Düsseldorf. Über 42.000 ukrainische Kinder und Jugendliche besuchen eine Schule in NRW. Zwei Lehrerinnen berichten von ihrem Alltag mit den Neuankömmlingen.
Nazar wird am Wochenende einen Film schauen, auf Deutsch, wie er betont. Die Pläne von Max sind noch offen, er hilft seiner Mutter häufiger beim Essenmachen, gerade bei Salaten sei seine Unterstützung gerne gesehen. Für Kyril steht Boxtraining auf dem Programm „und natürlich mache ich die Deutsch-Hausaufgaben“. Diese letzte Aussage zaubert bei Parthena Soulidou ein Lächeln ins Gesicht.
Die Deutschlehrerin mit drei Jahrzehnten Berufserfahrung unterrichtet die 14-jährigen Nazar, Max und Kyril an der Dieter-Forte-Gesamtschule in Düsseldorf. Vor inzwischen über einem Jahr flohen die drei ukrainischen Jungen, so wie viele weitere Kinder und Jugendliche, mit ihren Familien aus ihrer Heimat vor dem Krieg, angestachelt durch Russlands Präsidenten. Parthena Soulidou und ihre Kollegin Nelli Arslan versuchen, unterstützt auch durch emsige ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die Neuankömmlinge, derzeit 19 an der Zahl, in den Schulalltag zu integrieren, ihnen Bildungschancen zu geben.
Mit der Grammatik wird es ernst
Und das fängt bei der Sprache an. Deutsch-Grundkenntnisse haben beispielsweise die drei Jungen bereits, sind aus einer Willkommensklasse heraus im Regelunterricht angekommen. Darum wird es nun ernster, die Präpositionen stehen in dieser Unterrichtsstunde im Mittelpunkt. Reihum fragt Parthena Soulidou ab, gilt es Sätze zu vollenden. „Ich zweifel...“, „ich bedanke mich ...“. Die Antworten „an“ und „für“ kommen relativ schnell. Nach einem kurzen Austausch über die Wochenendplanung ist dann schon Zeit für die Pause – genug Grammatik für heute.
Für die Lehrerinnen Parthena Soulidou und Nelli Arslan bietet sich die Gelegenheit, die vergangenen Monate Revue passieren zu lassen. „Wir waren hier zu Beginn im vergangenen Jahr schon so etwas wie ein kleines Schulamt. Wir haben uns, zusammen mit dem Sekretariat, um die richtige Anmeldung der Kinder gekümmert, die zu uns gekommen sind“, blickt Soulidou zurück. Nelli Arslan, ebenfalls Deutschlehrerin, ergänzt: „Mit Seiteneinsteigern haben wir seit 15 Jahren zu tun.“
Erfahrungen aus 2015 haben geholfen
Geholfen hätten zudem die Erfahrungen aus 2015, als viele syrische Kinder aufgenommen wurden . Hektisch sei es darum nicht geworden, als im vergangenen Jahr Ukrainerinnen und Ukrainer in Düsseldorf ankamen. „Klar, es war und ist eine Doppel- und Dreifachbelastung, es kommt einiges zum normalen Unterricht hinzu. Es ist aber auch eine Belastung, die wir gerne angehen“, so Arslan.
Generell sei die Gesamtschule ein offener Ort, treffen hier derzeit Menschen aus 27 Nationen zusammen. Dieser Umstand mache sich bezahlt, sind ukrainische und russische Sprachkenntnisse im Lehrerkollegium und der Schülerschaft bereits vorhanden. „Auf externe Dolmetscher können wir so verzichten“, führt Parthena Soulidou an. Die Schulleitung halte ihr den Rücken frei, auch die Stadt tue ihr möglichstes.
Wie funktioniert das Lernen einer neuen Sprache? „Der Kontakt mit der deutschen Sprache ist natürlich sehr wichtig“, betont Nelli Arslan. „Wir möchten die Kinder gerne raus aus einer ausschließlichen ukrainischen Sprach-Blase holen“, erklärt sie. Das Anwenden einer neuer Sprache sei extrem wichtig, dazu gehöre es auch, Gespräche oder Nachrichten auf Deutsch aufzuschnappen.
Motivation ist zentral
„Ohne Motivation aufseiten des Kindes gibt es keinen Lernerfolg“, glaubt Parthena Soulidou. Gegenseitige Wertschätzung sei in diesem Zusammenhang zentral. „Ich versuche den Schülerinnen und Schüler zu vermitteln, dass ich auch ein Interesse an ihrer Sprache und Kultur habe. Man muss selbst offen sein, dann kann man diese Offenheit auch von anderen erwarten.“
Eine Schwierigkeit sei die Unsicherheit über die Zukunft. Plant die geflüchtete Familie, auch nach dem Krieg in Deutschland zu bleiben? Oder ist der Schüler oder die Schülerin in Gedanken schon wieder zurück in der Ukraine?
In der Schule spiele der Krieg als Thema keine Rolle. „Wir haben uns, auch im Austausch mit den ukrainischen Eltern, darauf verständigt, das im Unterricht möglichst auszublenden.“ Die Neuigkeiten aus der Heimat seien schließlich in den Familien schon großer Gesprächsstoff.
Bessere Personalausstattung
Welche Wünsche haben Parthena Soulidou und Nelli Arslan an die Landes- und Bundespolitik? „Eine bessere personelle Ausstattung, generell mehr finanzielle Mittel für die Bildung“, sagt Arslan und erntet die Zustimmung ihrer Lehrerkollegin. Die Klassengrößen, nicht selten werden 30 Kinder und mehr zusammen unterrichtet, gelte es zu verringern. „Wir haben während der Hochphase der Coronapandemie, als unsere Klassen zweigeteilt und die beiden Gruppen dann im wochenweisen Wechsel zu uns kamen, eine deutlich andere Lernatmosphäre gehabt“, berichtet Parthena Soulidou. „Das kam auch als Rückmeldung von den Schülern zurück. ‚Wow, jetzt kann ich mich auf einmal im Unterricht konzentrieren‘, hieß es da.“
Die Digitalisierung sei ebenfalls ein Problemfeld, die flächendeckende Verfügbarkeit eines kabellosen WLAN-Netzes etwa ein Anliegen – und natürlich bessere Raumsituationen.
Das Land Nordrhein-Westfalen, so erklärt es das Schulministerium auf NRZ-Anfrage, habe mit den Haushalten 2022 und 2023 zur Sicherstellung der Unterrichtsversorgung geflüchteter Schülerinnen und Schüler insgesamt 4314 zusätzliche Stellen zur Verfügung gestellt. Außerdem erfolgten seit April des vergangenen Jahres 1266 befristete Einstellungen in den Schuldienst erfolgen, davon 102 Personen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit (Stand: Februar).Neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler können in drei unterschiedlichen Organisationsformen eine Deutschförderung erhalten: 1. Teilnahme am Regelunterricht; 2. Besuch einer eigenen Lerngruppe und der teilweisen Teilnahme am Regelunterricht; 3. Besuch einer eigenen Lerngruppe.