Essen. Deutschland schaltet bei den Erneuerbaren Energien den Turbo ein. Riesige Windparks entstehen im Meer. RWE geht sogar noch einen Schritt weiter.
Im Rennen um die nachhaltige Energieversorgung der Zukunft zieht es die Stromerzeuger hinaus aufs Meer. Riesige Offshore-Windparks mit über 200 Meter hohen Turbinen sollen in den nächsten Jahren in der Nordsee entstehen. Neue Technologie-Wege geht dabei auch der Essener Konzern RWE, der in rauer See Wind und Sonne kombinieren will: Zwischen den Windrädern sollen schon bald auf der Meeresoberfläche schwebende Solar-Inseln die Stromausbeute zusätzlichen erhöhen.
Grüner Windstrom aus dem Meer gilt als Königsklasse der Energieerzeugung. Offshore-Fotovoltaik aber setzt noch einen drauf: Auf hoher See müssen die elektrischen Komponenten Stürme und meterhohe Wellen überstehen und dem Salzwasser trotzen. Eine Antwort darauf hat das niederländisch-norwegische Unternehmen SolarDuck gefunden, das RWE die Technologie liefern wird: schwebende Inseln.
Empfindliche Solarmodule müssen Wind und Wellen trotzen
SolarDuck, ein Spin-off des größten niederländischen Schiffbauunternehmens Damen Shipyards, hat dreieckige Plattformen mit einer Seitenlänge von 35 Metern entwickelt, auf denen die Solarmodule installiert sind. Die miteinander verbundenen Plattformen werden von schwimmenden Pfeilern gehalten und schweben so mehrere Meter über der Wasseroberfläche. Wie ein Teppich auf dem Wasser sollen sich die Solarmodule dem Wellengang anpassen. Die empfindliche Elektrik bleibt trocken und sauber, teilt das Unternehmen mit.
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Bureau Veritas, eine der wichtigsten Prüfstellen für Offshore-Sicherheit, hat der Konstruktion die weltweit erste Zertifizierung für schwimmende Offshore-Solaranlagen verliehen. Die Anlage sei auf Wellenhöhe von bis zu 14 Metern und Wind in Hurrikan-Stärke ausgerichtet, teilte SolarDuck auf Anfrage mit. Angaben zu den Kosten einer Insel gibt es nicht.
In der Kombination von Meereswind und Sonnenenergie sieht RWE ungenutzte Möglichkeiten der Stromerzeugung. An Land sind große Flächen für Solarparks rar, auf dem Meer aber gibt es Platz zwischen den Windturbinen, um zusätzlichen Strom zu erzeugen. Auch bei Betrieb und Wartung der Hybrid-Anlagen ergeben sich laut RWE Vorteile. "Gerade für Länder mit geringeren und mittleren Windgeschwindigkeiten, aber hoher Sonneneinstrahlung sehen wir großes Potenzial - etwa im Mittelmeer“, sagt Sven Utermöhlen, CEO Wind Offshore bei RWE Renewables.
RWE startet Pilotanlage vor der niederländischen Küste
RWE, nach eigener Aussage hinter dem dänischen Konzern Ørsted weltweit die Nummer zwei der Offshore-Windbranche, will nun die schwimmenden Solarinseln in der Nordsee vorantreiben. Wenige Kilometer vor der Küste von Scheveningen in den Niederlanden soll auf einer Testfläche die Pilotanlage „Merganser“ mit einer Leistung von 500 Kilowatt installiert werden und laut RWE in der zweiten Jahreshälfte in Betrieb gehen.
Es wird das erste Offshore-Pilotprojekt des norwegisch-niederländischen Unternehmens sein. Für RWE aber soll Merganser der Grundstein für bedeutend größere Pläne werden: Wir wollen erste Anwendungserfahrung sammeln und so die vielversprechende Technologie weiterentwickeln", so Utermöhlen.
Im Rahmen des Gemeinschaftsprojekt EU-Scores will RWE gemeinsam mit anderen Partnern ebenfalls in diesem Jahr eine drei Megawatt-Offshore-Fotovoltaikanlage des niederländischen Unternehmens Oceans of Energy mit einem Offshore-Windpark vor der Küste Belgiens kombinieren.
Vor wenigen Wochen hat RWE von der niederländischen Regierung zudem den Zuschlag für einen Bauabschnitt des Offshore-Windparks Hollandse Kust West erhalten. Der Windpark soll später rechnerisch Strom für fast eine Million niederländische Haushalte liefern, er liegt etwa 53 Kilometer vor der niederländischen Westküste. Auf dem zugewiesenen Bauabschnitt plant RWE den Bau von Windrädern mit einer Kapazität von 760 Megawatt.
Niederlande sind für RWE ein wichtiger Wachstumsmarkt
Mit der Genehmigung ist RWE zugleich der Einstieg in den niederländischen Offshore-Windmarkt gelungen. Die Niederlande sind für den Essener Energieerzeuger einer der wichtigsten strategischen Wachstumsmärkte in Europa.
Auf der Fläche Hollandse Kust West VII will RWE gemeinsam mit SolarDuck inmitten der Windturbinen einen schwimmenden Solarpark mit einer Leistung von fünf Megawatt als Demonstrationsanlage errichten. Das Hybridprojekt könnte 2026 in Betrieb gehen. „Es wird die Robustheit unserer Lösung demonstrieren“, so SolarDuck-CEO Koen Burgers.
Milliarden in grüne Energie - nicht alle trauen RWE
Die Offshore-Parks und Solarinseln sind Teil der angekündigten milliardenschweren Investitionen in Erneuerbare Energien, mit denen RWE den Umbau des Konzerns vorantreiben will. Den Abschied vom fossilen Erbe aber nimmt dem Konzern nicht jeder ab: Die Auseinandersetzungen um den Tagebau in Lützerath erinnern Kritiker in diesen Tagen an das Bild des alten Kohlekonzerns.
RWE hatte Ende 2021 angekündigt, bis 2030 in Deutschland bis zu 15 Milliarden Euro unter anderem in Windkraft, Solar, Speicher und Wasserstoff zu investieren. Ein Schwerpunkt soll NRW sein. Bei der Offshore-Windenergie will RWE die installierte Leistung von derzeit drei Gigawatt bis 2030 auf acht Gigawatt erhöhen – und auch weiter hinaus aufs Meer ziehen: Schwimmende Turbinen sollen die Windkraft-Potenziale in tieferen Gewässern erschließen. RWE betreibt aktuell 18 Offshore-Windparks in fünf Ländern.
Die Technologie-Offensive deutscher Energiekonzerne zeugt auch von den Hoffnungen der Offshore-Windbranche, die Jahre des stockenden Ausbaus endlich hinter sich zu lassen. Die Hochsee-Technologie galt anfänglich als teuer und unausgereift. Inzwischen kann Offshore-Windstrom bei den Kosten mit Strom aus fossilen Quellen mithalten. Das macht Windenergie-Anlagen auf dem Meer zu wichtigen Säulen der Energiewende.
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15 Jahre hat diese Entwicklung gedauert, nun stehen 1539 Windräder in 28 Windparks vor den deutschen Küsten. Zusammen erzeugten sie 2022 rund 24,7 Terawattstunden Strom, stellt der Bundesverband WindEnergie in seinem neuesten Branchenbericht fest. Offshore-Wind hatte somit einen Anteil von fünf Prozent an der Nettostromerzeugung Deutschlands.
Habeck will Offshore-Windenergie bis 2030 vervierfachen
Den Turbo soll nun das Windenergie-auf-See-Gesetz einschalten, das zum Jahresbeginn in Kraft getreten ist. Mit den neuen Regelungen sollen Genehmigungsverfahren und Netzanbindung beschleunigt sowie mehr Flächen für Windparks ausgeschrieben werden können. Der Offshore-Windenergie und ihrem zuletzt stockenden Ausbau soll das einen drastischen Schub geben.
Das ambitionierte Ziel von Wirtschaftsminister Robert Habeck: Bis 2030 soll die vor den Küsten Deutschlands installierte Leistung von derzeit knapp acht Gigawatt auf mindestens 30 Gigawatt steigen und sich damit vervierfachen. Schon 2035 sollen 40 Gigawatt installiert sein, 2045 dann 70 Gigawatt.
Neue Turbinen-Generation mit 15 Megawatt Leistung
Um das zu schaffen, müssen größere Windparks und stärkere Anlagen geplant werden. Weil auch die Flächen vor den Küsten begrenzt sind, wollen die Energieunternehmen die Stromausbeute pro Windrad maximieren. Die installierte Leistung von Turbinen auf See wächst rasant. 2006 wurde im Rostocker Überseehafen die erste Offshore-Windanlage in Betrieb genommen. Die Nordex N90 brachte es damals auf eine Leistung von 2,5 Megawatt. Heute sind 15-Megawatt-Turbinen in Entwicklung.
Mit einer Gesamthöhe von 280 Metern und einem Rotordurchmesser von 236 Metern wird die V236 von Vestas die leistungsstärkste Windkraftanlage der Welt. Ein Prototyp wird derzeit in Westjütland in Dänemark getestet. Die Megaturbine mit 15 MW Leistung, die laut Vestas im Jahr Strom für 20.000 Haushalte erzeugen kann, soll im Windpark He Dreiht in der Deutschen Nordsee vor Borkum zum Einsatz kommen. Ein Dutzend dieser Windräder könnte dann so viel Strom erzeugen, wie eine Großstadt verbraucht. Der 900-Megawatt-Windpark, der vom Energieversorger EnBW betrieben wird, soll Ende 2025 in Betrieb gehen.