Düsseldorf. Am 17. Juni 1953 protestierten über eine Million Menschen gegen das SED-Regime. Im Westen wurde der Tag als „Tag der deutschen Einheit“ begangen.

Vor 71 Jahren gingen in der DDR mehr als eine Million Menschen auf die Straße und protestierten gegen das Regime der SED. Die Sowjetunion ließ den Aufstand blutig niederschlagen, tausende Demonstranten wurden festgenommen. In der Bundesrepublik wurde der Tag bis 1990 als „Tag der deutschen Einheit“ begangen. Prof. Dr. Christoph Nonn von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) erklärt, warum der 17. Juni heute kein Feiertag mehr ist.

Ein Arbeiteraufstand wird zum Flächenbrand

Der Aufstand sei eine Massenbewegung gewesen, erklärt Nonn vom Institut für Geschichtswissenschaften der HHU. „Es ist vergleichbar mit dem, was 1989 passiert ist. Historiker neigen mittlerweile dazu zu sagen, dass die DDR wahrscheinlich zusammengebrochen wäre, wenn die Sowjetunion nicht interveniert hätte.“

Dabei begann alles mit streikenden Arbeitern, die gegen die Erhöhung von Arbeitsnormen protestierten. „Der Anlass war also wirtschaftlich. Denn die Arbeiter sollten noch mehr produzieren, als sie es ohnehin schon taten“, sagt Nonn. „Ursprünglich waren am 17. Juni also die Industriearbeiter auf die Barrikaden gegangen und dann kamen andere dazu, die aus vielen Gründen unzufrieden waren mit der DDR-Regierung.“

Sowjetische Panzer rollten durch ostdeutsche Städte

Im Westen habe man die Ereignisse als Aufstand gegen die SED und für die Wiedervereinigung interpretiert. „Das Erste war es sicher, das Zweite teilweise“, so der Professor. Die Arbeiter forderten zunächst die Rücknahme der Normenerhöhung, schreibt auch die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Demnach kam es in mehr als 700 Städten, Ortschaften und Betrieben zu Protestaktionen. Am Ende seien auch freie Wahlen, die Wiedervereinigung, die Ablösung der Staatsführung und Freiheit für alle politischen Gefangenen gefordert worden.

Als Reaktion darauf, habe die UdSSR in 167 von 217 Landkreisen den Ausnahmezustand verhängt, so die Stuftung weiter. Die Sowjets verhängten das Kriegsrecht, Panzer rollten durch die Straßen und der Aufstand wurde niedergeschlagen. „Es sterben etwa 50 Menschen, darunter auch Angehörige der DDR-Sicherheitsorgane“, schreibt die Stiftung weiter. „Insgesamt werden etwa 15.000 Personen im Zusammenhang mit dem Aufstand festgenommen. Bis Ende Januar 1954 werden 1526 Angeklagte verurteilt.“

Sowjetische Panzer sind am 17. Juni 1953 während des Arbeiteraufstands in der DDR auf dem Leipziger Platz in Ost-Berlin aufgefahren.
Sowjetische Panzer sind am 17. Juni 1953 während des Arbeiteraufstands in der DDR auf dem Leipziger Platz in Ost-Berlin aufgefahren. © epd | akg-images GmbH

Helmut Kohl wollte einen Feiertag für die Wiedervereinigung

Schon am 3. Juli 1953 erklärte der Bundestag in Bonn den Tag zum „Tag der deutschen Einheit“, der bis 1990 gesetzlicher Feiertag in der BRD war. Dass er das heute nicht mehr ist, sei auf eine Entscheidung des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl zurückzuführen, erklärt Prof. Dr. Nonn. „Kohl wollte einen Feiertag für die Wiedervereinigung. Das konnte der 17. Juni nicht sein als Tag der Trauer über die Teilung und die Niederschlagung des Aufstands.“

Mit der Wiedervereinigung habe sich die Nation wieder gefunden und Kohl habe dies feiern wollen, so der Historiker. „Daher musste es ein Tag aus dem Vereinigungsprozess sein. Der offensichtlichste Kandidat wäre der 9. November gewesen, weil da die Mauer gefallen ist.“ Jedoch sei in der deutschen Geschichte mit der Revolution von 1918 und der Reichspogromnacht 1938 um diesen Tag herum einiges passiert.

„Daher hat man den 3. Oktober ausgewählt, der eigentlich ein langweiliger Tag war, weil da der Vereinigungsvertrag in Kraft getreten ist. Da wurde formal die Wiedervereinigung vollzogen“, sagt Nonn.

Der 17. Juni bleibt ein offizieller Gedenktag

Doch hätte man den 3. Oktober nicht als zusätzlichen Feiertag einführen und den 17. Juni als Demokratie-Gedenktag behalten können? „Einen neuen Feiertag einzuführen ist sehr schwer, da sich dann beklagt wird, dass sich die Wirtschaft einen weiteren Feiertag nicht leisten könne“, ordnet Nonn ein. „Und statt dem 17. Juni zum Beispiel einen kirchlichen Feiertag zu streichen, wäre sicher am Widerstand der Kirchen gescheitert“, ist er sicher.

„Jetzt haben wir einen Nationalfeiertag, der die Deutsche Einheit feiert. Aber eigentlich keinen, der die demokratische Verfassung in den Mittelpunkt stellt. Dafür wäre aber der 23. Mai, der Tag der Einführung des Grundgesetzes, der richtige Tag“, so Nonn. Der 17. Juni indes bleibt in der Bundesrepublik ein Gedenktag und wird als solcher offiziell begangen.