Monheim am Rhein. Klamme Kommunen staunen, wie sich Monheim dank niedriger Gewerbesteuer entwickelte. Mittlerweile drohen der Stadt am Rhein hohe Schulden.

Drei Säulen aus Bronze recken ihre Hälse in den Himmel. Durch das künstlerische Trio bahnt sich ein betagter Herr mit einem Einkausftrolley den Weg Richtung neu gestalteter Rathausgalerie. „Point of View“, Standpunkt, heißt das Kunstwerk von Tony Cragg. Rund 1,5 Millionen Euro hat es gekostet. Eine Anschaffung, die sich eine reiche Stadt wie Monheim am Rhein gönnen kann. Oder eher gesagt konnte. Damals, im Sommer 2023 sah alles noch rosig aus für Monheim. Klamme Städte wie Oberhausen oder Duisburg konnten von solchem Luxus nur träumen. Der Traum der Boom-Stadt Monheim wurde vor allem durch einen niedrigen Gewerbesteuersatz real. Mittlerweile drohen der Stadt laut Experten hohe Schulden. Aber war es gerecht, dass sich eine Stadt durch den niedrigsten Gewerbesteuersatz in NRW bereicherte, während andere Städte Unternehmen ziehen lassen müssen?

Daniel Zimmermann ist seit 2009 Bürgermeister der Stadt, damals war er der jüngste hauptamtliche Bürgermeister in NRW. Inzwischen befindet er sich in seiner dritten Amtszeit. Der heute 42-Jährige weiß wohl um die Debatte und die Neider aus anderen Städten, und er kann sie gar in Teilen verstehen. Im Interview mit der NRZ im Juli 2023 verteidigt er eine seiner ersten Amtshandlungen: Die massive Senkung der Gewerbesteuer.

Stadt Monheim kauft Einkaufszentren

Monheim hat diese Entscheidung Glanz gebracht: kostenfreie Fahrt mit dem ÖPNV innerhalb der Stadt, kostenfreie Kita, eine Belebungskur für die Innenstadt, nachdem die Stadt die Einkaufszentren selbst gekauft hat und sie nun zukunftsfähig aufstellt, und ein 61-prozentiges Plus an Arbeitsplätzen innerhalb von zehn Jahren. War die Gewerbesteuersenkung auf 250 Prozent für Monheim also die beste Entscheidung, Herr Zimmermann?

„Es war auf jeden Fall eine wichtige“, sagt das Stadtoberhaupt im Gespräch mit der NRZ. „Sie hat der Stadt einen gewissen Erfolg gebracht. Wir haben in den vergangenen Jahren schon freier entscheiden können, als wenn es diese Gewerbesteuersenkung nicht gegeben hätte. Aber es ist keine Entscheidung, auf der wir uns ausruhen können. Nach dem Motto: Wir haben den geringsten Gewerbesteuersatz, die Unternehmen kommen jetzt von ganz allein“, ergänzt Zimmermann.

Monheim investiere viel, um passende Bedingungen zu schaffen, um – falls nötig – eine neue ÖPNV-Anbindung einzurichten, Baugenehmigungen binnen fünf Wochen zu erteilen. Für Zimmermann gehört das zusammen. Deswegen „würde ich auch nicht sagen, dass wir ohne die niedrige Gewerbesteuer heute keine kostenlose Kita hätten. Am Ende muss man im Rahmen des vorhandenen Geldes Prioritäten setzen. Und grundsätzlich ist uns in Monheim Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit für Kinder ein großes Anliegen.“

Oberhausen hat die Konkurrenz zu spüren bekommen

Dafür aber braucht es eben Geld. Zimmermann rechnet dieses Jahr mit Einnahmen aus der Gewerbesteuer von 225 Millionen Euro. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr hat Oberhausen 143 Millionen Euro eingenommen – und das war schon ein sehr gutes Jahr (+73%). Im Jahr 2021 nahm die Ruhrgebietsstadt nur 83 Millionen ein.

Oberhausen hat selbst gespürt, wie es ist, wenn ein Unternehmen nach Monheim abwandert. Das Chemieunternehmen Oxea verlagerte vor rund sieben Jahren seinen Unternehmenssitz von der Ruhr an den Rhein. Der Oberhausener Kämmerer Apostolos Tsalastras kritisiert das damals scharf. Monheims Bürgermeister Zimmermann indes dreht den Spieß um: „Man kann die Meinung vertreten, dass unser Gewerbesteuersatz zu niedrig ist. Aber dann sage ich: In anderen Städten ist er zu hoch.“

Der Platz rund um das Rathaus in Monheim am Rhein ist umgestaltet worden.
Der Platz rund um das Rathaus in Monheim am Rhein ist umgestaltet worden. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Dabei will er nicht einmal den Städten die Schuld für die hohen Sätze geben, sondern den „Mechanismen des kommunalen Finanzausgleichs und auch der Landespolitik, die Kommunen in schlechter finanzieller Lage dahin gedrängt hat, die Gewerbesteuern anzuheben.“ Das Ergebnis: mangelnde Wettbewerbsfähigkeit – und das auch international.

Wie zum Beweis legt Zimmermann ein Schaubild vor, das zeigt, wie viele steuerlichen Abgaben Unternehmen im internationalen Vergleich zahlen müssen. Zimmermanns Berechnungen zufolge muss ein Unternehmen in Monheim 24,6 Prozent auf die Gewinne abführen, während es in Oberhausen 36,1 Prozent wären. Auf NRW berechnet beträgt die Abgabe 31,5 Prozent. Damit zahlen die Unternehmen mehr Abgaben als in den Nachbarländern von NRW. In den Niederlanden, Belgien und Österreich liegt die Steuerbelastung bei 25 Prozent – und damit eher bei Monheim als bei Oberhausen. „Wir versuchen also lediglich, in diesem europäischen Wettbewerb zumindest im Mittelfeld standzuhalten“, argumentiert Zimmermann.

Zimmermann: Monheim leistet seinen Beitrag für den Finanzausgleich

Deswegen hält er auch nichts von dem Ansinnen der schwarz-grünen Landesregierung, dass reiche Kommunen negative Schlüsselzuweisungen erhalten, also Strafzahlungen leisten sollen, um einen Ausgleich zu schaffen. Eine solche Strafzahlung würde, so Zimmermann, niemals ausreichen, um die Haushalte der anderen Städte in NRW auszugleichen. „Ich bin ein großer Freund von Gerechtigkeit. Man kann aber fragen: Ist es ungerecht, dass es in Monheim gut läuft? Aber es würde doch nicht anderen Kommunen besser gehen, wenn es in Monheim nicht gut laufen würde. Die eigentliche Ungerechtigkeit ist doch, dass es in anderen Kommunen zu wenig finanzielle Ausstattung gibt.“

Die Skulpturen des Bildhauers Tony Cragg in der Innenstadt von Monheim.
Die Skulpturen des Bildhauers Tony Cragg in der Innenstadt von Monheim. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Zudem leiste Monheim seinen Beitrag über den kommunalen Finanzausgleich, bringt er an. „Je niedriger der Steuersatz ist, desto mehr muss man prozentual von den Steuern teilen“, erklärt er. Vor der Gewerbesteuersenkung habe Monheim Einnahmen von etwa 20 Millionen im Jahr gehabt, davon durfte sie die Hälfte – also 10 Millionen – behalten. Dieses Jahr sollen es 225 Millionen sein, davon dürfe Monheim aber nur 20 Prozent behalten. Die anderen 80 Prozent flössen in den Finanzausgleich. Zimmermann sieht das also so: „Wir binden letztendlich Steuerkraft an die Region, führen damit Steuerkraft dem kommunalen Finanzausgleich zu, die sonst gar nicht da wäre.“

Professor Dr. Gunnar Schwarting hat sich in seinem aktuellen Buch „Kommunale Steuern“ mit dem „Gewerbesteuerdumping“ beschäftigt. Ist ein niedriger Gewerbesteuersatz also verwerflich? „Wäre ich Bürgermeister im Ruhrgebiet würde ich zumindest sagen: Es ist unfair“, sagt er im Gespräch mit der NRZ. „Aber es ist nicht verboten.“ Wenn sich auch keine vollständige Gerechtigkeit herstellen ließe, so gebe es doch Stellschrauben, an denen sich drehen ließe, um das System fairer zu gestalten.

Experte: Gewerbesteuersatz prinzipiell anheben

Zum einen, so Schwarting, könne der Gesetzgeber überlegen, den Minimalgewerbesteuersatz von derzeit 200 auf 300 Prozent anzuheben, damit die Differenzen zwischen den Städten kleiner werden. „Ob das aber beim Bundesverfassungsgericht Bestand hat, weiß ich nicht. Denn mit Sicherheit würde dagegen geklagt“, schätzt er.

Zum anderen könnten sich Aufsichtsbehörden offener zeigen: „Städte wie Oberhausen nehmen ja nicht freiwillig einen Satz von 580 Prozent. Dahinter steckt die Aufsichtsbehörde, die sagt: Wenn ihr eure Steuer senkt, dann habt ihr weniger Geld und es geht euch noch schlechter. Ob das wirklich so ist, ist eine andere Frage“, meint Schwarting. „Wenn diese Differenz von mehr als 300 Punkten bestehen bleibt, hat eine Stadt wie Oberhausen keine Chance“, so Schwarting.

Oder: Reiche Städte könnten eine höhere Solidaritätsumlage zahlen. Aber, so Schwarting, es dürfe nicht so viel an Umlage abgezogen werden, dass am Ende eine reiche Stadt schlechter dasteht als eine, die viel weniger Steuern einnimmt, aber durch den Finanzausgleich mehr bekommt. „Da gibt es Grenzen“, sagt Schwarting. „Man kann den Monheimern ja nicht verbieten, dass es ihnen gut geht. Stattdessen muss die Landesregierung andere Standorte fördern, damit sie nicht völlig zurückfallen.“