Essen. Allein unter Männern: Anna-Lena Jacobs ist die einzige Müllwerkerin bei den Entsorgungsbetrieben Essen (EBE). Mit welchen Vorurteilen sie zu kämpfen hatte.

Unter der schwarzen Kappe versteckt Anna-Lena Jacobs ihre kurzen dunklen Haare. Mit dicken Arbeitshandschuhen schiebt sich die 30-Jährige ihre Brille auf die Nase. Dann geht es los. In knall-orange gekleidet und ausgestattet mit Stahlkappenschuhen läuft sie zum großen blauen Abfallbehälter. Ihr Kollege eilt hinterher. „Die großen Gefäße dürfen wir nur zu zweit holen. Bei den normalen Tonnen reicht einer“, sagt die Essenerin. Jacobs bugsiert den Behälter in die Vorrichtung des Müllwagens und drückt einen Knopf an der linken Seite, der die Tonne kippt.

Bei den Essener Entsorgungsbetrieben (EBE) hat die junge Frau den Job gefunden, der sie erfüllt, sagt sie, während der Abfall aus der blauen Tonne in das große Müllfahrzeug entleert wird. Dabei ist Jacobs ganz alleine unter Männern: Sie ist Essens einzige Müllwerkerin. Unter 800 Männern, die in der Ruhrgebietsstadt für Müllentsorgung und die Straßenreinigung zuständig sind, fühle sie sich trotzdem nie alleine.

Müllwerkerinnen in NRW: „Eine Seltenheit“

„Ein Unikat“, wie Gerd Walter von Verdi NRW sie nennt. „Der Anteil der Frauen, die Müllwerkerinnen sind, liegt in NRW im Promillebereich“, erklärt der Landesfachgruppenleiter im Bereich Ver- und Entsorgung. „Elf Prozent insgesamt machen Frauen bei den Entsorgungsbetrieben im Land aus, doch der Großteil der weiblichen Angestellten arbeitet in der Verwaltung. Vielleicht auch in der Disposition, aber hinten auf dem Trittbrett? Das ist eine wirkliche Seltenheit“, so Walter.

Seit November 2022 ist Anna-Lena Jacobs fest bei den Entsorgungsbetrieben. Vorher dominierten viele Jobwechsel und Unzufriedenheit das Berufsleben der Essenerin. „Ich bin vorher nie richtig angekommen.“ Erst machte sie ihren Hauptschulabschluss, danach holte sie den Realschulabschluss nach. Es folgten die Maßnahme der Jugendberufshilfe, die ihr den Übergang von der Schule in den Job erleichtern sollte – und Praktika in der Veranstaltungs- und Haustechnik. „Ich hatte aber immer Schwierigkeiten, mich an einem Arbeitsplatz einzufinden und ins Berufsleben zu kommen“, blickt die Müllwerkerin zurück.

Essenerin Anna-Lena Jacobs ist die einzige Müllwerkerin bei den Essener Entsorgungsbetrieben (EBE).
Essenerin Anna-Lena Jacobs ist die einzige Müllwerkerin bei den Essener Entsorgungsbetrieben (EBE). © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Eine weitere Maßnahme des Jobcenters legte ihr dann den Beruf der Müllwerkerin nahe. Dass sie ein gewisses Talent mitbringt, liegt wohl in ihren Genen: Ihr Vater ist selber seit 35 Jahren bei den Entsorgungsbetrieben Essen angestellt – und ist Müllwerker für Bioabfall. Kein Wunder also, dass er erfreut war, als sich seine Tochter dazu entschied, aus dem bloßen „Reinschnuppern“ einen richtigen Vollzeitjob zu machen.

Anfangs war sie Springerin, jetzt – seit etwa neun Monaten – ist sie mit festen Kollegen unterwegs und für das Altpapier zuständig. Insgesamt 20 Reviere fährt das Team in Essen an. Um 6.30 Uhr startet ihr Arbeitstag in der Regel. Ob ihr das etwas ausmacht? „Nein, ich bin eh eine Frühaufsteherin“, stellt sie klar. Dass sie ihre Entscheidung nicht bereut, merkt man Jacobs schnell an. „Ich wusste nie, wo ich hingehöre, aber hier bin ich angekommen“, sagt sie. Ein breites Grinsen zieht sich über ihre Wangen.

„Ich will beweisen, dass auch Frauen den Job machen können“

„Für viele Frauen ist die Arbeit als Müllwerkerin nicht attraktiv genug. Und man muss bedenken: So eine Tonne kann richtig was wiegen, da braucht man schon Power. Als Frau muss man sich das zutrauen. Der Beruf des Müllwerkers oder der Müllwerkerin ist eine echte Männerdomäne, da muss man sich durchsetzen können“, sagt Gewerkschaftsmann Walter im Gespräch mit unserer Redaktion.

Eine Erfahrung, die auch Anna-Lena Jacobs anfangs gemacht hat: Der erste Arbeitstag sei für sie vor allem mit Angst verbunden gewesen. „Als ich neu war, haben mich viele erstmal schräg angeschaut und meine Tante hat mich direkt gefragt, ob der Job nicht zu schwer für mich ist. Aber ich wurde von allen nett empfangen. Und heute sagt meine Tante auch: ‚Du scheinst ja wirklich angekommen zu sein.‘“

Anna-Lena Jacobs.

„Papa ist stolz. Und ich bin stolz, dass ich seine Fußstapfen treten darf. “

Anna-Lena Jacobs (30), Essens einzige Müllwerkerin

Dass sie die einzige Frau ist, die mit auf dem Trittbrett fährt, stört sie nicht mehr. Über die eine oder andere Frau mehr an Bord würde sich Jacobs trotzdem freuen. „Ich glaube, viele Frauen trauen sich nicht, weil sie vielleicht denken, dass sie das nicht können. Ich will aber beweisen, dass auch Frauen den Job machen können.“

Essens einzige Müllwerkerin: „Ich hoffe, dass ich das noch lange machen darf“

„Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Wenn es nicht passt, kann man immer noch etwas verändern“, sagt sie und schaut zu ihrem Kollegen, der neben dem Abfallfahrzeug auf sie wartet. „Bei mir stärkt die Arbeit mit den Männern sogar mein Selbstbewusstsein, weil ich mich beweisen kann.“ Unterschätzt wird sie mittlerweile nicht mehr, „aber es wird natürlich trotzdem gut auf mich geachtet“. Für Jacobs eher ein Grund zur Freude. „Ich hoffe, dass ich das noch lange machen darf. Ich kann mir nichts anderes mehr vorstellen.“

Auch in ihrem Bekanntenkreis hat die Jobentscheidung für Freude gesorgt: „Meine Freunde und mein Umfeld finden es richtig cool, dass ich den Job mache.“ Und wie sieht es aus mit ihrem Vorbild? „Papa ist total stolz. Und ich bin stolz, dass ich in seine Fußstapfen treten darf.“