Die Schule am Steeler Tor will beim Pilotprojekt des Landes dabei sein. Als Kompetenzzentrum könnte sie Kindern helfen, ohne dass diese gleich Förderschüler werden.

Zwei Sätze gibt es, die sollten – in Stein gemeißelt – in jedem Elternhaus und in jedem Klassenzimmer hängen. „Du hast hier jeden Tag eine neue Chance.” Und der zweite: „Ich mag vielleicht dein Verhalten nicht, aber ich mag dich.” Der erste Satz stammt von Ulla Eisenberg, der zweite von Susanne Röder. Erstere ist Berufswahlkoordinatorin und zweite Leiterin der Schule am Steeler Tor, einer Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen, soziale und emotionale Entwicklung”. Bis 2005 hieß derlei Sonderschule. Doch besonders sind die nicht. In Essen gibt es mehr Förderschulen als Gymnasien. Und – das nur am Rande – bis vor drei Jahren unterrichteten sie mehr Kinder mit ausländischem Pass als die Gymnasien. Jetzt sind es etwa gleichviele. Insgesamt gibt es 3800 Förderschüler, die Hauptschüler zählen 800 Häupter mehr. Aber von Förderschule wollen Eltern meist nichts wissen. „Da geht oft die Tür zu”, weiß Susanne Röder. Es wird mit dem Anwalt gedroht, wenn Lehrerinnen und Lehrer darüber reden wollen, ob ein Kind nicht an der Förderschule besser aufgehoben sei. Das kann damit zu tun haben, dass manche Grundschule Problemkinder auf andere Schulen entsorgen möchte. Es kann aber auch damit zu tun haben, dass es nur dann Extra-Lehrer und Extrastunden gibt, wenn beim Kind offiziell der Förderbedarf festgestellt ist. „AO-SF” heißt das Kürzel: „Ausbildungsordnung Sonderpädagogische Förderung”. Bei vielen Eltern schwingt die Furcht mit: Hat das Kind erstmal den Stempel „sonderpädagogische Förderung” ist die Abschiebung zur Förderschule nicht weit. Die Rückkehr zur „normalen” Schule ist selten; die Perspektive nach der Förderschule ist schwierig. Die frisch gebackene Berufswahlkoordinatorin Eisenberg weiß, dass es darum geht, die Jugendlichen nach der Schule unterzubringen. Manchmal gebe es für die Jugendlichen die Chance, im Praktikum Eindruck zu machen. „Die meisten bekommen Plätze in Fördermaßnahmen”, sagt sie. Und dann? Ulla Eisenberg zuckt die Schultern. „Danach verliert sich der Kontakt zur Schule”, sagt sie. Die Schule am Steeler Tor will besorgten Eltern und schwierigen Schülern eine Alternativen anbieten. Sie bewirbt sich um ein Pilotprojekt. Die Schule will „Kompetenzzentrum für sonderpädagogische Förderung” werden. Die Stadt unterstützt den Antrag, das Land entscheidet, welche 20 Schulen in NRW den Zuschlag bekommen. Übrigens: alle zehn Essener Förderschulen waren interessiert, drei kamen in die engere Wahl. Denn das Kompetenzzentrum ist Hoffnungsträger bei der lange steigenden Zahl von Förderschülern. Hier wird das Prinzip umgedreht: Die Sonderpädagogen helfen, ohne dass Kinder ein AO-SF-Verfahren durchlaufen haben. Zwar gibt es bereits jetzt ein Dutzend Grundschulen, an denen Förderschüler bleiben können, dazu die Gesamtschule Holsterhausen. Aber auch diese Kinder und Jugendlichen müssen erst das Verfahren durchmachen – bislang. Jetzt bekommt – wenn das Land den Zuschlag erteilt – die Förderschule am Steeler Tor eine halbe Stelle zusätzlich und der Pädagoge kann sich um die Kinder kümmern, deren Verhalten oder Lernerfolg an den 21 Grundschulen im Sprengel Kummer macht, kann fördern, oder frühe Hilfe organisieren. Die Hoffnung ist, dass der Umstieg zur Förderschule ausbleibt. Der Anreiz für die Förderschule: Selbst wenn die Zahl der Schüler, derzeit 186, dadurch sinkt – es werden keine Lehrerstellen abgezogen. Damit werden noch mehr Lehrerinnen (bis auf eine Handvoll sind die 31 Pädagogen Frauen) frei, um an den Schulen im Umfeld Kinder zu fördern, ohne dass diese den Prägestempel bekommen, den viele Eltern als Benachteiligung empfinden. Im Endeffekt könnte es sein, dass sich die Förderschule überflüssig macht. Naja, bis das Steeler Tor geschlossen wird, bleiben noch viele Fragen offen. Susanne Röder wird sich gewiss nicht so bald eine neue Schule suchen müssen. Doch was passiert, wenn es mit dem Konzept vom Kompetenzzentrum nichts wird? Aus der Traum, der bereits einen rot-gelb-grün-bunten Ordner hinter ihrem Schreibtisch füllt? Susanne Röder zuckt die Achseln. Jeden Tag gibt es eine neue Chance. „Wir können von denen lernen, die Kompetenzzentrum werden.” Sie wird mit ihren 31 Kolleginnen und Kollegen kämpfen, dass die 186 Kinder sich gemocht fühlen, dass sie Schulfrust, desolate Elternhäuser und Vernachlässigung überleben. „Problem ist oft, dass die Gesellschaft das Verhalten nicht toleriert, dass sie andererseits brauchen, um in ihrer Familie oder Clique zu bestehen”, sagt sie. Also werden die Förderlehrer ihnen weiterhin mit den Kripo-Beamten die Grenzen aufzeigen und ihnen beim Fußball Spielräume verschaffen. Sie werden mit dem Jugendamt Hilfen organisieren und sie im Sport lehren, dass es auch beim Ringen und Raufen Regeln gibt. Schreinermeister Dieter Meinecke wird in seiner Werkstatt mit den Jugendlichen weiter an einer kleinen Zukunft feilen. „Och, ich lerne auch von denen”, sagt er. Soso. Was denn? „Na, Dummheiten”, sagt Meinecke, grinst und die Jugendlichen grinsen mit. Aus solchem Holz sind Menschen geschnitzt, die Kindern neue Chancen geben. Tag für Tag.