Goch-Hommersum. Andrea und Jens Bodden züchten auf ihrem Biohof bei Goch das „Zweinutzungshuhn“. Ein Standort der „Ökologischen Tierzucht gGmbH“.
Wenn man mit Andrea und Jens Bodden bei einem Milchkaffee in der Küche sitzt und sie über ihre Arbeit und ihr Leben erzählen, ist der Eindruck gleich da, dass hier zwei Menschen zutiefst überzeugt sind, von dem, was sie tun. Dass es sie zufrieden und wahrscheinlich sogar glücklich macht. „Wir machen das hier mit Freude“, sagt Andrea Bodden und meint ihren familiengeführten Betrieb des Bioland-Geflügelhofs Bodden, etwas außerhalb der kleinen Gocher Ortschaft Hommersum gelegen, und die Entscheidung für die Zucht, Haltung und Verwertung von Geflügel nach dem Prinzip des Zweinutzungshuhns. Weil noch immer viel zu wenige wissen, was es damit eigentlich auf sich hat, gibt es seit zwei Jahren bundesweit am 22. Januar den Tag des Zweinutzungshuhns, an dem alte Hühnerrassen und das Öko-Huhn der Zukunft im Mittelpunkt stehen.
Hier dürfen auch männliche Küken leben
Wohl jeder dürfte die schrecklichen Bilder kennen, wenn frisch geschlüpfte (männliche) Küken geschreddert oder vergast werden, weil sie nun mal keine Eier legen können und für die Mast als ungeeignet gelten. Zwar ist es in Deutschland seit Anfang 2022 per Gesetz verboten, die sogenannten Bruderhähne zu töten, in den meisten europäischen Nachbarländern aber weiterhin möglich. Umstritten ist außerdem die als Alternative angesehene In-Ovo-Selektion, die Bestimmung des Geschlechts bei Embryonen noch vor dem Schlüpfen. Zuverlässig möglich ist das erst, wenn der Embryo lebt. Dann aber hat er auch ein Schmerzempfinden. „Das Geld, das hier investiert wird, könnte man viel besser in die Forschung rund um das Zweinutzungshuhn stecken“, findet Andrea Bodden. „Im Grunde brauchen wir keine speziell gezüchteten Masthähnchen oder Legehennen“, ist sie überzeugt.
Dieser Form der Hühnerzucht und Geflügelproduktion setzen die Boddens seit mehr als zwei Jahrzehnten etwas entgegen. Sie ziehen beide Geschlechter ihrer Küken auf, sind bundesweit einer von wenigen Demeter- bzw. Bioland-zertifizierten Betrieben, die mit der gemeinnützigen Gesellschaft Ökologische Tierzucht (ÖTZ) zusammenarbeiten. Gezüchtet werden sollen Tiere, die auf ökologische Haltungsbedingungen ausgerichtet sind. In Hommersum sind es Züchtungen aus den alten Rassen Bresse und New Hampshire bzw. White Rock. Coffee und Cream heißen die Kreuzungen dann wegen der Farbe ihres Federkleids.
Ab 2025 sollen in Hommersum nur noch selbst gezüchtete Hühner aufgezogen werden
Seit 2015 arbeiten Boddens und ÖTZ zusammen, sind nach Bioland-Richtlinien zertifizierter Zuchtstandort in NRW. Inzwischen wird die siebte Generation Hühner angepaart. „Wir haben Elterntiere hier, also Vater und Mutter unserer Tiere“, ist Andrea Bodden stolz. Ab 2025 sollen in Hommersum nur noch selbst gezüchtete Hühner aufgezogen werden. Bislang beziehen sie ihre Küken noch. „So ist es trotz des Verbots zu schreddern in Deutschland möglich, dass ein Küken hier lebt, dessen Bruder zum Beispiel in den Niederlanden getötet wurde“, schüttelt sie den Kopf.
Boddens Legehennen schaffen 230 Eier pro Jahr und Huhn. Konventionell gehaltene Tiere legen jeden Tag ein Ei. „Das Tier steht dafür unter Stress“, weiß die Landwirtin. Krankheiten entstünden leichter. „Diese ständige Optimierung sollte in der Landwirtschaft ein Ende haben“, findet sie. „Wir sollten Ressourcen schonen und stabile Zucht mit einfachen Produkten betreiben, mit denen die Tiere zurechtkommen“, appelliert Jens Bodden.
Natürlich muss auch der Hof auf dem ehemaligen Militärgelände Geld erwirtschaften. Und ja, es koste, den Bruderhahn mit aufzuziehen. „Im Augenblick subventionieren wir den Hahn quer“, sagt Jens Bodden. Noch sei sein Fleisch am Markt nicht positioniert. Aber es sei doch so: „Wenn ich mich verpflichte, Tiere artgerecht zu halten, gilt das eben für alle.“ Im Grunde also ganz einfach: das Huhn, das Ei und der Bruder, den man „wohl irgendwie vergessen habe“, glaubt Jens Bodden. „Natürlich dürfen wir die Fleischausbeute nicht aus den Augen verlieren, sondern müssen den gesunden Mittelweg finden zwischen den Bedürfnissen der Verbraucher und der Landwirte“, sagt er.
Ein wirklich hochwertiges Lebensmittel
„Wir versuchen bei allem, was wir hier machen, die Geschichte zum Lebensmittel zu schmecken“, erklärt der 51-Jährige. „Mit unseren Züchtungen haben wir eine Kombination gesucht und gefunden, bei der die einen das Fleisch, die anderen die Eier liefern.“ Das ist, klar, nicht preiswert. „Dafür bekommt man bei uns hochwertige Lebensmittel“, so Bodden. Solche, die „ihren Preis wert“ seien. Damit stecken Boddens aber derzeit noch in einem Dilemma. Denn auch ihren Abnehmern, den Metzgereien, werde das Leben strukturell erschwert, immer mehr klassische Fleischereibetriebe gäben auf. Umso glücklicher ist man in Hommersum über Metzgermeister Stefan Molls von der Naturfleischerei Wefers in Krefeld, den sie mit Eiern und Geflügel beliefern und der ihre Philosophie teilt.
Er war es, der ihnen den „kleinen Schubser“ gegeben hat, Anfang 2022 ein eigenes Schlachthaus zu bauen. Seitdem schließt sich für Familie Bodden der Kreis von der Aufzucht des Kükens bis zu seiner Nutzung als Lebensmittel. „Wir haben den nötigen Respekt, weil wir die ganze Woche mit lebenden Tieren arbeiten“, betont Bodden. Mit der Bäckerei Bulle in Düsseldorf und einem Unverpackt-Laden als Abnehmer konnten sie inzwischen weitere Kunden für ihre Produkte finden. „Sie stehen hinter unserer Idee und verbreiten sie weiter“, ist Andrea Bodden überzeugt. „Solche Leute bauen uns auf.“
Es bereichere sie, so zu arbeiten, sagen beide. „Das gilt auch für das Schlachthaus, auch wenn es sich betriebswirtschaftlich nicht rechnet“, meint Jens Bodden. „Du weißt einfach, was du isst.“
Noch ist viel Überzeugungsarbeit nötig
Sie hoffen darauf, sagen Jens und Andrea Bodden, dass der Bedarf an den Elterntieren zukünftig so groß werde, dass sie allein ihn nicht mehr werden decken können. Doch das dürfte noch ein weiter Weg sein und viel Überzeugungsarbeit benötigen. Pro Jahr, rechnet die 58-Jährige vor, gebe es bundesweit 40 Millionen Legehennen. „Wir schaffen gerade mal 120.000.“ Ein Bruderhahn wird bis zu 16 Wochen aufgezogen, um dann ausgeschlachtet zwischen 1,5 und 1,8 Kilogramm zu wiegen. In der reinen Masthaltung erreichen die Tiere ein höheres Gewicht in weniger Zeit.
Mit Hartnäckigkeit und Konsequenz
„Klar, wir arbeiten in einer Nische“, ist sich Andrea Bodden bewusst. Den nötigen Optimismus für ihr Tun und ihre Hartnäckigkeit und Konsequenz hätten sie wohl von ihren Eltern geerbt, glauben beide. Dass mit ihren beiden Söhnen zwei ihrer drei Kinder den Hof weiterführen wollen, bestärkt sie darin, auf dem richtigen Weg zu sein. „Dafür haben sie sich bewusst entschieden. So viel haben wir also nicht falsch gemacht“, grinst die Landwirtin.