An Rhein und Ruhr. Wer aus dem Krankenhaus entlassen wird, dem steht eine Beratung über die weitere Versorgung zu. Doch das klappt nicht immer.

Den rechten Arm in einer Schlinge sitzt Irmgard Meier* im Rollstuhl in ihrer Wohnung. Sich selbst einen Kaffee zuzubereiten, fällt ihr schon schwer. „Ich war komplett selbstständig und bin jetzt hilflos“, sagt sie. Vor einigen Wochen ist sie gestürzt und musste an der Schulter operiert werden. Die OP ist gut verlaufen, doch eine große Herausforderung kam erst noch. die Seniorin wurde schnell aus der Klinik entlassen, vorbereiten konnte sich die alleinlebende Witwe darauf nach eigener Aussage nicht. Dabei haben Patienten einen gesetzlichen Anspruch auf eine Beratung.

Seniorin wurde drei Tage nach Operation entlassen

Nach ihrem Sturz in ihrer Düsseldorfer Wohnung Ende September musste Irmgard Meier um Hilfe rufen, bis Nachbarn kamen und den Rettungswagen verständigten. Drei Tage nach der Operation an der gebrochenen Schulter dann die Überraschung: „Morgens wurde mir gesagt, dass ich am gleichen Tag noch entlassen werde. Ich war richtig geschockt. Es konnte mich niemand abholen und es musste ein Krankentransport organisiert werden.“ Schon vor dem Sturz und der OP war Irmgard Meier nicht mehr gut zu Fuß war, weshalb ihr die Ärztin zuvor versicherte, ihr eine Gehhilfe zu beschaffen.

Kurz vor der Entlassung – „meine Tasche war schon gepackt“, erzählt Frau Meier – sei ihrer Zimmernachbarin aufgefallen, dass ihre Gehhilfe noch gar nicht gebracht wurde. „Ich habe dann nachgefragt und die Ärztin hat Krücken kommen lassen.“ Eine davon kann sie jetzt immerhin nutzen, um sich abzustützen, bis die Schulter verheilt ist. Und zu Hause hatte sie noch den alten Rollstuhl ihres verstorbenen Mannes. Zudem habe sie eine vorübergehende Verordnung bekommen, damit ein Pflegedienst sie zu Hause versorgen kann.

Beratungsangebote in NRW

Das NRW-Gesundheitsministerium teilt mit, dass NRW über ein breites Angebot an Informationsstellen für die Pflege verfüge. „Wesentliche Ansprechpartner sind die zuständigen Pflegekassen. Grundsätzlich haben pflegebedürftige Menschen ihnen gegenüber einen Beratungsanspruch, der auch Hilfestellung bei der Auswahl und Inanspruchnahme von bundes- oder landesrechtlich vorgesehenen Sozialleistungen sowie sonstigen Hilfsangeboten umfasst“, erklärt eine Sprecherin.

Zu den weiteren Angeboten zähle die Wohnberatung. Wohnberatungsstellen beraten umfassend darüber, welche Möglichkeiten es gibt, das eigene Haus oder die Wohnung den Bedürfnissen entsprechend anzupassen und erarbeiten konkrete Lösungsvorschläge, so die Sprecherin. „Zumeist bieten Kommunen auch eine aufsuchende Beratung an und informieren bereits vorab durch Broschüren über das örtliche Senioren- und Pflegesetting.“ In NRW gebe es über 4000 pflegeergänzende Angebote zur Unterstützung im Alltag. „Zudem gibt es ehrenamtliche Nachbarschaftshilfen.“

Doch wie genau wird ihr Alltag nun aussehen? Darüber sei sie nicht aufgeklärt worden. „Ich hatte in der Klinik gesagt, dass ich alleinstehend bin, aber niemand hat mich gefragt, wie ich zu Hause zurechtkomme. Mir wurde nur gesagt, dass ich in wenigen Monaten wieder fit sein werde“, berichtet Frau Meier. Wie in der Zwischenzeit ihre Unterstützung aussehen soll, sei ihr nicht klar gewesen, als sie entlassen wurde. „Mir hat niemand gesagt, wo ich Hilfe herbekomme und dass ich einen Pflegegrad brauchen werde.“

Pflegeberater kritisiert Unaufmerksamkeit in Klinik

Diesen Pflegegrad habe sie nun beantragt, damit eine durchgehende Versorgung durch den Pflegedienst gewährleistet ist. Denn die Verordnung der Klinik für die häusliche Pflege läuft nach 14 Tagen aus. Eine Folgeverordnung kann einweiterbehandelnder Arzt ausstellen. Das Problem für Irmgard Meier: Sie hat keinen Hausarzt. „Das ist mein Versäumnis“, räumt sie ein. Ihr alter Hausarzt sei vor zwei Jahren in Rente gegangen und sie hatte sich keinen neuen gesucht.

Das muss sie jetzt nachholen. Denn ohne neue Verordnung droht eine Versorgungslücke, da es ein paar Wochen dauern kann, bis ein Pflegegrad vergeben wird, wie der selbstständige Pflegeberater Oliver Grötzsch erklärt. Er sieht mangelhafte oder sogar fehlende Aufklärung von Patienten als großes Problem in der Krankenversorgung. Auch hätte man in der Klinik, die Irmgard Meier behandelte, aufmerksamer sein müssen: „Dem Arzt hätte auffallen müssen, dass sie sich als Rechtshänderin jetzt nicht mal mehr ein Brot schmieren kann“, meint er.

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„Da muss man genauer hinsehen. Die Frau hatte die rechte Schulter gebrochen und braucht den linken Arm, um sich abzustützen oder mit der Krücke zu gehen. Wie kommt das Butterbrot oder der Kaffee von der Küche ins Wohnzimmer? Man hätte schon in der Klinik darüber nachdenken müssen, welche Probleme es zu Hause geben kann“, bemängelt Grötzsch und ergänzt: „Auch dem Pflegedienst muss sowas auffallen.“

Klinik verteidigt sich gegen Vorwürfe

Eine Sprecherin der behandelnden Klinik äußert sich auf Anfrage dieser Redaktion. So habe es durch den Sozialdienst des Hauses zwei vorbereitende Gespräche mit Irmgard Meier gegeben. Auf Wunsch der Patientin sei die Entlassung um einen Tag verschoben worden. „Sie wurde ausführlich über Unterstützungsmöglichkeiten, wie durch einen ambulanten Pflegedienst, Hilfsmittel und Menüservice, beraten“, so die Kliniksprecherin.

Frau Meier sei am Tag der Entlassung so mobil gewesen, dass sie nach Absprache mit dem Sozialdienst in der häuslichen Umgebung zurechtkommen wollte. „Es ist immer bedauerlich, wenn Patienten unsere Klinik verlassen und mit der Beratung nicht zufrieden sind. In diesem konkreten Fall sehen wir unsererseits kein Versäumnis.“

Ministerium: Patienten steht Beratung zu

Doch welche Aufklärung steht Patienten zu? Vom Gesetzgeber ist eine Beratung vor der Entlassung aus einem Krankenhaus vorgesehen, erklärt eine Sprecherin des NRW-Gesundheitsministeriums auf Anfrage. „Die Krankenhausbehandlung umfasst ein Entlassmanagement, um sicherzustellen, dass Versicherte nach der stationären Behandlung im Krankenhaus eine angemessene und lückenlose ambulante Versorgung erhalten.“ Dazu solle festgestellt werden, welche „medizinischen oder pflegerischen Maßnahmen im Anschluss an die Krankenhausbehandlung erforderlich sind“. Diese sollen zudem von den Kliniken eingeleitet werden.

„In der Regel finden im Krankenhaus im Rahmen des Entlassmanagements sowohl eine Beratung und Information des Patienten und bei Bedarf dann nachfolgend auch eine Verordnung statt“, so die Ministeriumssprecherin weiter. „Zusätzlich berät auch der Soziale Dienst eines Krankenhauses in sozialen Fragen.“ Ob die Ärzte im behandelnden Krankenhaus im Fall von Frau Meier diese Vorgaben verletzt haben, könne man nicht sagen, da der Fall dem Ministerium nicht bekannt sei.

Krankenkassen sind erster Ansprechpartner

Unabhängig vom Anspruch auf Beratung empfiehlt Oliver Grötzsch: „Viele kommen auch gar nicht auf die Idee, ihre Krankenkasse anzurufen, wenn sie Hilfe brauchen. Dabei haben die Geld, Ideen und Möglichkeiten. Der erste Einfall bei einem Problem muss also sein: Ich rufe meine Krankenkasse an.“ Dazu rät auch das NRW-Gesundheitsministerium: „Versicherte können sich direkt bei ihrer Krankenkasse zu den Leistungen der häuslichen Krankenpflege informieren und beraten lassen.“

*Irmgard Meier will ihren richtigen Namen nicht in dem Artikel lesen. Der Name wurde von der Redaktion geändert.