Essen. Außenministerin Baerbock wird von den Islamisten nicht die Hand gereicht. Trotzdem ist die Reise ins neue Syrien wichtig

Als die deutsche Außenministerin und ihr französischer Kollege den neuen Machthaber Syriens treffen, reicht Ahmed al-Scharaa, früher bekannt als Abu Muhammad al-Dscholani, dem Franzosen die Hand – nicht aber Annalena Baerbock. Feministische Außenpolitik gerät im neuen Syrien an ihre Grenzen. Trotzdem war es wichtig, dass Baerbock und Jean Noel Barrot knapp einen Monat nach dem Sturz des Langzeitdiktators Assad als erste Ressortchefs der Europäischen Union nach Syrien gereist sind.

Die geopolitische Tektonik in der Region hat sich fundamental verändert. Moskau muss seine Truppen aus dem Mittelmeer-Marinestützpunkt Tartus verlegen, die vom Iran gesteuerte „Achse des Widerstands“ gegen Israel ist zerbröselt. Die Türkei, Katar und mit Abstrichen Saudi-Arabien als langjährige Unterstützer der syrischen Islamisten haben massiv an Einfluss gewonnen.

Der Westen – allen voran die Europäische Union – hat es in den vergangenen Jahren versäumt, engere Beziehungen zu den säkular-progressiven Kräften unter kurdischer Führung aufzubauen, die den Nordosten Syriens kontrollieren.

Jetzt sind Islamisten unter Führung der bislang als Terrororganisation geltenden Haiat Tahrir as-Scham (HTS) die Ansprechpartner in Syrien. Die neuen Herrscher haben mehrfach versprochen, alle Bevölkerungsgruppen einzubeziehen. Sie sind auf das Wohlwollen finanzkräftiger Partner beim Wiederaufbau des kriegswunden Landes und der Ankurbelung des am Boden liegenden Wirtschaft angewiesen. Dollar- und Euro-Diplomatie könnten also zu Grundsteinen eines inklusiven Syriens werden.

Es ist deswegen richtig, mit den Islamisten zu sprechen und die menschenrechtlichen Erwartungen des Westens klar zum Ausdruck zu bringen – überlässt man das Land wie Afghanistan seinem Schicksal, wird das neue Fluchtbewegungen auslösen.