Düsseldorf. Wer jünger als 65 ist und an Demenz erkrankt, falle in eine Versorgungslücke, sagt der Alzheimerverband NRW und stellt eine neue Selbsthilfe vor.
Sie stand mitten im Leben, war beruflich erfolgreich und leidenschaftliche Seglerin, doch dann kam 2017 die Diagnose: Demenz. Und das mit 57 Jahren. Für Lieselotte Klotz war es ein „Absturz ohne Fallschirm und Vorbereitung“, wie sie heute, sieben Jahre später sagt. Sie gehört zur Gruppe der jung an Demenz erkrankten Menschen, die eine Minderheit unter den von der Krankheit betroffenen ausmachen. Erkrankte wie sie stünden vor einer Versorgungslücke, beklagt der Landesverband Alzheimer NRW und stellt gemeinsam mit der Barmer Versicherung ein neues Selbsthilfeangebot vor.
Jüngere Demenz-Kranke sind in der Minderheit
„Meine Mutter hatte auch Alzheimer und ist dann mit 89 Jahren verstorben“, erzählt Klotz. Sie habe lange gedacht, das Thema betreffe andere, nicht sie selbst. Auch in der Gesellschaft würde die Krankheit vor allem mit älteren Menschen assoziiert, sagt sie. Denn während deutschlandweit insgesamt rund 1,8 Millionen Menschen von Demenz betroffen sind, zählt die Gruppe der jung an Demenz Erkrankten unter 65 Jahren nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft rund 100.000 Betroffene.
Ihre Kinder hätten sie dazu gebracht, die Diagnose stellen zu lassen, nachdem sie die ersten Symptome bemerkte. „Ich hatte zunächst an Burn-out oder eine Depression gedacht“, berichtet Klotz. Doch dann stellte sich heraus, dass es eine seltene Form der Demenz ist – die Lewy-Body-Demenz. Erkrankte erleiden dabei einen Verlust der kognitiven Fähigkeiten, Bewegungsstörungen und bekommen Halluzinationen und Schlafstörungen.
Demenz – nicht heilbar
Die Demenz ist ein Muster von Symptomen verschiedener Krankheiten. Häufig erleiden die Erkrankten Einbußen an kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten. Vor allem betroffen sind das Kurzzeitgedächtnis, das Denkvermögen, die Sprache und die Motorik. Bei einigen Formen kommt es auch zu Veränderungen der Persönlichkeit. Kennzeichnend für die Demenz ist der Verlust von Denkfähigkeiten, die im Lebensverlauf erworben wurden.
Im März 2023 gab die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Zahl der an Demenz erkrankten Menschen mit weltweit über 55 Millionen an. Heute sind die Ursachen einiger Demenzen geklärt, bei vielen Formen gibt es jedoch noch keine eindeutigen, unumstrittenen Erkenntnisse zur Entstehung. Bislang gilt die Demenz als nicht heilbar.
Demenz-Betroffene über ihren Alltag: „Es ist wie eine Achterbahn“
Auch Lieselotte Klotz berichtet davon. „Ich kann die Halluzinationen oft noch einordnen“, sagt sie. Besonders zu schaffen machen ihr die Schlafstörungen. Auch in ihrem Alltag habe sich fast alles verändert. „Es ist wie auf einer Achterbahn. Mal gibt es schlimmere Phasen, mal habe ich es aber ganz gut im Griff“, erklärt Klotz, die bis zu ihrer Diagnose Geschäftsführerin eines IT-Unternehmens mit mehr als 200 Mitarbeitenden war.
„Die Krankheit hat mich den Job und Freundschaften gekostet. Am Anfang bin ich auch in eine tiefe depressive Phase gerutscht.“ Nach einiger Zeit habe sie auch ihr geliebtes Segelboot verkaufen müssen. Heute habe sie aber auch immer wieder Momente, in denen sie das Leben genießen kann – trotz der Krankheit. Und sie setzt sich dafür ein, dass anderen jüngeren Betroffenen besser geholfen wird. Sie engagiert sich bei der Deutschen Alzheimer Gesellschaft und in der internationalen Vereinigung „Alzheimer Europe“.
Auch die gesunden Seiten des Lebens mit Demenz betrachten
„Bei Behörden, Ämtern und Organisationen ist es schwer, Gehör zu finden und zu bekommen, was man braucht, um einen Menschen mit Demenz im Leben zu halten.“ Denn gerade das sei in früheren Phasen der Krankheit unerlässlich. „Ein sinnhaftes Leben leben zu dürfen, ist ganz wichtig“, betont Klotz. Daher freue sie sich immer wieder darüber, wenn sie unter Menschen kommt und an der Gesellschaft teilhaben kann.
Lieselotte Klotz wünscht sich mehr Verständnis dafür, dass bei Demenz-Erkrankten auch die „gesunden Teile des Lebens“ betrachtet werden. Für sie ist klar: „Ich habe Demenz, aber ich bin nicht die Demenz.“
Betroffene und Angehörige stehen vor erdrückenden Fragen
Für Menschen wie sie haben der Landesverband Alzheimer NRW und die Barmer das Selbsthilfeangebot „JaDe“ auf die Beine gestellt. Die Abkürzung steht für „Jung an Demenz erkrankt“. Im Bereich der Selbsthilfe gebe es eine Versorgungslücke, sagt Projektleiterin Nancy Kolling. „Bestehende Angebote richten sich vorwiegend an ältere Betroffene und ihre Angehörigen.“ Diese Lücke soll in NRW nun kleiner werden. Jüngere Betroffene hätten einen anderen Bedarf, betont Kolling. „Sie sind häufig mitten im Arbeitsleben, haben eine Familie mit Kindern und womöglich noch Eltern, die gepflegt werden müssen.“
Die Frage, wie nun alles weitergehen soll, sei erdrückend für Betroffene und Angehörige, so Kolling. „Unser Ziel ist eine landesweite Vernetzung der Betroffenen. Dies geschieht unter anderem durch Selbsthilfegruppen für Erkrankte, aber auch für Angehörige“, erklärt die Projektleiterin.
Kontakt: Selbsthilfeprojekt JaDe
Wer sich über das Projekt weiter informieren möchte, kann sich bei den Ansprechpartnern beim Landesverband Alzheimer NRW oder der Barmer melden:
Projektleiterin Nancy Kolling ist erreichbar unter 0211/24 08 69 19 oder kolling@alzheimer-nrw.de. Verlagsreferentin der Barmer Heike Kluitmann ist unter 0800/333 004 451 114 oder heike.kluitmann@barmer.de zu erreichen.
Verbesserte Lebensqualität für Demenz-Erkrankte
Das JaDe-Projekt ist nach Angaben des Alzheimerverbandes in drei Bereiche geteilt. So gibt es ein Forum für einen Austausch unter Betroffenen und Angehörigen, aber auch Workshops, die an Wochenenden stattfinden. Dabei gehe es darum, für die betroffenen Paare oder Familien, gemeinsame Aktionen zu schaffen, so Kolling. Im dritten Bereich geht es um Informationen zur Vorsorge und vielen anderen Fragen. Einen ersten Workshop für Familien habe es schon auf einem Reiterhof mit Ponys in Velbert gegeben.
„Bei JaDe geht es auch darum, das Selbstwertgefühl zu stärken, um mit der Krankheit umgehen zu können“, sagt sie. Letztlich sollten die Beteiligten gestärkt aus dem Projekt hervorgehen. „Weniger Zukunftsängste führen sowohl für die Erkrankten als auch für die Angehörigen zu einer verbesserten Lebensqualität.“