Essen. Nächstes Jahr werden nach Berechnungen von Kieler Wirtschaftsforschern 1,5 Millionen mehr Menschen als heute Arbeitslosengeld II beziehen. Für Bundeshaushalt und kommunale Kassen bedeutet das Mehrkosten in Milliardenhöhe. Hartz-IV-Kürzungen kategorisch auszuschließen, sei unklug, so Experten.
Die Hartz-IV-Kosten werden in den kommenden Monaten nach Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) massiv steigen. Im Zuge der Wirtschaftskrise werde die Zahl der Arbeitslosengeld-II-Bezieher im nächsten Jahr deutlich zunehmen, so IfW-Finanzexperte Alfred Boss. Für den Bundeshaushalt und die kommunalen Kassen werde das zu enormen Mehrbelastungen führen.
Vor einer drastischen Zunahme der Zahl der Arbeitslosengeld-II-Bezieher hatten jüngst in der NRZ bereits das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gewarnt. Die Kieler Forscher legten jetzt erstmals konkrete Prognosen vor. Demnach werden im kommenden Jahr bis zu 6,4 Millionen Menschen Arbeitslosengeld II beziehen. Zum Vergleich: Im April dieses Jahres waren es 4,94 Millionen.
Den Bundeshaushalt wird das nach den Berechnungen von Alfred Boss 44,6 Milliarden Euro kosten. Für dieses Jahr rechnet der Finanzexperte mit 37,7 Milliarden Euro, im vergangenen Jahr waren es 34,8 Milliarden. Auch auf die Städte und Gemeinden, die für einen Großteil der Unterbringungskosten der Arbeitslosengeld-II-Bezieher zuständig sind, wird es deutlich teurer: Sie müssen laut Boss etwa 1,2 Milliarden Euro mehr als in diesem Jahr ausgeben. Schon für dieses Jahr erwartet der Städte- und Gemeindebund Mehrkosten in Höhe von zwei Milliarden Euro.
Die Bruttolöhne werden sinken
Unverständlich ist für Boss deshalb das Vorhaben der Bundesregierung, Hartz-IV-Kürzungen für alle Zeiten auszuschließen. Darauf läuft die Ankündigung von Bundessozialminister Olaf Scholz (SPD) hinaus, Rentenkürzungen für alle Zeit per Gesetz unmöglich zu machen. Die Höhe des Hartz-IV-Satzes orientiert sich am Rentenwert. „Die Maßnahme ist nicht gut”, kritisiert Boss. Wenn das Lohneinkommen sinke – was unter anderem angesichts der regen Inanspruchnahme der Kurzarbeit zu erwarten sei – müssten eben entsprechend Renten und der Hartz-IV-Satz „in gewissem Maß gekürzt” werden.
Ähnlich denkt Rainer Kambeck, Finanzexperte des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsforschungsinstituts in Essen: „Rentenkürzungen und damit auch Kürzungen bei den Hartz-IV-Leistungen für alle Zeiten auszuschließen, ist nicht sonderlich klug.” Die Politik, so Kambeck, solle unbedingt den Bezug zur Entwicklung der Lohneinkommen wahren, da sie ansonsten die Rentenformel erheblich beschädige. „Wenn die Bruttolöhne je Beschäftigten, wie es die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute prognostizieren, sinken, müssten Renten und Hartz-IV-Satz gekürzt werden.” Da derzeit Milliarden in den Bankensektor gepumpt würden, sei es aber nachvollziehbar, dass die Politik solche Kürzungen ausschließe, so Kambeck.