Essen. Als Dirk Niebel noch Generalsekretär der FDP war, hielt er das Entwicklungshilfeministerium für überflüssig und forderte die Abwicklung. Jetzt ist der Liberale dort Chef. Und wandelt sich.
Fallschirmjäger schweben ab und an über Feindesland ein. Gemeinhin sind ihre Absichten dann wenig freundlich, weswegen ihnen selten ein liebevoller Empfang zuteil wird. So gesehen war es nicht wirklich verwunderlich, dass Dirk Niebel im Entwicklungsministerium eine gewisse Kühle entgegenschlug, als er dort Ende Oktober zu seinem Antrittsbesuch aufschlug. Der ehemalige Fallschirmjäger hatte in seiner Zeit als FDP-Generalsekretär – ganz im Sinne seiner Partei – noch lautstark die Abwicklung eben jenes Ministeriums gefordert, das er nun als Chef in die Zukunft führen soll. „Viele von ihnen sitzen hier mit gemischten Gefühlen”, diagnostizierte Niebel bei seiner Antrittsrede treffend die Stimmungslage.
Vor einem Jahr wollte die FDP den Rotstift ansetzen
Nicht nur unter den Mitarbeitern im Ministerium, auch in der Szene der Nichtregierungsorganisationen herrschte ein Zustand zwischen Irritation und Empörung, nachdem die wohl strittigste Personalentscheidung der schwarz-gelben Koalition publik wurde. Ausgerechnet Niebel, ausgerechnet ein Liberaler, dessen Partei noch im November vergangenen Jahres das Eindampfen des 5,8-Milliarden-Haushaltes des Ministeriums um zehn Prozent gefordert hatte. Solche Kürzungsvorschläge sind wenig vereinbar mit den im Jahr 2000 auf Ebene der Vereinen Nationen beschlossenen Milleniumszielen. Deutschland hat sich in diesem Zusammenhang verpflichtet, bis zum Jahr 2015 den Anteil der Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandseinkommens zu steigern - aktuell sind es 0,38 Prozent. Welthungerhilfe und terre des homes merkten in ihrem jüngsten Bericht zur „Wirklichkeit der Entwicklungshilfe” kritisch an, dass „alle Bundestagsparteien mit Ausnahme der FDP in ihren Wahlprogrammen für die Jahre 2009 bis 2013” eine Steigerung der deutschen Entwicklungshilfe vorgesehen hätten.
Nicht nur das: Laut Koalitionsvertrag soll deutsche Entwicklungshilfe künftig mehr an wirtschaftliche und außenpolitische Interessen gekoppelt werden. „Die Aufgabe des Ministeriums ist die weltweite Armutsbekämpfung und nicht die Außenwirtschaftsförderung”, mahnte Claudia Warning, die Vorstandsvorsitzende des Dachverbandes der deutschen Entwicklungshilfeorganisationen Venro.
Niebel legte trotz aller Mahnungen direkt einen Auftakt nach FDP-Maß hin, kündigte an, Hilfen für China, die unter anderem dem Ausbau erneuerbarer Energien dienen, auslaufen lassen zu wollen. Wenige Wochen vor dem Klimagipfel in Kopenhagen erschien das kaum einem Beobachter als wirklich kluger Schachzug. Auch die Ankündigung, einen Deckel auf die Hilfe für Indien zu machen, kam nicht gut an: Die indische Regierung braucht weiterhin dringend Unterstützung bei der Armutsbekämpfung und dem Ausbau der dezentralen und kommunalen Verwaltung.
Doch Niebel wäre wohl kein Liberaler, wenn er nicht zu eindrucksvollen Wandlungen fähig wäre. Bei seiner Regierungserklärung vor dem Bundestag setzte er sich ausdrücklich für die Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels ein und bat die „lieben Kollegen als Haushaltsgesetzgeber, diesen Maßstab in ihre Beratungen einzubeziehen”. Sprich: Niebel plädierte für eine Aufstockung der Mittel für eben das Ministerium, dessen Haushalt seine Partei noch vor einem Jahr beschneiden wollte.
Kein Gedanke mehr an eine Abwicklung
Und eine Auflösung des Ministeriums beziehungsweise die Integration in das ebenfalls FDP-geführte Auswärtige Amt? Kein Gedanke mehr daran. Die „Besetzung mit dem ehemaligen Generalsekretär der FDP” sei „eine Aufwertung des Ministeriums, weil seine Auflösung nun nicht mehr notwendig ist”, gab er jüngst mit der ihm eigenen Bescheidenheit in der „Augsburger Allgemeinen” zu Protokoll. Auch in der Entwicklungshilfeszene glaubt man nicht mehr an die Verwirklichung der einstigen liberalen Forderungen: „Ein Mann mit seinem Profil wird es schon nicht zulassen, dass er einem Abwicklungsministerium vorsitzt”, heißt es spöttisch. NRZ