Köln/Alpen. „Vielleicht hat das Leben Besseres vor“ spielt wieder in ihrer Heimat, in Alpen am Niederrhein. Wir haben sie interviewt.
Voll war es in der Spargelscheune in Alpen-Veen, als die aus dem Fernsehen bekannte Moderatorin Anne Gesthuysen in ihrer alten Heimat zur Lesung lud. „Vielleicht hat das Leben Besseres vor“ heißt ihr fünfter Roman. Im Interview erzählt die Autorin und Journalistin, wie es war, auf dem Dorf am Niederrhein aufzuwachsen.
Frau Gesthuysen, Sie sind in Alpen aufgewachsen und in Xanten zum Gymnasium gegangen, bevor Sie in Dortmund studiert haben. Nun leben Sie schon lange in Köln. Wie eng sind Sie noch mit dem Niederrhein verwurzelt?
Anne Gesthuysen: Noch sehr eng, zum einen wegen meiner Familie, aber es gibt auch noch Freunde und Bekannte von früher. Mein Bruder lebt immer noch auf dem elterlichen Hof, es ist ein Reiterhof, und ich bin regelmäßig dort. Es ist ja von Köln auch nicht weit.
Mal ebkes nach Alpen...
Genau (lacht)! Das ist ein typisch niederrheinischer Ausdruck. Einiges davon habe ich noch drauf, anderes, wie das dat und wat, habe ich mir im Sprachtraining während des Volontariats beim WDR abgewöhnt.
Der Niederrhein ist schön, auf einem Hof in einem Dorf wie Alpen-Veen wächst man sicherlich gut behütet auf. Für Heranwachsende kann das Ländliche aber langweilig sein. Wie haben Sie das empfunden?
Sowohl als auch. Meine Kindheit war wirklich sensationell. Wir hatten viele Freiheiten, konnten jeden Tag raus und sind mit den Ponys über die Stoppelfelder geritten. Ich habe mir zum Beispiel in alten Bäumen ein Baumhaus gebaut, mit Hammer und Nagel, und bin zigmal runtergefallen (lacht). Großartig! Zu meiner Zeit gab es ja keine Handys. Wir hatten irgendwann mal eine Spielekonsole, die hat ein Freund meines Vaters uns geschenkt. Das war natürlich attraktiv, aber eigentlich hat mir nichts gefehlt. Im Gegenteil. Wir hatten Abenteuer, die können sich Städter vielleicht nicht vorstellen.
Erzählen Sie bitte!
Mein Opa hatte einen Bauernhof, den mein Vater später nicht mehr betrieben hat. Meine Eltern haben die einzelnen Scheunen und Felder dann vermietet bzw. verpachtet. In den früheren Schweineställen waren Schrotthändler, von denen einer wirklich sehr seltsam war. In meiner Erinnerung war das ein sehr alter Holländer, der komische Sachen trank, irgendwie eine Mischung aus Bier und Milch. Eine andere Scheune war an einen Metzger vermietet, der einen Lkw dort stehen hatte. Wir haben schnell mitgekriegt, dass hinter der Sonnenblende der Schlüssel steckt. Und dann sind mein Bruder und ich damit durch die Scheune gebrettert. Ich kam nicht mal an die Bremse, sodass es schon ein kleines Wunder war, dass wir das überlebt haben (lacht).
Puh, das gab sicher ordentlich Gerede. Auf dem Dorf kennt doch jeder jeden, und alle wissen alles…
Das ist so, alle wissen sogar noch viel mehr, als wirklich passiert ist. Die Gerüchteküche ist immer da. Die Auswahl an Menschen ist auf dem Dorf natürlich beschränkt, alle Jugendlichen sind miteinander befreundet. Das ist eine riesige Clique, das ist was Schönes. Mir war aber auch früh klar, dass ich irgendwann wegwill.
Die Frau Erbs aus Ihrem Buch, ist das eine typische Frau vom Niederrhein? Neugierig, fast schon distanzlos, um bloß alles mitzubekommen und weiterzutratschen, so eine Art Social Media vom Dorf?
So ähnlich kann man das sehen, ja! Sie und die Bäckerin sind eine Art Duo infernale, das nur darauf wartet, etwas aufzuschnappen und weitererzählen zu können.
Und dann ist im Dorf auch noch einer schwul...
Martinchen rückt erst spät damit heraus, dass er auf Männer steht. Das ist in Alpen sicherlich auch schwieriger als zum Beispiel in Köln. Ein Kinderfreund von mir hat sich erst mit 18 oder 19 Jahren geoutet, das war gar nicht so leicht für ihn. Das ist bei Martinchen genauso, aber in seinem Kopf war es schlimmer, als es dann tatsächlich war.
Basiert die Handlung in Ihren Romanen immer auf wahren Begebenheiten wie persönlichen Erlebnissen?
Es ist eine Mischung von beidem. Die einzelnen Geschichten spuken irgendwo in meiner Erinnerung herum. Manchmal ist es so, dass es reale Vorbilder für die Protagonisten in den Büchern gibt, die ich dann zu einer Romanfigur verarbeite. Der Kern der Geschichte in Vielleicht hat das Leben Besseres vor ist ja der Unfall, den Raffaela als Baby hat. Das ist tatsächlich eine reale Geschichte, die mir mit unserem Sohn passiert ist, als er etwa 14 Monate alt war. Wir waren auf dem Weg in den Baumarkt, er sollte einen Sandkasten bekommen. Ich habe ihn in den großen Einkaufswagen gesetzt, 100 Kilo Sand und eine Menge andere Sachen gekauft. Und dann ist der Wagen samt Kind drin mir auf dem Parkplatz umgekippt, ich konnte ihn nicht halten. Das sind Erlebnisse, die vergisst man nie wieder, in unserem Fall ist das, bis auf den Riesenschrecken und viele Nächte mit schlimmen Alpträumen, relativ glimpflich ausgegangen.
Bei Raffaela im Buch nicht..
Ja! Ich habe mir immer wieder bewusst gemacht, was wir für ein Glück hatten – aber auch, wie schnell das Leben eine andere Wendung bekommt. Und eine Wendung, wo es manchmal nicht reicht, zu sagen ‘Tut mir leid, das habe ich nicht mit Absicht gemacht’, sondern man die Konsequenzen tragen muss. Das habe ich mir vorgestellt: Wie hätte ich diese Konsequenzen getragen? Hätte ich das geschafft, hätte meine Familie das geschafft? Was macht das mit einem Leben und einem Menschen? Mit einer Seele? Wenn man dem Kind, das man liebt, so schweren Schaden zufügt. Den Worst Case als Szenario habe ich mir in dem Buch in Person von Raffaela ausgemalt.
Daher der Titel, oder?
Ja! Für diese Familie, vor allem für die Mutter Heike, spitzt sich die Situation so zu, dass man das Gefühl hat, gleich fährt der Karren vor die Wand – und dann ist alles kaputt. Daher der Titel ‘Vielleicht hat das Leben Besseres vor’. Das Leben nimmt manchmal dramatische Wendungen, aber ich finde, man darf die Suche nach einem Ausweg oder einer Lösung eben nicht aufgeben.
Wie ist bisher die Resonanz auf Ihren Roman?
Sehr gut, ich bin zufrieden! ‚Vielleicht hat das Leben Besseres vor‘ steht auf der Bestsellerliste. Auch die Lesungen sind super gelaufen. Ich lese einzelne Passagen aus dem Buch vor und erzähle die Hintergründe. Es gibt natürlich auch Reaktionen von Menschen, die mir wichtig sind, zum Beispiel von einer Freundin, die eine Tochter mit einer geistigen Beeinträchtigung hat und die Geschichte mit Raffaela aus dem Buch nachvollziehen kann. Ich habe mit ihr im Vorfeld darüber gesprochen, und sie war sehr angetan von dem Buch. Das hat mich total gefreut.
Wenn Sie in Ihre Heimat zum Lesetermin fahren, ist das also immer auch so etwas wie ein Coming-Out?
Die Premierenlesung zum neuen Buch findet ja traditionell in meinem Dorf, auf dem Spargelhof Schippers in Veen, statt. Ich habe diesen Roman extra auf dem Spargelhof spielen lassen, weil ich die Hoffnung hatte, dass ich in der nächsten Saison immer einen Tisch bekomme, wenn ich will. Ansonsten suche ich für die Geschichte nach typisch niederrheinischen Namen und gehe dazu meine Grundschulklasse durch. Dann muss ich mich zur Premiere erst mal entschuldigen und klarstellen: Ihr seid gar nicht gemeint (lacht).
Vom Fernsehen haben Sie sich, bis auf die Moderation der ‘Aktuellen Stunde’ im WDR, weitestgehend zurückgezogen. Warum?
Ich habe zehn Jahre lang das Morgenmagazin gemacht, das war schon meine Herzenssendung, aber das ist nun einmal viel Nachtarbeit und mit einem kleinen Kind zu Hause sehr fordernd. Also habe ich schweren Herzens und heulend aufgehört. Dann kam die Anfrage, vertretungsweise die ‘Aktuelle Stunde’ zu moderieren, auch ein tolles Format und von der Arbeitszeit deutlich lebbarer. Das sind rund vier Termine im Monat, da bleibt also noch Zeit für anderes: Familie, Hund und Tennis. Allerdings hat mein Mann schon gesagt: ‚Entschuldige, du bist jetzt für das Familieneinkommen zuständig. Alle drei Jahre ein Buch zu schreiben, das reicht nicht mehr´ (lacht).
Drei Bücher zu gewinnen
Zur Person: Anne Gesthuysen, geboren am 2. Oktober 1969 in Geldern. Aufgewachsen in Alpen, Besuch des Stiftsgymnasiums in Xanten, dann Journalistik-Studium an der Uni Dortmund. Ab 1997 beim WDR, danach Moderation der „Lokalzeit“ und der „Aktuellen Stunde“. Von 2002 bis 2014 moderierte sie das ARD- „Morgenmagazin“, derzeit steht sie wieder für die „Aktuelle Stunde“ vor der Kamera. Bücher: „Wir sind doch Schwestern“ (2012, Platz eins der Bestsellerliste), „Sei mir ein Vater“ (2015), „Mädelsabend“ (2018), „Wir sind schließlich wer“ (2021) und „Vielleicht hat das Leben Besseres vor“ (2024). Lesetermine am Niederrhein: 15. Januar (19 Uhr), De alde School, Voerde; 4. April (20 Uhr), Bürgerhaus Rees. Tickets hier.
Gewinnspiel: Wir verlosen drei Exemplare von „Vielleicht hat das Leben Besseres vor“. Viel Glück!