Kleve. Andreas Krumsiek ist neuer Leiter der JVA in Kleve. Im Interview erzählt von Kussverboten während der Pandemie und von den Folgen eines Suizids.
Andreas Krumsiek kommt lässig rüber. Modische Brille, blaue Jeans, grauer Pulli, darüber ein etwas knittriges schwarzes Sakko, im Interview vor dem Gefängnis in Kleve wirkt er aufgeräumt und strukturiert. Der 54-Jährige ist seit dem 1. Dezember Leiter der kleinen „Justizvollzugsanstalt“ (JVA) am Niederrhein. Vorher war er in Köln, als stellvertretender Leiter der größten JVA in Nordrhein-Westfalen. Ein Gespräch über neue und alte Herausforderungen in einem Gefängnis, das durch den Tod eines jungen Gefangenen vor vier Jahren in die Schlagzeilen geriet.
Herr Krumsiek, Sie sind aus der JVA Köln, der größten Haftanstalt in NRW, an den Niederrhein gewechselt und sind jetzt Leiter der kleinen JVA in Kleve. Empfinden Sie das als Herausforderung oder als Strafversetzung?
In Köln sind fünfmal mehr Inhaftierte und mindestens viermal mehr Bedienstete. Das ist eine andere Herausforderung. Man ist in der Leitungsposition nicht mehr mit allem betraut, sondern nur mit dem fokussierten Ende. Hier in Kleve hat man viel mehr auf dem Tisch. Das ist kein Rückschritt, sondern eine besondere Eigenverantwortung für eine Anstalt. Die Größe spielt keine Rolle. Auch 230 Gefangene können durchaus Arbeit machen.
In den vergangenen Monaten hat die Corona-Pandemie das Leben und die Arbeit in den Gefängnissen belastet. Wie ist die Lage jetzt, allgemein und speziell in Kleve?
Die Zahlen gehen deutlich zurück. Wenn überhaupt, haben wir nur noch wenige Positiv-Fälle unter den Bediensteten und den Inhaftierten. Wir können sukzessive lockern, den Gefangenen mehr Freizeitmaßnahmen anbieten. Ich habe vor zwei Tagen die Maskenpflicht aufgehoben. Man sieht ohne die Masken endlich auch etwas vom anderen Menschen, der Kontakt ist näher, sowohl unter den Bediensteten als auch zwischen Bediensteten und Inhaftierten. Die Atmosphäre ist sehr gut.
Wie ist ihre JVA durch die Pandemie gekommen?
Die Inhaftierten haben hier, aber auch in anderen Anstalten, alles mitgemacht, ruhig und konzentriert. Sie sind im respektvollen Umgang miteinander den Regeln gefolgt, die auch draußen galten.
Trotzdem dürfte es eine schwierige Zeit gewesen sein.
Es war eine sehr schwierige Zeit. Es gab viele Entbehrungen, gerade was den Kontakt mit den Familien anging. Dem ist man mit Skype-Besuchen begegnet. Man unterschätzt die Vorteile. Die Kinder können zu Hause mit dem Tablet durch die Wohnung laufen und das Zimmer zeigen. Wir haben erlebt, dass Skype manchmal beliebter ist als der persönliche Besuch. Der war mit dem Tragen der Maske verbunden und mit mangelnder Nähe. Gefangene und Besucher durften sich nicht in den Arm nehmen, sie durften sich nicht küssen.
Vor vier Jahren starb der junge Syrer Ahmad A. nach einem Brand in seiner Zelle. Danach lastete ein großer öffentlicher und veröffentlichter Druck auf der Belegschaft. Wie sind die Beschäftigten damit zurechtgekommen, wie ist die Stimmung jetzt?
Ein solches Ereignis bekommt man nicht schnell aus den Köpfen. Das soll auch nicht sein. Das weckt einen, verschärft in alle Bereiche zu gucken. Die Bediensteten waren tatsächlich sehr stark belastet. Das Thema ist noch immer virulent, aber es belastet die Bediensteten nicht mehr so, dass sie jeden Tag befürchten, es könne etwas passieren.
Wie kann ein solches tragisches Geschehen verhindert werden?
Es gehört leider zum Alltag, dass wir in Situationen kommen, die wir nicht einschätzen können. Die Aufgabe des Vollzuges ist es, damit professionell umzugehen und aus allem, was wir machen, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Auch wenn der Vollzug alles richtig gemacht hat, können wir ja besser werden. Schlussendlich können wir den Suizid eines Gefangenen nicht verhindern. Wir können aber alles dafür tun, dass so etwas nicht geschieht. Die Entscheidung trifft der Inhaftierte selbst. Die Bediensteten in Kleve sind besser geworden, ohne vorher schlecht gewesen zu sein.
Wie belastend ist Weihnachten für die Inhaftierten, steigt die Suizidrate?
Die Zeit ist massiv belastend für alle Gefangenen. Auch für die, die Weihnachten nicht feiern, wie unsere muslimischen Gefangenen. Es gibt über einen längeren Zeitraum nur eingeschränkte Möglichkeiten, weil es so viele Feiertage gibt. Aber wir versuchen, zusätzliche Angebote zu schaffen. Die Seelsorge ist vor Ort, der psychologische Dienst ist vor Ort, wir gehen in Gespräche mit den Inhaftierten. Der allgemeine Vollzugsdienst ist elementar vor Ort, die Gespräche mit den Inhaftierten zu suchen. Das tun die auch. Eine Häufung von Suiziden zu Weihnachten gibt es nicht. Die kommt eher durch die dunkle Jahreszeit als durch Weihnachten.