Eine große Koalition darf nur eine Notlösung sein
Es ist die letzte Gelegenheit es offen auszusprechen: Was wir in den letzten Wochen erlebt haben, war kein Kampf um die Wähler, sondern ein Krampf gegen sie. Nun benötigt eine erwachsene Demokratie zu ihrem viel gepriesenen Hochfest, der Bundestagswahl, alles andere als Krawall, aber ein paar Themen wären schon willkommen gewesen. Wir sollten uns von den politischen Stimmungsbremsern nicht beeindrucken lassen. Weder ist alles entschieden, noch alles vergebens. Ja, wir haben eine Wahl!
Es geht um eine Entscheidung, die nicht in den Händen der Haus - und Hofastrologen der Demoskopie liegt, sondern in denen der Bürger. Wer einen Wechsel will, kann ihn wählen. Wichtigste Voraussetzung ist, sich der allgemeinen Einlullung zum Trotz zur Stimmabgabe aufzuraffen.
Am Sonntag um 18 Uhr werden die Uhren anders gestellt. Zwar haben viele Parteien weit vor dem Wahltermin „rien ne vas plus” gerufen, doch wie ernst soll man das nehmen? Morgen um 18 Uhr ist das Spiel längst nicht aus. Im Gegenteil: dann wird das Kasino erst geöffnet. Alle rechnerisch möglichen Optionen kommen dann auf den Tisch. Diese Pokerpartie wird allemal spannender, als die lahmen Wochen vor der Wahl.
Eine Fortsetzung der großen Koalition ist nicht unwahrscheinlich. Man kann dem Zweckbündnis manches gutschreiben: cooles Management der Finanzkrise, klare Außenpolitik, spürbare Familienförderung. Anderes muss man ihr ankreiden, wie das enorme Haushaltsloch oder eine verwirrende Energiepolitik. Unterm Strich war das kein schlechter Job; aber es geht besser. Natürlich lautet die Zauberfrage: Mit wem?
Merkel und Westerwelle schwören auf ihre Tigerenten-Koalition (Schwarz-Gelb). Doch deren Siegeschancen schwinden dahin. Angesichts von Massenarbeitslosigkeit und Hartz IV-Elend sind viele einfache Bürger skeptisch, ob Neoliberalismus das richtige Mittel gegen ihre Zukunftsangst ist.
Sicher ist: Die großen Parteien werden kleiner. Aber die Kleinen machen nichts aus ihrer neuen Stärke. Viel zu früh haben sie sich selbst Matt gesetzt. Angeblich sind Regierungsvarianten wie die „Ampel” oder „Jamaika” ausgeschlossen. Entweder empfinden FDP und Grüne die Opposition nicht als den sprichwörtlichen „Mist”, sondern haben ihre Freude daran, oder sie täuschen uns bis zum Wahlabend.
Längst leben wir in einer Fünf-Parteien-Demokratie. Damit sie funktioniert, müssen alle Parteien bereit, willens und in der Lage sein, Verantwortung zu übernehmen. Das Lebenselixier unserer politischen Kultur ist der Wechsel. Deshalb muss die nicht unvernünftige, aber lähmende, große Koalition eine Notlösung bleiben. NRZ