Düsseldorf/Münster. Das Gesundheitswesen ist auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen. Ein Arzt aus NRW betreut 150 Mediziner, die monatelang vergeblich warten.
Mitte Juli hat Saifallah A. seinen Arbeitsvertrag unterzeichnet. Am 1. September könnte der in Düsseldorf lebende Palästinenser in einem Krankenhaus am Niederrhein anfangen. Wäre da nicht ein Hemmnis: Sein Studienabschluss der Universität Nablus muss in Deutschland anerkannt werden. Und das dauert. Nicht nur im Fall des 27-Jährigen, der angesichts der Lage in Nahost besonders schwierig ist.
Da hilft es ihm wenig, dass er bereits 2021 von der Universität in Nablus seine Approbation erhielt. Entscheidend ist die Frage, ob und was dieser Abschluss in NRW zählt. Und hier warten mehr als 150 Medizinerinnen und Mediziner mit Hochschulabschlüssen aus dem Ausland weit über ein Jahr auf die Anerkennung ihrer Qualifikation. „Das ist dann natürlich stets für beide Seiten unerfreulich und einschränkend. In einigen Fällen erhalten die Antragssteller zunächst auch nur eine Berufserlaubnis“, so die Städtischen Kliniken Nettetal, an denen Saifallah A. anfangen könnte. Eine Berufserlaubnis bedeutet: Ein Arzt darf arbeiten, aber im Prinzip muss ihm bei jedem Handgriff ein ausgebildeter Mediziner auf die Finger gucken.
Wartezeiten von mehr als einem Jahr für junge Ärzte
Für die vollständige Anerkennung als Arzt ist in Nordrhein-Westfalen die Zentrale Anerkennungsstelle für Gesundheitsberufe (ZAG) zuständig. Sie ist angesiedelt bei der Bezirksregierung Münster. Diese räumt auf NRZ-Anfrage ein: „Zurzeit liegen der Bezirksregierung Münster vier Untätigkeitsklagen vor.“ Zu verdanken hat das die Behörde unter anderem Dr. Nihad Al-Hussin. Der 40-jährige Oberarzt aus Ostwestfalen betreut mittlerweile rund 150 Medizinerinnen und Mediziner mit ausländischen Studienabschlüssen, die zum Teil mehr als ein Jahr auf ihre Approbation warten, um in Nordrhein-Westfalen als Arzt arbeiten zu können. „Angesichts des Medizinermangels ist das Arbeitstempo dieser Behörde skandalös“, so Al-Hussin.
Manchmal, so schildert es Al-Hussin, dauert es mehr als drei Monate, bis überhaupt der Eingang der Unterlagen von der Bezirksregierung bestätigt wird. Dabei darf sich eine Behörde dafür maximal vier Wochen Zeit nehmen. „Nachweislich liegen in mehreren Fällen Anträge über 14 Monate unbearbeitet bei der Bezirksregierung“, so Al-Hussin. Der gebürtige Syrer hat Glück: Er kam nach dem Abitur 2010 nach Deutschland, absolvierte sein Medizinstudium im Inland. Auch, wer innerhalb der EU seine Ausbildung gemacht hat, kann recht problemlos in Deutschland arbeiten – Sprachkenntnis vorausgesetzt.
Deutlich schwieriger ist das für Medizinerinnen und Mediziner vor allem aus nordafrikanischen Ländern. Insbesondere Absolventen aus Kriegs- und Krisengebieten wie dem Gazastreifen, den Palästinensergebieten oder auch aus der Ukraine tun sich schwer, unter den gegenwärtigen Bedingungen an die Dokumente ihrer Hochschulabschlüsse zu kommen. Eine junge Ärztin aus dem Gazastreifen hatte bereits vor dem Krieg dort ihren Antrag auf Approbation gestellt. Die Universität, von der sie Unterlagen und Zeugnisse benötigt, existiert nicht mehr.
Ukraine: 562 Anträge, 17 Approbationen
Vor ähnlichen Schwierigkeiten dürften Ärztinnen und Ärzte, wie so viele Berufstätige, aus der Ukraine stehen: Seit Februar 2022 haben 562 Medizinerinnen und Mediziner aus der Ukraine beantragt, als Arzt in NRW arbeiten zu dürfen. Bislang wurden gerade mal 17 Approbationen erteilt. „523 befinden sich in der weiteren Bearbeitung“ heißt es aus Münster. 19 Anträge seien zurückgenommen worden.
Wer im Ausland, zumal außerhalb der EU, studiert hat, muss sich zur Anerkennung seines Abschlusses in NRW an die Bezirksregierung Münster wenden. Die Behörde, die für alle Gesundheitsberufe von der Pflegekraft bis zur Psychotherapeutin zuständig ist, verzeichnete 4624 Anträge im Jahre 2023. Was Ärztinnen und Ärzte angeht, gab es 2529 unbearbeitete Verfahren in Deutschland. Zwei Jahre zuvor waren es erst 1644 Verfahren. In 2022 wurden immerhin etwas mehr als tausend Approbationen erteilt.
Wenn sich die Behörde endlich des Falls annimmt, muss sie in vielen Fällen eine sogenannte „Gleichwertigkeitsprüfung“ vornehmen. Anders als bei Uni-Abschlüssen in der EU muss festgestellt werden, dass die berufliche Qualifikation im Herkunftsland des Antragstellers der Ausbildung in Deutschland entspricht. Dazu wiederum greift die Bezirksregierung Münster auf die Kultusministerkonferenz der Länder zurück, die in Bonn die 2016 die Gutachtenstelle für Gesundheitsberufe (GfG) eingerichtet hat.
Hier müssen vor allem Abschlüsse aus Syrien, der Türkei und Jordanien begutachtet werden. Für die jungen Leute, die in Deutschland arbeiten wollen, ist das in vielen Fällen auch ein finanzieller Kraftakt. „Für ein detailliertes Gutachten fallen 1773 Euro an“, so die GfG. „Für Menschen in Nahost ist das oftmals ein Jahresgehalt“, sagt Al-Hussin. Der, wenn man denn so will, Vorteil: Wer erst einmal die Gebühr auf den Tisch gelegt hat, bleibt bei der Stange, wird nicht kurzfristig auf die Idee kommen, womöglich in Großbritannien oder einem anderen EU-Land tätig werden zu wollen. Immer vorausgesetzt, entsprechende Sprachkenntnisse sind vorhanden. Denn neben der fachlichen Eignung ist auch da eine Prüfung vorgeschrieben.
Praktische Prüfung statt Papierkrieg
Aus Sicht der Ärztekammer Nordrhein richtig: „Im Sinne der Patientensicherheit muss Wert auf eine sorgfältige Prüfung von Unterlagen und Zeugnissen sowie auf eine ausreichende Sprachkompetenz gelegt werden.“ Die Ärztekammer hat aber auch festgestellt, „dass sich Approbationsverfahren bzw. Gleichwertigkeitsprüfungen bei Ärztinnen und Ärzten aus sogenannten Drittstaaten häufig für die Betroffenen frustrierend lange hinziehen.“
Der Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) betont: „Die Krankenhäuser sind auf die Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland angewiesen. Doch die derzeitigen Verfahren zur Anerkennung der ausländischen beruflichen Qualifikationen von Ärztinnen und Ärzten sind äußerst bürokratisch und dauern dadurch sehr lange“, so Matthias Blum. Bis die ausländischen Ärztinnen und Ärzte ihre Approbation erhielten, vergehe zu viel Zeit. „Ein weiteres Beispiel, wie bürokratische Hürden die verlässliche Patientenversorgung in den Krankenhäusern erschweren.“
Das hat offenkundig auch die Landesregierung erkannt. Das NRW-Gesundheitsministerium beteiligt sich an einer Bundesratsinitiative Bayerns, die eine mündlich-praktische Kenntnisprüfung an die Stelle des zeitaufwändigen Gutachterverfahrens setzen soll. „Die Prüfung der Gleichwertigkeit der Abschlüsse anhand von Dokumenten und Bescheinigungen, wie sie zurzeit die Regel sei, erweise sich häufig als ursächlicher Faktor für überlange Verfahrensdauern“, heißt es dort.
Bundesrat fordert Lauterbach zum Handeln auf
Die Initiative sieht zudem Erleichterungen bei der elektronischen Einreichung von Zeugnissen vor und die Möglichkeit, beim Fehlen bestimmter Dokumente eidesstattliche Erklärungen abzugeben. Das könnte Menschen wie Saifallah A. oder den ukrainischen Ärzten helfen, die kaum Aussicht auf Hilfe durch Behörden in ihren Heimatländern haben.
„Wenn die Kenntnisprüfung zum Regelfall im Approbationsverfahren wird, haben wir die Chance, die oft langwierigen und zuweilen auch frustrierenden Anerkennungsverfahren erheblich schneller zu machen“, erklärte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). Dafür gibt es Lob auch von der KGNW: „Wir hoffen, dass der Bundestag den Entschließungsantrag zeitnah nutzt, und so zum dringend notwendigen Bürokratieabbau im Krankenhaus beiträgt“, so Matthias Blum.
Damit liegt der Ball im Feld von Karl Lauterbach (SPD). Der Bundesgesundheitsminister müsste jetzt die entsprechenden Vorschriften ändern. Saifallah A. aus Nablus wäre bereit zur Praxisprüfung.. Im Kräftemessen kennt er sich aus. Er hat unter anderem zu Knochenbrüchen beim Armdrücken geforscht.