Repräsentantenhaus beschließt historische Gesundheitsreform. Großer Schritt für US-Präsident Barack Obama.

Speakerin Nancy Pelosi strahlt nach dem hart erfochten Sieg bei der Abstimmung im Kongress. „Was für eine Nacht”, feiert sie die Annahme des 1990 Seiten starken Reformpakets. Unmittelbar nachdem die 220 zu 215 Mehrheit feststeht, gratuliert US-Präsident Barack Obama am Telefon zu dem historischen Triumph. Nach Jahrzehnten erfolgloser Anläufe beschloss das Repräsentantenhaus als erste Kammer im Kongress die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherungspflicht in den USA.

Klage über Verfassungsbruch

„Über mehr als ein Jahrhundert haben Führer von jeder Partei und politischen Ausrichtung einen Krankenversicherungsschutz für alle Amerikaner gefordert”, jubelt Pelosi, die die Abgeordneten zu einer seltenen Plenarsitzung am Samstag zusammengetrommelt hatte. Nach einer 12-stündigen Debatte und dem persönlichen Erscheinen von US-Präsident Obama bei der Fraktion kann die Speakerin, die zur Feier des Tages in einem feuerroten Kostüm erschien, Vollzug melden. „Heute wird dieser Ruf beantwortet.”

Mit der Ausnahme des Abgeordnete Joseph Cao aus Louisiana stimmten alle Republikaner gegen das 1,2 Billionen(!) US-Dollar teure Gesetzespaket. Die Reform sei „der gröbste Verfassungsbruch, den ich in meinem Leben gesehen habe”, klagt Minderheitsführer John Boehner. Die Republikaner lehnen die allgemeine Versicherungspflicht ab, fürchten eine Übernahme des privaten Versicherungssystems durch die Regierung und beanstanden die Kosten der Reform.

Auch innerhalb der demokratischen Fraktion gab es bis zum Schluss Bedenken. Pelosi musste in letzter Minute eine Änderung an dem Paket akzeptieren, das eine staatliche Finanzierung von Abtreibungen verbietet, um die notwendige Stimmenzahl für eine Annahme der Reform sicherzustellen. Ein bittere Pille für den linken Flügel der Partei, der darin einen Erpressungsversuch sah. Am Ende fruchtete der Appell des Präsidenten, der die Fraktion in einem leidenschaftlichen Appell mahnte, die historische Dimension nicht aus dem Auge zu verlieren. „Solche Möglichkeiten kommen vielleicht einmal in jeder Generation”, mahnt Obama die Zauderer. „Jetzt ist der Moment gekommen, Ergebnisse zu liefern.”

Die Eckpunkte des beschlossenen Gesetzes sehen neben der allgemeinen Versicherungspflicht eine weitgehende Regulierung der Gesundheitsindustrie vor. Versicherer dürfen Patienten künftig wegen Vorerkrankungen nicht mehr ablehnen, ausschließen oder ihre Prämien erhöhen. Unversicherte erhalten die Möglichkeit, auf einer Versicherungsbörse zwischen privaten Policen und einer staatlichen Krankenversicherung zu wählen. Unternehmen, die ihren Beschäftigten keine Police anbieten, müssen eine Strafe von acht Prozent ihrer gesamten Personalkosten zahlen.

Finanzierung durch „Millionärssteuer”

Nach Schätzungen des unabhängigen Rechnungshofes des US-Kongresses ist das Gesetz nicht nur kostenneutral, sondern spart dem Staat Kosten. Finanziert wird die Reform durch Einführung einer „Millionärssteuer” in Höhe von 5,4 Prozent für Bezieher von Einkommen über 500 000 US-Dollar sowie Einsparungen bei der staatlichen Medicare-Krankenversicherung für Amerikas Renter in Höhe von 400 Milliarden US-Dollar über die nächsten zehn Jahre.

Alle Augen richten sich nun auf den Senat, der seine Version der Gesundheitsreform beschließen muss, ehe beide Kammern im Vermittlungsaus-schuss einen Kompromiss verhandeln können. Angesichts der schwierigen Mehrheitssituation im Senat gilt es nicht als sicher, dass der Kongress es schafft, Obama noch vor Weih-nachten ein unterschriftsreifes Gesetz auf den Tisch zu legen. Möglicherweise ziehen sich die Verhandlungen bis ins neue Jahr hinein. NRZ