Düsseldorf. Pistorius verzichtet auf Kanzlerkandidatur. Mancher an der Basis wird enttäuscht sein. Das zeigt ein Abend in Düsseldorf
Es ist Donnerstagabend, als die Bombe platzt: Boris Pistorius wendet sich in einer Videobotschaft an die Parteimitglieder und erklärt, dass er auf eine Kanzlerkandidatur verzichtet. Mit Olaf Scholz habe man einen „hervorragenden Bundeskanzler“. Der Verteidigungsminister erspart seiner Partei damit eine Zerreißprobe. Wie sehr es an der Basis rumort, hat sich am Abend zuvor im Johannes-Rau-Haus in Düsseldorf gezeigt.
Ein Abend zur sozialdemokratischen Friedenspolitik stand am Mittwoch auf dem Programm in der Düsseldorfer Parteizentrale der SPD. Natürlich zielte das Thema auf die globalen Verwerfungen ab, aber auch mit dem innerparteilichen Frieden ist es in der SPD seit dem Bruch der Ampelkoalition – einmal mehr – vorbei. Die Partei kämpft bis Donnerstagabend mit sich und der Frage, wer sie in den Wahlkampf führen soll: Kanzler Olaf Scholz oder Verteidigungsminister Boris Pistorius, der derzeit deutlich bessere Beliebtheitswerte einfährt. So viel wurde an diesem Abend in Düsseldorf klar – auch in der Landeshauptstadt ist die Basis uneins.
Es ist eine Mischung aus Trotz, Zweckoptimismus und Resignation, die einem an diesem Abend begegnet. Der Name der Parteizentrale erinnert die Genossinnen und Genossen schmerzlich an Zeiten, in denen kein Zweifel daran bestand, dass die SPD eine Volkspartei ist. Johannes Rau, die Lichtgestalt der nordrhein-westfälischen Sozialdemokratie, scheiterte zwar bei der Bundestagswahl 1987 als Kanzlerkandidat gegen Helmut Kohl. Aber die SPD holte damals 37 Prozent. Aktuell liegt sie in Umfragen bei gerade mal 15 bis 16 Prozent.
Über die Frage, ob die kommende Bundestagswahl zu einem Desaster wird, herrscht beim Ehepaar Fockenbrok Uneinigkeit. Sie sei „ganz klar optimistisch“, sagt Martina Fockenbrok, und dass sie gerne Plakate für Olaf Scholz aufhängen werde. Ihr Mann Dieter hingegen ist deutlich pessimistischer. „Ich bin überzeugt, dass das Wahlergebnis ob mit Scholz oder Pistorius nicht besonders dolle ausfallen wird.“ Daraus zieht er den Schluss, dass es keinen Sinn mache, den Kanzlerkandidaten auszutauschen. Pistorius würde nur in diesem Wahlkampf verbrannt.
Stina Ossowiczsch (41) warnt ebenfalls davor, Pistorius zum Kanzlerkandidaten zu küren, allerdings aus einem anderen Grund. „Ich denke nicht, dass man auf den Martin-Schulz-Effekt hereinfallen sollte und die Person aufstellen sollte, die im Moment die besten Umfrageergebnisse hat.“ Zur Erinnerung: Schulz war nach einem bombastischen und von vielen sozialdemokratischen Hoffnungen begleitetem Wahlkampfauftakt 2017 kläglich gescheitert.
Die Frage von Krieg und Frieden bewegt viele an der Basis
Ossowiczsch setzt aus pragmatischen Gründen auf Scholz. Seine Vorstellungen von Politik seien bekannt, von Pistorius lediglich seine Positionen in der Verteidigungspolitik, nicht aber auf anderen Politikfeldern auf Bundesebene. Der Lehrerin ist zudem die Friedenspolitik besonders wichtig, über die an diesem Abend Rolf Mützenich referieren wird, der Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Pistorius, so heißt es in Berlin, könne anders als Scholz einer Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die überfallene Ukraine nicht grundsätzlich abgeneigt sein.
Die Frage nach Krieg und Frieden ist auch eine, die Dieter Schormann (68) bewegt. „Wir müssen dringend zurückkommen zu einer Entspannungspolitik, zu einer Friedenspolitik, die ihren Namen verdient“, sagt er und dass der Kanzler zwar richtige Schritte unternommen habe, diese aber nicht ausreichten. Trotzdem geht für ihn kein Weg daran vorbei, dass Scholz die Partei in den Wahlkampf führt: „Ich bin ganz klar der Meinung, dass das der Kanzler machen muss, da gibt es überhaupt nichts herumzudeuteln. Schormann ist über die derzeitigen Diskussionen verärgert: „Ich finde es bemerkenswert, dass einige, auch Abgeordnete, ihr eigenes Profil über das der Partei stellen. Das ist für mich nicht tragbar.“
Es gibt aber an diesem Abend auch Menschen, die exakt das Gegenteil fordern: „Boris Pistorius sollte es machen, einfach, weil er die besseren Beliebtheitswerte hat. Mit ihm haben wir mehr Chancen“, sagt Petra Wysgall-Freymuth. Sie möge Olaf, so nennt sie den Kanzler, zwar, aber mit ihm werde es an den Wahlkampfständen nicht einfach. Es müsse aber schnell entschieden werden. „Eine Hängepartie ist nicht gut.“ Grundsätzlich sei sie aber optimistisch. „Wir sind guter Dinge. Aufbruchstimmung sozusagen.“
Und dann ist da noch ein Sozialdemokrat, der seinen Namen nicht nennen möchte, womöglich weil seine Meinung als zu defätistisch empfunden werden könnte. „Ich bin froh über das Ampel-Aus. Herr Scholz ist durch.“ Ob er damit meint, dass Scholz Kanzlerkandidat werden solle? „Nein“. Wer es denn dann machen solle? „Die SPD braucht keinen Kanzlerkandidaten – bei 16 Prozent“, sagt er und macht sich auf den Weg zur Friedensdiskussion im fünften Stock.