An Rhein und Ruhr. Weil es mehr Lehrstellen als Bewerber gibt, können Auszubildende heute mehr fordern. Azubis aus Wesel und Essen berichten, was ihnen wichtig ist.
Die besten Aufstiegschancen, eine gute Bezahlung oder flexible Arbeitszeiten. Kriterien, die für jeden Arbeitnehmer zu schön erscheinen, um wahr zu sein. Lehrlinge werden knapp, Lehrstellen immer öfter zu Leerstellen: Daher können die Azubis Anforderungen stellen. Wie sie und ihre Ausbildungsbetriebe damit umgehen, zeigt beispielsweise der Berufseinstieg von Pia Franken.
„Ich wollte einen krisensicheren Arbeitsplatz.“
Ihr Aufgabenbereich besteht aus Buchführung und Kostenabrechnung sowie Auftrags- und Rechnungsbearbeitung. Ebenso zählen auch Leistungsabrechnung mit Kranken- und Pflegekassen sowie Personal- und Qualitätsmanagement als auch Öffentlichkeitsarbeit zu ihren Hauptaufgaben.
Franken macht eine duale Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen bei Pro Homine am Marienhospital in Wesel. Nebenbei studiert die 19-Jährige Management im Gesundheitswesen. „Ich fand Bürojobs immer interessant“, sagt sie. Doch das persönliche Interesse war nicht ihre einzige Anforderung: „Ich wollte einen krisensicheren Arbeitsplatz.“
Bewerberzahlen sind rückläufig
Obwohl das Gesundheitswesen zu den krisensicheren Berufsbranchen gehört, klagen die Betriebe über immer weniger Bewerber. Pro Homine-Ausbilder Philip Taxidis erinnert sich an vergangene Jahre: „Wir haben uns den Luxus gegönnt, uns auf Abiturienten zu konzentrieren“, sagt er. Heute sei das aufgrund zu geringer Bewerberzahlen nicht mehr möglich. Der Betrieb habe sich sogar für die Fachoberschulreife (Realschulabschluss) geöffnet, so Taxidis. Dabei bemerkt er „allein in der Gestaltung der Bewerbung Unterschiede“. Aufgeklebte Fotos im Lebenslauf, was als unprofessionell und eher unüblich gilt, seien da keine Seltenheit, erzählt der Pro Homine-Ausbilder lächelnd.
Auch die Universität Duisburg-Essen klagt über rückläufige Bewerbungen. Dem steuert der Betrieb seit einigen Jahren gegen. „Im Moment merken wir stark, dass man als ausbildender Betrieb werben muss“, sagt Ausbilderin für Büromanagement Claudia Hobe. Die Stellenausschreibung muss „ansprechender gestaltet“ sein, so die Ausbilderin. Flexible Arbeitszeiten und Dienstlaptops für die Azubis sind nur einige Beispiele für die Anpassung an die heutigen Anforderungen der Lehrlinge.
Anforderungen und Interessen ändern sich mit der Zeit
Mit den Anforderungen ändern sich auch die Interessen der Azubis im Laufe der Zeit. Angesprochen von der „Werbung“ fühlte sich zumindest Maximilian S. – der aus persönlichen Gründen nicht mit vollem Namen im Artikel stehen möchte – so. Maximilian wollte Lehrer werden und hat bereits an der Uni Duisburg-Essen Philosophie und Germanistik studiert, später im Studium ist er auf Geschichte umgesprungen. „Im Laufe des Studiums haben sich meine Interessen geändert“, sagt er.
Ebenso habe der Standort für den in Mülheim wohnenden Azubi eine entscheidende Rolle bei der Wahl des Ausbildungsortes gespielt. Seit dem ersten August macht Maximilian nun eine Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement an der Uni Duisburg-Essen und kann so, wie der angehende Kaufmann sagt, „meinen neuen Interessen im Verwaltungs- und Organisationsbereich nachgehen und auch meine Work-Life-Balance finden“.
Zum Wohle der Familie
Kelly Amanda Canpolat ist ein vielseitig interessierter Mensch. Nach ihrem Vollabitur, studierte die heute 30-Jährige Islamwissenschaften und Theologie, anschließend Spanisch und zuletzt Farbtechnik, Raumgestaltung und Oberflächentechnik. Keinen der Studiengänge hat sie abgeschlossen, doch was nicht ist, kann noch werden. „Ich habe das Studium nicht abgebrochen, sondern unterbrochen“, sagt sie im Gespräch mit der NRZ.
Als Canpolat mit 29 Jahren Mutter wurde, habe sie sich wegen ihres Kindes neuorientieren müssen. Die Teilzeitausbildung als Stadtsekretär-Anwärterin stellte sich als perfekt geeignet für die junge Mutter heraus. Schnell merkte sie auch wie vielseitig und interessant die Arbeit ist und begann gleich darauf die zweijährige Ausbildung in der Verwaltung ihrer Heimatstadt Essen. „Es ist viel mehr als Büroarbeit“, so die Azubine. Ihre Anforderungen an den Job seien ein Zusammenspiel aus guter Bezahlung, Work-Life-Balance und freundlichen Kollegen. Doch: „Wenn es Spaß macht, ist das das Tüpfelchen auf dem i“, sagt Canpolat lächelnd.
Rassismus im Berufsleben
In ihrer ersten Woche in der Berufsschule wurden sie und ihre Mitschüler nach ihren Anforderungen an den Beruf gefragt. Ein für sie wichtiger Punkt: kein Rassismus. Die gebürtige Essenerin ist Halbbrasilianerin und sei aufgrund ihres Aussehens in der Vergangenheit schon mit Alltagsrassismus konfrontiert worden.
„Wir sind hier geboren und sprechen die Sprache manchmal besser als einige Deutsche ohne Migrationshintergrund“, sagt Canpolat. Dennoch würde man immer wieder auf seine Hautfarbe oder den exotisch klingenden Namen reduziert, so die Azubine. Glücklicherweise habe man ihr für die Ausbildung als Stadtsekretärin versichert, dass sie keinen Rassismus zu befürchten habe. Sollte sie diesen in ihrer Ausbildung doch erfahren, solle sie das unverzüglich melden, erzählt sie.