliefert hat. Das Geschäft war finanziell attraktiv, und obendrein gab's mit Mohamed Zidan auch noch einen Stürmer als Dreingabe, der optimal ins Kloppsche Beuteschema passt.

Er will Tempofußball, er will ein System mit schnellen Profis, die bis zum Abpfiff rennen. Entsprechend weitreichend sind die Sanierungsarbeiten, die der Fußball-Lehrer gerade in Dortmund durchführt. Für Petric, Wörns, Klimowicz, Brzenska, Amedick, Kruska, Federico, Degen und Rukavina sind Zidan, Hajnal, Lee, Owomoyela, Subotic, Santana und Boateng gekommen.

Ein Versprechen auf eine bessere Zukunft

Allesamt Wechsel im Rahmen der Dortmunder Möglichkeiten und längst noch keine Garantie für einen runderneuerten Fußball. Denn auch wenn die richtigen Entscheidungen getroffen wurden, läuft längst nicht alles nach Plan. Acht Unentschieden auf eigenem Rasen, zuletzt sogar gegen Energie Cottbus, sind sicher nicht das, was der Trainer den schwarzgelben Zuschauern zumuten möchte.

Doch selbst enttäuschende Darbietungen werden dem Mann verziehen. Weil die Fans Kummer gewöhnt sind, weil sie einen Fortschritt sehen, und weil der Name Klopp mehr denn je ein Versprechen auf eine bessere Zukunft ist. Das magische Datum heißt 2011. In zwei Jahren, so betont Hans-Joachim Watzke, will der BVB finanziell wieder mithalten mit Hamburg, Bremen oder Schalke. „Diese Klubs sind nicht mehr weit entfernt”, glaubt der Geschäftsführer, der zugibt, nach wie vor nur das ausgeben zu können, was zuvor durch Spielerverkäufe hereinkomme.

Die schwer geschröpften BVB-Aktionäre hören das gern. Die Entwicklung macht ihnen Hoffnung. „122 Millionen Euro an Verbindlichkeiten”, rief Watzke im November von einem Podium in den Westfalenhallen, seien „abgebaut worden, seit diese Geschäftsführung im Amt ist.” Er sprach über wichtige Verträge. Evonik, der Hauptsponsor, und Signal-Iduna, die Namensgeberin des Stadions, haben verlängert, hinzu kommt Kappa als neuer Ausrüster.

Fehlt noch die vorzeitige Vertragsverlängerung mit Jürgen Klopp, die längst angekündigt wurde. Im Auto mag der Trainer schnell unterwegs sein, im Job ist der Mann lieber sesshaft. Er sei einer, der lieber langfristig plane, ließ er wissen. Selten war bei Borussia die Situation so entspannt wie vor der Derby auf Schalke. (NRZ)