Nettetal. Besuch im Park der magischen Bäume: Bei Nettetal wachsen Gehölze, die es am Niederrhein eigentlich nicht geben kann. Ein Verein beweist das Gegenteil.

Es ist ein wenig so wie in dem Märchen von Hänsel und Gretel: Wer der Brotkrumenspur seines Navis bis in die Tiefen und Untiefen des moorigen Waldgebietes samt Funklöchern folgt, trifft irgendwann auf das Schild „Sequoiafarm“ und auf das Hexenhäuschen von Michael Geller.

Seit elf Jahren lebt er hier auf der Sequoiafarm, dem Garten der Mammutbäume. Und natürlich ist er keine Hexe, sondern ein Hexer. Der Mann, der Pflanzen wachsen lässt, die hier am Niederrhein eigentlich gar nicht wachsen dürften. Oder doch?

Nein, wir verzapfen keinen Unfug. Sondern zwei Zapfen der Kaldenkirchener Mammutbäume. Zucht aus Samen ist allerdings schwierig. Es gibt auch Babymammuts, ca 2 Meter groß, zu kaufen. Passten aber nicht in den Koffer.
Nein, wir verzapfen keinen Unfug. Sondern zwei Zapfen der Kaldenkirchener Mammutbäume. Zucht aus Samen ist allerdings schwierig. Es gibt auch Babymammuts, ca 2 Meter groß, zu kaufen. Passten aber nicht in den Koffer. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Wenn man ihn auf die Mammutbäume anspricht, reagiert er knorrig wie eine alte Eiche. Immer nur würden die Menschen nach den Mammutbäumen fragen, dabei gebe es noch viele weitere, mindestens ebenso spannende Pflanzen auf seinem Gelände. Nicht nur aus Kalifornien und Kaldenkirchen. Nein: von überall auf der Welt. Nun gut, wir tun, wie uns der Hexer heißt und folgen ihm ins Dickicht, auch wenn wir doch eigentlich das niederrheinische Kalifornien suchen wollten.

Es nieselt. „Typisch kalifornisch“, sagt Geller.

Kann man weiter weg von Kalifornien sein als in Kaldenkirchen? „Das Wetter passt“, versichert Geller dem wortwörtlich im Nieselregen stehenden Besucher. Die Mammutbäume der US-Westküste, sie lieben die feuchten Julinebel. Ihre beste Zeit. Und nein, die Baumriesen, die hier im Park stehen, sind auch nicht bereits in Herbststimmung, sie werfen ihre alten Nadeln immer gern zur Sommerzeit ab.

Man darf sich nicht täuschen: Michael Geller erzählt durchaus gern von seinen Mammutbäumen. Auch, wenn es natürlich nicht seine sind. 1947 vernichtete ein Brand den Grenzwald bei Kaldenkirchen. Die Eheleute Ernst und Illa Müller initiierten damals die Wiederaufforstung, auch mit Mammutbäumen, born in the USA.

Weltreise durch NRW

Wir nehmen Sie im Sommer mit auf Weltreise. Dafür müssen Sie das Bundesland gar nicht verlassen. In Nordrhein-Westfalen gibt es Orte, an denen Sie sich wie in einem nordamerikanischen Nationalpark oder in einem japanischen Großstadtviertel fühlen. Lassen Sie sich überraschen.

Und das Beste: Von unseren Besuchen vor Ort bringen wir Geschenke mit, die am Ende der Ferien verlost werden. Den Anfang macht ein Lavendel-Roll on, aus dem Sri Kamadchi Ampal Tempel haben wir zudem Räucherstäbchen mitgebracht, aus dem marokkanischen Viertel in Düsseldorf ein silbernes Teekesselchen und einen Moschus-Duft, von den Kaldenkirchener Mammutbäume kommen Zapfen in den Koffer. Und aus „Little Tokyo“ packen wir nun handgefertigte Essstäbchen ein. Teilnehmen am Gewinnspiel können Sie (unter Angabe Ihrer Adresse) online, per E-Mail an seitedrei@nrz.de oder per Postkarte an NRZ Chefredaktion, Jakob-Funke-Platz 1, 45127 Essen.

Damals mutmaßten alle, die beiden hätten ein Brett vorm Kopf, aber nein: Die Bäume kamen, säten und wurzelten sich in die niederrheinische Erde. Geller zeigt auf die heute gut 70-jährigen Baumriesen, die mittlerweile gut 40 Meter in die Höhe ragen, aber auch auf die Minimammuts, die dort im Unterholz die ersten Meter machen. Und das kräftig: Ungefähr einen Meter pro Jahr legen die Bäume zu.

Blick in die Krone einer Gruppe Bergmammutbäume.
Blick in die Krone einer Gruppe Bergmammutbäume. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Hat schon so manchen Baumfreund zur Verzweiflung getrieben, der dachte, ein Mammutbaum im Vorgarten sei vielleicht ganz dekorativ. Nach ein, zwei Jahrzehnten erhebt sich so ein Baum übers Haus und schiebt es notfalls auch ein wenig beiseite. Das Wurzelwerk eines Mammutbaums, es kann mehr als einen halben Sportplatz beanspruchen. „Wäre ideal, um Hänge zu stabilisieren“, sagt Geller.

Zwei Sorten US-Mammutbäume gibt es: die Bergmammuts, eher dick und knorrig und die bekannteren Redwoods, die an der Pazifikküste über 100 Meter aufragen. Davon sind die noch sehr jungen Riesen am Niederrhein noch ein ganzes Stück weg, bis an die 40-Meter-Marke kommen sie aber durchaus heran. Die dritte Mammutbaumart stammt aus China, auch sie wächst hier am Niederrhein. Sie galt als ausgestorben, wurde erst 1941 wiederentdeckt.

Die Mammutbäume sind uralte Niederrheiner, eigentlich

Skeptikern, die sagen, die Mammutbäume gehören doch nicht hier her, kann er ein Stück Holz zeigen: 20 Millionen Jahre alt, aus dem gut 35 Kilometer entfernten Braunkohletagebau Garzweiler. Mammutbaumholz vom Niederrhein. Nur die Eiszeit war noch mächtiger als die Baumriesen in Europa.

Anders als in Nordamerika konnten sie vor dem Eis nicht nach Süden flüchten: In Europa versperrten die Alpen und Pyrenäen den Weg. Ja, auch Wälder können wandern. Nicht wie beim Herrn der Ringe, eher mit etwas weniger als Schneckentempo, aber für geologische Zeiträume reicht es. Allemal in Nordamerika, wo Riesenfaultiere und Mammuts Baumfrüchte fraßen und die Samen großflächig weiterverteilten.

Hier blüht ihnen was: Michael Geller unter dem intensiv duftenden Losbaum aus China.
Hier blüht ihnen was: Michael Geller unter dem intensiv duftenden Losbaum aus China. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Deswegen stehen in den USA jahrhundertealte Baumriesen, Stämme, so groß, dass man mit dem Auto durchfahren kann. Hinter Gellers Hexenhäuschen sind die Umrisse des Baums auf einer Rasenfläche angedeutet. Hier am Niederrhein hat schon ein Mammutbaum schlappgemacht, weil ein Schwarzspecht eine etwas zu große Höhle hineingehackt hat.

Aber, so zeigt Geller, die Bäume können sich durchaus erholen, während er mit dem Gast auf schmalen Wegen unter den Bäumen umherstreift und mit einer Astschere hie und da den Wildwuchs etwas eindämmt. Plötzlich bleibt er stehen und zeigt an einem Bergmammutbaum in die Höhe: „Sehen Sie die Bruchstelle?“ Äh – nein. Er erzählt: „2007 brach der Baum im Sturm auf halber Höhe entzwei. Der Stamm hat an gleicher Stelle wieder ausgetrieben.“

Eine internationale WG – eine Wurzelgemeinschaft

Der Baum steht heute wieder in vergleichbarer Größe da, fast bruchlos. Ein kleines Baumwunder. Aber nicht das erste: Die Sequoiafarm Kaldenkirchen kann für sich beanspruchen, als erste in Deutschland systematisch und erfolgreich alle drei Mammutbaumarten vermehrt zu haben. Unter anderem haben sie eine frosttolerantere Variante des Küstenmammutbaums gezüchtet.

Sowieso: Der Boden von Kaldenkirchen und gerade hier, rings um sein Hexenhaus, hat magische Kräfte, davon ist Geller überzeugt, nach elf Jahren im Wald, der eigentlich ein botanischer Garten ist. Das Mikroklima, die Sporen und Pilze im Boden und die Wohn- und Wurzelgemeinschaft von Gehölzen aus aller Damen und Herren Länder, sie schaffen hier offenbar eine fröhlich blühende Flora.

Michael Geller weiß viel über die Bäume zu berichten.
Michael Geller weiß viel über die Bäume zu berichten. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Hier wurzeln nicht nur die für ausgestorben gehaltenen Mammutbäume aus China, sondern auch noch etliche andere chinesische Pflanzenarten, deren Samen hochmögende Professoren aus Deutschland illegal aus dem Reich der Mitte mitbrachten und im Grenzwald verstreuten. Gerade verströmt der Losbaum seinen betörend süßen Duft auf dem Hauptweg vom Eingang zum Hexenhaus.

Platz für Pflanzen, die es eigentlich nicht mehr gibt

Nebenan wurzelt die größte Pellin-Scheinbuche Deutschlands, eingewandert aus Chile oder Argentinien. Fast direkt vor seinem Hexenhaus wächst eine Wollemie. Ein Baum, naja, hier ein Bäumchen, das als vor 60 Millionen Jahren ausgestorben galt, ehe vor 30 Jahren einige hundert Kilometer von Sydney entfernt ein kleiner Restbestand entdeckt wurde.

Ein wenig ist die Reise zur Sequoiafarm das Gegenstück zu jener von Christoph Columbus: Wer am Niederrhein Kalifornien sucht, wird ganz andere Erdteile entdecken. Zumindest floral.

Die Farm, das Programm und wo Mammutbäume wurzeln

Die etwa sieben Fußballfelder große Sequoiafarm: gegründet 1947 von den Eheleuten Illa und Ernst Martin. Er hatte viele Jahre als ausgebildeter Zahnarzt in den USA verbracht und kehrte vor dem Zweiten Weltkrieg wieder nach Kaldenkirchen zurück. Nach dem Krieg pflanzte er 1952 die ersten Mammutsetzlinge, die er dank seiner US-Verbindungen bekam.

1967 ging die Farm für 20 Jahre in den Besitz des Landes über, heute gehört das Gelände den Stadtwerken Nettetal. Bis 2007 nutzte die Universität Essen das Gelände als botanischen Garten, seit 2013 ist der gemeinnützige Verein Sequoiafarm für das Areal verantwortlich.

Geöffnet ist der Park von April bis Oktober an Sonn- und Feiertagen von 10 bis 17 Uhr (Navi: Knorrstr. 77 41334 Nettetal). Führungen (fünf Euro pro Person) können mit Michael Geller abgesprochen werden: info@sequoiafarm.de,  02157-6122. Für Kindergeburtstage gibt es das Programm „Zeitreise-Piloten“.

Ihren nächsten Mammutbaum finden Sie hier unter mbreg.de. (Ironischerweise ist der Bestand der Sequoiafarm da nicht erfasst) Gerade im Großraum Ruhrgebiet gibt es fast überall Einzelexemplare zu finden. Neben der Sequoiafarm gibt es einen der größten Bestände in NRW im Arboretum Staatswald Burgholz in Wuppertal. Wer es noch größer will, muss nach Süddeutschland reisen.