Silvia von Schweden besuchte Essen und machte den Ratssaal zum Ratesaal. Der achtjährige Finn Thieme begleitete sie

Finn ist aufgeregt. Sehr aufgeregt. Der Achtjährige steht im Foyer des Essener Rathauses und wippt ein wenig auf und ab. Draußen vor der Tür hängt die schwedische Fahne ziemlich schlapp am Mast. Es nieselt, und Finn fragt sich zum x-ten Mal, wann Ihre Majestät, Königin Silvia von Schweden, nun endlich in ihrem dicken großen Auto um die Ecke biegen wird. „Ob sie wohl eine Krone trägt? Und ein tolles Kleid?”

Ein Reporter muss warten können, das gilt auch für einen Kinderreporter, der für die NRZ zwei Interviews führen will. Eins mit der Königin und eins mit Willi Weitzel, dem gut gelaunten Reporter aus der Kindersendung „Willi will's wissen”. Finn wartet, den Block in der einen, den Kuli in der anderen Hand. Dann endlich fährt der Mercedes vor.

Silvia von Schweden trägt ein schlichtes, auberginefarbenes Kleid und eine weiße Perlenkette um den Hals. Die zierliche Frau lächelt den klatschenden Schaulustigen zu, streift Finn mit einem flüchtigen Blick und läuft schließlich mit vielen Anzugträgern im Gefolge Richtung Ratssaal. „Die hat ja gar keine Krone auf”, sagt Finn und: „Die hab' ich mir ganz anders vorgestellt.” Dann verfolgt er ihre Spur.

Dass eine Königin nach Essen kommt, ist nichts Alltägliches, und auch Silvia von Schweden hat zwei gute Gründe: Vor 20 Jahren haben die Vereinten Nationen die Kinderrechtskonvention verabschiedet, vor zehn Jahren gründete die Königin die World Childhood Foundation – eine Stiftung, die sich weltweit für benachteiligte Kinder einsetzt. Darüber spricht sie im Ratssaal, das Deutsch der gebürtigen Heidelbergerin ist fließend, der schwedische Akzent weich und sympathisch. Finn kann gar nicht so schnell mitschreiben, wie die Königin redet. „Jedes Kind soll geschützt werden vor Gewalt”, steht in sauberer Druckschrift auf seinem Block.

Die prominente Rednerin ist längst weiter: „Auf meinen Reisen habe ich immer Kinder in größter Not sehen müssen. Irgendwann kam ich zu einem Punkt, wo ich mich gefragt habe: Was kann ich tun, um das zu ändern?”, sagt sie. Ihre Stiftung hat schon viel bewirkt. Und doch: „Das Leid der Kinder ist immer noch zu groß.” Silvia von Schweden mahnt, die Kinderrechte ernst zu nehmen. Die USA und Somalia haben die UN-Kinderrechtskonvention nicht ratifiziert, in vielen weiteren Staaten, darunter Deutschland, sind die Rechte nicht im Gesetz festgeschrieben. Als die Königin appelliert, sie ins Grundgesetz aufzunehmen, wird deutlich, wie sehr der 65-Jährigen die Sache am Herzen liegt.

„Die ist nett”, sagt Finn. Er hat sich ein paar Fragen ausgedacht, die er der Königin stellen will. Ob's klappt, weiß er nicht. „Wir schauen mal”, hat die Sprecherin der World Childhood Foundation vorhin angekündigt. Lässt das königliche Protokoll einen Kinderreporter zu? Zumal er doch schwedische Verwandte hat und „Hjärtligt välkommen till Tyskland” auswendig kann?

Inzwischen ist der Ratssaal zum Ratesaal geworden. Willi Weitzel spielt Günther Jauch, und endlich kommen die Essener Schülerinnen und Schüler zu ihrem Einsatz, die aufgeregt auf der Zuschauerempore sitzen. Sie haben am Projekt „Kinderrechte kennen” des Essener Kinderschutzbundes teilgenommen und kennen sich gut aus. „Ich finde Kinderarbeit schlimm, weil die Kinder dann keine Freizeit und keine Kindheit haben”, sagt zum Beispiel Selina (11). Und ihre Freundin Patricia ergänzt: „Ich finde das Recht auf Bildung sehr wichtig, denn ohne Bildung könnten wir nicht lesen, schreiben, rechnen. Und das ist wichtig fürs Leben.” Beide drücken ihren Klassenkameraden Annika und Edgar die Daumen, die unten im Saal um den Quiz-Sieg kämpfen.

Die Fragen, die die elf Teams aus Kindern und Politikern beantworten müssen, sind nicht alle leicht. Dürfen Lehrer die SMS eines Schülers lesen? Nein! Wann ist der Tag der Kinderrechte? Am 20. November! 18 Fragen, 18 Antworten – am Ende steht das Team von Siebtklässlerin Alexandra als Sieger fest.

„Halt dich bereit”, flüstert eine Frau Finn zu. „Nur eine Frage!” Finn streicht seinen Block glatt, geht auf die Königin zu. Vor Aufregung vergisst er fast, was er wissen will. Dann darf er seine Frage endlich loswerden: „Warum setzen Sie sich für Kinderrechte ein?” Die Königin lächelt den Achtjährigen an und sagt mit zarter Stimme: „Ich möchte, dass jeder über die Kinderrechte Bescheid weiß, die Eltern, die Lehrer und viele andere Menschen.” Und sie gibt ihm die Hand. Am Handgelenk trägt sie dasselbe Armband wie Finn. Jede Perle steht für ein Kinderrecht. „Das Armband heb ich auf”, sagt Finn zufrieden. Und er klappt seinen Block zu.