Hennef. Der Physiker Ranga Yogeshwar kritisiert die Autoindustrie. Für ihn gibt es nur einen Weg, in die Zukunft zu schauen - mit Zuversicht.
Als Physiker und Wissenschaftsjournalist war Ranga Yogeshwar viele Jahre lang das Gesicht der Sendung „Quarks und Co“ (heute „Quarks“). Heute macht er sich in den Medien rar, ist gleichzeitig aber ein begehrter Redner und Diskussionsteilnehmer. Einer seiner Vorträge trägt den Titel „Emils Welt“, benannt nach seinem ältesten Enkel Emil (4). Darin wagt der 65-Jährige einen Blick in die Zukunft. Im Interview erzählt Ranga Yogeshwar, worum es in „Emils Welt“ geht, was er gern mit seinen vier Enkeln unternimmt und warum der Klimawandel das Thema ist, das ihn ganz besonders beschäftigt.
Herr Yogeshwar, Ihr Enkel Emil wird das nächste Jahrhundert wahrscheinlich erleben. Im Jahr 2100 wäre er 80 Jahre alt. Ernährt er sich dann auf jeden Fall vegan und fährt schon lange ein Wasserstoff-Auto?
Er wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit anders ernähren als wir, weil in dieser Generation das Bewusstsein wächst, dass Tiere nicht nur zu Produkten degradiert werden sollten. Meine Generation hat unseren Vorfahren vorgeworfen, es sei unmenschlich gewesen, wie sie mit Sklaven umgegangen sind. Genauso wird uns die künftige Generation fragen, was wir uns bei den riesigen Schweine- und Hühnerfarmen gedacht haben. Es wird eine Verschiebung der Werte geben, und dabei geht es nicht nur ums Tierwohl.
Die Landwirtschaft spielt in Bezug auf die Klimabilanz eine ganz wichtige Rolle. Es gibt heute schon sehr vielversprechende Ansätze, über das Fermentieren Hefen und Proteine zu erzeugen und nicht mehr auf dem Feld. Wir werden in Zukunft künstliches Essen haben, das aber so unglaublich lecker sein wird, dass man es nicht merkt. Das mag ein bisschen wie Science Fiction klingen. Aber wir müssen in Zukunft in der Lage sein, die Welt zu ernähren. Und es ist doch ein Vorteil, wenn man es energieeffizienter machen kann, als es heute der Fall ist.
Wenn ich heute Rindfleisch esse, werden dafür oft tropische Regenwälder abgeholzt, um auf den Flächen Soja zu produzieren, das als Tierfutter verwendet wird. Am Ende verwerten wir aber nur Teile des Tieres. Es ist absurd im Vergleich zu dem, was wir bräuchten.
Was für ein Land würden Sie sich für Emil wünschen? Zum Beispiel, was den Verkehr angeht?
Wenn ein Großteil des privaten Autoverkehrs nicht mehr in die Stadt gelangt, steigt die Lebensqualität sehr stark an. Dann können Kinder plötzlich wieder auf einer Straße spielen, statt vor Ampeln zu stehen. Es gibt Länder, die bei diesem Thema schon deutlich weiter sind als Deutschland. Wenn ich mir zum Beispiel das Mobilitätskonzept der Stadt Oslo anschaue, sieht man, dass dort Mobilität neu gedacht wurde. Und die Menschen gehen alle mit und sind begeistert.
In Deutschland dagegen haben wir eine Situation, die aus der Vergangenheit rührt. Damals haben wir Städte gebaut, die das Auto priorisieren. Große Straßen zerteilen eine Stadt, die Luftqualität ist problematisch, der Lärm ebenfalls. Ein großer Teil der Autos steht herum und wird nur relativ wenig bewegt. Diesen Platz könnte man ganz anders nutzen. Es gibt immerhin erste Projekte, bei denen Straßen und Plätze autofrei werden.
Kinder sind gern in der Natur. In Städten wird es im Sommer aber sehr heiß, weil viele Böden bebaut und versiegelt sind. Wie bekommt man wieder mehr Natur in die Stadt?
Stellen Sie sich vor, man würde alle Stellflächen der Autos begrünen, dann wäre eine Stadt sehr grün. In Oslo sieht man, dass so etwas gut funktioniert. In anderen Städten, etwa in Amsterdam, ist das Fahrrad das Haupttransportmittel innerhalb der Stadt. Das ist auch mit Blick auf die Gesundheit wichtig. Wir haben heute eine Situation, in der die Menschen zu viel vor dem Bildschirm sitzen und sich zu wenig bewegen. Und genau da würde man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Kohle, Gas und Öl zu verbrennen, ist nicht gut für das Klima. Die Atmosphäre heizt sich auf. Wie heizt Emil sein Haus, wenn er groß ist? Und woher bekommt er den Strom?
Es stehen viele Veränderungen an, wichtig ist, dass sie auch ohne den Klimawandel funktionieren. Ein Beispiel: Wenn ich heute in der Lage bin, durch erneuerbare Energien einen Großteil des Strombedarfs abzudecken, ist das sinnvoll und ökonomisch deutlich günstiger. Der Strom wird ohne CO₂-Ausstoß produziert, gleichzeitig gibt es keine Abhängigkeit mehr von fossilen Energieträgern. Ganz viele Konflikte weltweit finden genau deswegen statt. Wenn man sich aber anschaut, was ein Liter Benzin an der Tankstelle kostet, müsste man dabei auf jeden Fall auch die Konfliktkosten mit einpreisen. Von den ökologischen Schäden möchte ich gar nicht reden. Klar ist: Fossile Energie ist einfach viel zu teuer.
Emil wird also seinen Strom mit Sicherheit aus erneuerbaren Energien beziehen, oder?
Ja, da ist sein Großvater, also ich, schon ein gutes Beispiel. An acht Monaten im Jahr muss ich keinen Strom zukaufen, ich kann alles abdecken, die Wärme, den Strom und die Mobilität. Ich habe ein E-Auto, das über die Sonne geladen wird. So etwas funktioniert heute schon ganz konkret. Es kostet aber in der Investition am Anfang sehr viel. Unsere Gesellschaft stammt von einer fossilen Industrie ab, die wir nun umbauen müssen. Und das ist kein kleines, sondern ein gigantisches Projekt, das man nicht unterschätzen darf.
Nachhaltigkeitskonzepte muss man sich sehr gut überlegen. Für die Menschen in der Stadt gelten andere Rahmenbedingungen als auf dem Land. In einem Mehrfamilienhaus kann ich zum Beispiel nicht ohne Weiteres eine Geothermie-Bohrung setzen.
Aber dafür funktioniert der ÖPNV in der Stadt besser als auf dem Land…
Es muss unterschiedliche Lösungen für Menschen geben, die auf dem Land leben und die in der Stadt leben. Das ist komplex, aber machbar.
Würden Sie sagen, Sie haben einen guten ökologischen Fußabdruck, weil Sie eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach haben und in vielen Bereichen versuchen, nachhaltig zu leben?
Nein. Ich versuche zwar, meinen Konsum zu reduzieren. Ich zähle aber beruflich zu denen, die viel reisen. Das ist ökologisch gesehen kritisch. Wenn ich in die USA möchte, habe ich nicht die Alternative, mit einem Segelschiff zu fahren. Ein Flug von Frankfurt nach San Francisco produziert aber 1,6 Tonnen CO₂. Das ist eine Menge. Außerdem konsumieren wir alle immer noch zu viel. Wir kaufen viele Produkte, die nach einer vergleichsweise kurzen Lebensdauer entsorgt werden. Das ist nicht gut.
Was versuchen Sie denn zu reduzieren?
In meinem Alter spielt der Konsum nicht mehr so eine große Rolle. Es geht aber auch darum, Sachen zu reparieren und zu pflegen. Es gibt Menschen, die ihre Gartenmöbel nach drei Sommern durch neue Möbel ersetzen. Natürlich kostet es Arbeit, wenn man diese Möbel abschleift, neu streicht und imprägniert, aber dann halten sie viele Jahre. Bei mir im Wohnzimmer habe ich einen Couchtisch, der eine ehemalige Schulbank war, ich habe sie auf dem Sperrmüll gefunden und überarbeitet. Wenn man so etwas tut, bekommt man eine Beziehung zu den Dingen, man wirft sie nicht so leichtfertig weg. Jeder, der selbst etwas gebaut hat, hat einen ganz anderen Bezug zu diesem Gegenstand.
Haben Sie Ihrem vierjährigen Enkel schon mal erklärt, was „nachhaltig“ bedeutet?
Kinder haben von Natur aus ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit und einen sehr großen Respekt vor der Natur. Wir haben eher die Herausforderung, dass die ältere Generation Kinder ernst nehmen sollte. Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, bei denen Kinder viel weiter sind als wir Erwachsenen.
Was machen Sie mit Ihren Enkeln in der Natur?
Kürzlich saßen wir im Garten und haben gemeinsam „Ich höre was, was du nicht hörst“ gespielt. Wir haben Spatzen gehört, eine Amsel, ein Flugzeug... Kinder haben eine hohe Sensibilität für ihre Umgebung. Auch das Staunen im Kleinen ist eine ganz wichtige Eigenschaft. Kinder sehen den Käfer, den die Erwachsenen übersehen. Letztens habe ich ein Loch im Garten gebuddelt. Bei jedem Spatenstich sagte Emil: „Schau, da ist ein Wurm!“ „Schau, da ist ein Käfer!“ Das Schöne ist, so etwas mit Kindern gemeinsam zu erleben.
Wie können Erwachsene ein Vorbild für Kinder sein, wenn es um Nachhaltigkeit geht?
Es ist ein Unterschied, ob man etwas erzählt oder etwas lebt. Ein Beispiel: Als Eltern kann ich meinen Kindern sagen: „Lesen ist wichtig, du musst lesen.“ Das wird aber nicht funktionieren, wenn Kinder nicht beobachten, wie die Erwachsenen manchmal lesen und Freude haben. Wir sind Vorbilder für die junge Generation. Kinder gucken sich ab, wie wir etwas machen. Und wenn ich Essen nicht einfach wegwerfe oder Plastik nicht in der Natur entsorge, merken Kinder, dass ich auf so etwas achte, und machen es auch so. Das echte Leben ist also für mich viel wichtiger, als lange Vorträge zu halten.
Es gibt viele Lösungen, um das Klima besser zu schützen. Viele Menschen finden es aber bedrohlich, dass sich so viel ändern soll. Was sagen Sie ihnen?
Die Elektromobilität wird die Wahl der Zukunft sein. Viele Menschen sind aber geprägt durch die alte, fossile Industrie und verunsichert, weil diese Industrie versucht, ihre Pfründe zu retten. Die Elektromobilität wird schlecht geredet. Viele Menschen, die kein Elektroauto haben, fragen sich, wo sie mit einem Elektroauto tanken können oder wie groß die Reichweite ist. Das Interessante ist: Wenn man selbst ein Elektroauto hat, merkt man, dass es funktioniert. Das heißt: Wenn einer es macht und es funktioniert, sieht es der Nachbar, findet es cool und macht es auch.
Wenn in Wohnsiedlungen einer anfängt, eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach zu setzen, sieht man nach fünf Jahren plötzlich ganz viele Häuser mit einer solchen Anlage. Es ist also eine Schwelle zu überwinden. Die Angst vor Veränderung ist natürlich immer da. Aber wir leben in Zeiten des Wandels. Wir können nicht so weitermachen wie bisher und müssen im Neuen auch eine Chance sehen.
Früher haben Kinder Autoquartett gespielt. Das Auto mit den meisten PS hat gewonnen. Wie müsste ein neues Autoquartett aussehen?
Deutsche Autohersteller geben pro Jahr zwei Milliarden Euro für Werbung aus. Wir sind gefangen von diesen Werbeslogans, etwa „Freude am Fahren“ oder „Die neue Unabhängigkeit“... Das ist eine Art Gehirnwäsche, die auf Dauer dazu führt, dass die Menschen eine Illusion kaufen. Wenn wir in einem aufwendigen Werbespot sehen, wie ein Cabrio durch die Abendsonne der Toskana fährt, finden wir das ganz toll. Das hat aber mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Es geht darum, uns von den Geschichten der Werbung zu befreien und uns objektiv zu fragen: Warum brauche ich das?
Welches Auto ist im neuen Quartett also Trumpf? Das mit dem geringsten CO₂-Ausstoß?
Genau. Früher gewannen immer die Autos mit den meisten PS, der schnellsten Beschleunigung, dem größten Hubraum. Das neue Autoquartett muss sich den neuen Gegebenheiten anpassen. In meiner Kindheit haben wir immer „brrr“ gemacht, wenn wir mit Autos gespielt haben. Ich frage mich, ob die neue Generation der Kinder irgendwann aus dem „brr“ ein „ssst“ macht, weil die Autos elektrisch fahren. In einem neuen Autoquartett wird man schauen: Was ist der geringste Fußabdruck? Wie ist die CO₂-Bilanz? Das sind ganz andere Kriterien. Es setzt aber voraus, dass wir von den alten Kategorien Abschied nehmen.
Ranga Yogeshwar
Ranga Yogeshwar (Jg. 1959) ist Physiker und Wissenschaftsjournalist. Er moderierte viele Jahre die Sendung „Quarks und Co“ (heute „Quarks“). Er ist verheiratet, hat drei Töchter, einen Sohn und vier Enkel. Ranga Yogeshwar lebt in Hennef. Infos: https://yogeshwar.de/
Ich werfe der deutschen Autoindustrie vor, dass sie an dem lukrativen Geschäft klebt und die Ausfahrt in die Zukunft verpasst. Die Haltung, dass Elektroautos keine Zukunft haben, ist typisch deutsch. In anderen Ländern sieht das ganz anders aus. Ein großer Umbruch in der Industrie ist natürlich immer schwer. Wir stehen vor herausfordernden Zeiten, aber ich bin zuversichtlich. Wir haben viel Kreativität und Potenzial in diesem Land.
Sie haben schon einige Bücher geschrieben und auch ein Kinderbuch. Wird es ein Kinderbuch für Emil und Ihre anderen drei Enkel geben?
Im Moment liebe ich es, mit meinen Enkeln viel Zeit zu verbringen und Sachen zu unternehmen. Wir bauen zusammen, wir sind in der Werkstatt und machen viele andere Dinge. Ich finde, das Wichtigste, das man für Kinder tun kann, ist, offen zu sein und Zeit für sie zu haben.