Essen. Bei den Angriffen in Essen am Wochenende soll es dem mutmaßlichen Täter (41) um seine Frau gegangen sein. Toxische Männlichkeit? Expertin erklärt.

Eine Stadt im kurzzeitigen Ausnahmezustand: Als ein 41-jähriger Mann am Samstagabend (28. September) unter anderem zwei Häuser anzündet und mit einer Machete einen Gemüseladen stürmt, ist das Motiv erst noch völlig unklar. Doch es dauert nicht lange, bis sein Rechtsanwalt erklärt, dass der Mann mit syrischer Staatsangehörigkeit psychisch auffällig und offenbar von persönlichen Motiven getrieben worden sei: Seine Frau hatte sich von ihm getrennt. Damals – vor etwa drei Jahren – sei die Frau mit den drei Kindern ins Frauenhaus geflüchtet. Wenige Tage nach den Taten in Essen heißt es dann seitens des Anwalts: Sein Mandant habe sich im Wahn befunden und seine Familie schützen wollen. Was auch immer letztendlich das Motiv des 41-Jährigen war: Es ging um seine Frau.

Was haben Taten wie diese in Essen mit Männlichkeitsbildern und Besitzansprüchen zu tun? Die Expertin Dr. Heike Mauer klärt auf. Sie ist Politikwissenschaftlerin und forscht an der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerkes Frauen- und Geschlechterforschung NRW an der Universität Duisburg-Essen, unter anderem zu Hochschule, Gleichstellung, sexualisierter Gewalt und Antifeminismus. Für ihre Arbeit ist ihr im Jahr 2019 der Preis für exzellente Genderforschung des Landes NRW verliehen worden:

Was bringt Männer dazu, anderen Menschen Leid zufügen zu wollen, weil sie beispielsweise eine Trennung nicht verkraften können? Hat das etwas mit Besitzanspruch zu tun?

Ungleiche Geschlechterbeziehungen, Frauenfeindlichkeit und die Abwehr von weiblicher Selbstbestimmung und Autonomie sind tief in der Gesellschaft verankert. Partnerschaftsbezogene Gewalt ist ein weltweites Phänomen von erschreckendem Ausmaß und ein Ausdruck patriarchaler Geschlechterverhältnisse. Noch bis 1997 war in Deutschland etwa eine Vergewaltigung in der Ehe nicht als eine solche strafbar.

Geschlechterbezogene Gewalt ist ein Kontinuum, das nicht allein Frauen betrifft und auch nicht erst bei physischer Gewalt und Mord beginnt, sondern in vielerlei Hinsicht alltäglich ist. Beispielsweise in Form von Hassbotschaften oder Vergewaltigungsandrohungen im Netz. Angriffe von Männern auf Frauen, weil sie Frauen sind, dienen auch dazu, eine ungleiche Geschlechterordnung aufrechtzuerhalten, männliche Dominanz abzusichern und Frauen nicht nur privat, sondern auch gesellschaftlich „auf ihren Platz“ zu verweisen.

Dr. Heike Mauer ist Politikwissenschaftlerin und Genderforscherin beim Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW.  
Dr. Heike Mauer ist Politikwissenschaftlerin und Genderforscherin beim Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW.   © Privat | Bettina Steinacker

Wie sehen die Geschlechterbilder aus, die Täter haben? Was kennzeichnet das Männerbild, das sie von sich selbst haben?

Möglich werden solche Taten durch Vorstellungen von Männlichkeit, in denen Frauen als persönlicher Besitz erscheinen, ohne Recht auf Autonomie und Selbstbestimmung. Zurückweisungen und Trennungswünsche werden als nicht hinnehmbare Kränkungen verstanden, die diesen Männern in ihrer Selbstwahrnehmung das vermeintliche Recht geben, ihre Partnerinnen zu kontrollieren und zu bestrafen. Indem sie ihren (ehemaligen) Partnerinnen selbst Gewalt antun, sie gar töten oder, indem sie die Gewalt – wie im Essener Fall – gegen das tatsächliche oder vermeintliche Umfeld der Frau richten.

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Nun war der Täter aus Essen ein 41-Jähriger mit syrischer Staatsangehörigkeit. Würden Sie sagen, dort gibt es einen Zusammenhang? Eine Frage der Herkunft?

Es mag spezifische Ausdrucksformen von patriarchaler Gewalt geben, dennoch ist es so, dass häusliche Gewalt keine Herkunft und auch keine Klasse kennt, auch wenn die Betroffenen diese Gewalt jeweils spezifisch erleben. Dennoch: Mit „Migration“ und „anderen Werten“ sind solche Taten nicht zu erklären. Beispielsweise läuft derzeit in Niedersachsen ein Prozess gegen einen Soldaten der Bundeswehr, der mutmaßlich aus „Rache“, den Lebensgefährten seiner ehemaligen Partnerin, dessen Mutter, eine Freundin seiner ehemaligen Partnerin sowie deren dreijährige Tochter in einer militärisch geplanten Aktion getötet hat. In diesem Fall wird nicht danach gefragt, ob die Herkunft des Täters ursächlich für die Gewalttat ist.

„Mit „Migration“ und „anderen Werten“ sind solche Taten nicht zu erklären.“

Dr. Heike Mauer, Politikwissenschaftlerin und Genderforscherin aus Essen.

Was können wir als Gesellschaft tun? Wie können wir uns vor solchen Vorfällen besser schützen?

Wichtig ist, dass geschlechterbezogene Gewalt, häusliche Gewalt und Partnerschaftsgewalt in ihrem gesamtgesellschaftlichen Ausmaß endlich anerkannt, politisch ernst genommen und dagegen gehandelt wird. Notwendig hierfür ist beispielsweise eine bessere Finanzierung von Frauenhäusern, aber auch eine Schulung von Gerichten oder von Sicherheitsbehörden, damit patriarchale Bedrohungen und Gefährdungen und häusliche Gewalt auch tatsächlich erkannt werden und Betroffene somit wirksamen Schutz erhalten können.

Gesamtgesellschaftlich ist die Stärkung anderer Bilder von Männlichkeit notwendig, die nicht auf Dominanz, Stärke und Kontrolle von Frauen beruhen. Neben Präventionsarbeit beinhaltet dies auch eine Auseinandersetzung mit autoritären und extrem rechten politischen Bewegungen jeglicher Couleur, für die nicht nur das Ideal einer militarisierten und gewaltförmigen Männlichkeit, sondern auch die Abwehr von geschlechtlicher und sexueller Selbstbestimmung und Autonomie zentral ist.

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