Essen. Frauen, deren Männer in der Heimat sind, sagen, dass sie es falsch finden, das Bürgergeld für Wehrpflichtige zu streichen

Landesflüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) hält nichts von Debatten um die Bürgergeld-Zahlung an Ukrainerinnen und Ukrainer, die vor dem Krieg in ihrer Heimat nach Deutschland geflohen sind. Die Entscheidung, ukrainischen Geflüchteten das Bürgergeld zu gewähren, sei überparteilich getroffen worden, sagte Paul der NRZ. Vor der Konferenz der Innenminister, die seit Mittwoch in Potsdam tagt, waren Forderungen aus Union und FDP laut geworden, ukrainischen Geflüchteten das Bürgergeld zu streichen und durch Asylleistungen zu ersetzen.

Bei den ukrainischen Geflüchteten sorgt insbesondere für Irritationen, dass die Politik die Zahlungen an Männer im wehrfähigen Alter ins Visier nimmt. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen kritisierte kürzlich, es passe nicht zusammen, die Ukraine zu unterstützen und im gleichen Atemzug „fahnenflüchtige Männer“ zu alimentieren.

Frauen gegen Diskriminierung der Männer

Iryna Kravets, 46, ist nach dem russischen Überfall nach Deutschland gekommen und lebt in Moers. Ihr Mann ist in der Ukraine geblieben. Trotzdem sagt sie: „Eine Verteilung der Leistungen nach geschlechtlichen Merkmalen ist nach meiner Auffassung undemokratisch und diskriminierend, wichtig ist jeder Mensch als Individuum und nicht sein Geschlecht.“ Kravets trifft sich mit anderen ukrainischen Frauen im Ukraine-Haus der Arbeiterwohlfahrt in Moers. Hier diskutieren sie über die Lage in der Heimat, organisieren Unterstützung.

Auch Svitlana Zaitseva ist regelmäßig hier. Ihr Mann ist ebenfalls in der Ukraine geblieben. Sie ist aber der gleichen Meinung wie Kravets. Natürlich lösten die Männer und Frauen, die die Ukraine verteidigten, bei ihr „aufrichtige Dankbarkeit und Begeisterung aus“, sagt sie. „Ich bin aber auch der Meinung, dass jeder Mensch frei ist zu wählen.“ Die Männer, die sich außerhalb der Ukraine aufhielten, hätten die gleichen Rechte auf Unterstützung wie alle anderen auch, betont sie.

In NRW sind etwa 242.000 ukrainische Flüchtlinge registriert

Aktuell sind in Nordrhein-Westfalen rund 242.000 ukrainische Flüchtlinge registriert. Etwa 110.000 von ihnen beziehen nach Angaben des Landessozialministeriums Bürgergeld. Wie viele von ihnen Wehrpflichtige sind, werde nicht erhoben, so ein Sprecher. Ohnehin sei die Frage, wie mehr Menschen zum Dienst an der Waffe und zur Verteidigung der Ukraine ermutigt werden könnten, eine Debatte, die die Ukraine selbst führen und entscheiden müsse, betont ein Sprecher des Landesflüchtlingsministeriums.

Anna Fedorets, 44, ist im März 2022 nach Moers gekommen. Ihr Mann blieb in der Ukraine. Seit August vergangenen Jahres ist Fedorets wieder in Kiew. Für sie ist klar: „Sollte es Personen geben, die nicht berechtigt sind, deutsche Unterstützung zu erhalten, ist es die Pflicht der Ukraine, diese Menschen zurückzuholen.“ Männer zwischen 18 und 65 Jahren dürfen die Ukraine nicht verlassen: Es sei „die Aufgabe der ukrainischen Behörden, die Einhaltung dieser Gesetze zu überwachen und die Gesetzmäßigkeit der Grenzübertritte zu kontrollieren“, sagt Fedorets.

Etwa 32.700 Ukrainer haben sozialversicherungspflichtige Jobs

Flüchtlingsministerin Paul weist zudem generell darauf hin, dass die Entscheidung, den ukrainischen Geflüchteten Bürgergeld zu zahlen, auch getroffen worden sei, um „von Beginn an zielgenau Maßnahmen zur Integration in den Arbeitsmarkt ergreifen zu können“. Das aber verläuft noch schleppend: Im März hatten laut Arbeitsagentur in NRW lediglich 32.700 Ukrainer sozialversicherungspflichtige Jobs.

Iryna Kravets ist Wirtschaftswissenschaftlerin und argumentiert sehr pragmatisch: Das Geld, das den Ukrainern gezahlt werde, bleibe der deutschen Wirtschaft ohnehin erhalten. Deutsche Unternehmen profitierten vom Anstieg der Zahl der Konsumenten: „Die Gelder gehen in den ökonomischen Kreislauf zurück.“