An Rhein und Ruhr. Der Moerser Lungenarzt Thomas Voshaar ist dafür, symptomfreie Infizierte und Kontaktpersonen weiterarbeiten zu lassen. Eine Maske reiche aus.

NRW lockert am Wochenende die meisten Corona-Regeln. Während zum Beispiel das Ende der Maskenpflicht an Schulen heftig diskutiert wird, sieht der Moerser Lungenarzt Dr. Thomas Voshaar in den Lockerungen einen längst überfälligen Schritt. Im Gespräch mit NRZ-Redakteur Dennis Freikamp erklärt der Experte, weshalb auch die Quarantäne-Pflicht aus seiner Sicht überarbeitet werden müsste.

Ein Großteil der staatlichen Corona-Maßnahmen wird nun aufgehoben. Was halten Sie davon?

Es gibt aktuell keine rationale Begründung mehr für ein verordnetes Pandemie-Management. Deshalb kann jetzt alles in die Eigenverantwortung der Menschen zurückgegeben werden. Jeder soll nach seinem persönlichen Sicherheitsbedürfnis entscheiden können, wie er oder sie sich schützt. Die Leute wissen ganz genau, worauf sie achten müssen. Wenn jemand älter oder chronisch krank ist oder aus ängstlichem Wesen heraus ein höheres Sicherheitsbedürfnis hat, ist das Tragen einer Maske in Innenräumen immer eine gute Option, auch in der Grippezeit.

Besonders das Ende der Maskenpflicht an Schulen wird heftig diskutiert. Haben Sie dafür Verständnis?

In den Schulen würde ich von einer Maske abraten, weil die Situation bei Kindern eine ganz andere ist. Auch das anlasslose Testen bringt so viel Leid und hilft überhaupt nicht. Das bedeutet natürlich nicht, dass ein Kind nicht trotzdem weiterhin freiwillig eine Maske tragen darf. Ich würde aber keine Verpflichtung aussprechen. Kinder werden bei weitem nicht in dem Ausmaß krank wie Erwachsene, weder bezüglich Häufigkeit noch hinsichtlich der Schwere. Und Long-Covid ist auch bei Kindern kein wirklich relevantes Thema. Die meisten von uns, egal ob Kind oder Erwachsener werden irgendwann positiv. Viele sind schon mehrfach positiv getestet. Infektionen kann und soll man auch jetzt in der Omikron-Welle nicht verhindern.

Schützt eine Durchseuchung der Bevölkerung tatsächlich langfristig vor dem Coronavirus? Muss nur jeder einmal infiziert gewesen sein? Oder hilft das nur so lange, bis die nächste Mutation auftritt?

Wir können niemals voraussehen, welche Mutation in Zukunft auftritt. Aktuell mit Omikron ist es aber so: Je mehr Menschen sich infizieren und je öfter sie sich infizieren, desto breiter wird die persönliche Immunität und die Immunität in der Gesamtbevölkerung. Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwann eine Mutation auftritt, die zu schwereren Verläufen führt als Omikron, ist übrigens geringer als dass es bei schwächeren Varianten bleibt.

Es gibt zum Teil widersprüchliche Informationen zur Lage der Krankenhäuser: Einerseits liegt die Zahl der gemeldeten intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Fälle laut DIVI trotz vierstelliger Inzidenzen unter dem Niveau der ersten Welle im April/Mai 2020, andererseits kommt es bereits wegen krankheitsbedingter Personalausfälle zur Schließung einzelner Klinik-Einrichtungen. Wie akut ist die Lage wirklich?

Das Argument der Überlastung des Gesundheitssystems ist faktisch falsch – die hat es bis auf einige Regionen und einen ganz kurzen Zeitraum während der gesamten Pandemie nie gegeben. Wir stellen sogar fest, dass diejenigen, die jetzt noch auf der Intensivstation liegen, bei weitem nicht mehr so krank sind wie zum Beispiel in der Delta-Welle. Eigentlich ist es aktuell eine ganz andere Erkrankung.

Aktuell beobachten wir ein anderes Phänomen: Es landen deutlich weniger Menschen auf der Intensivstation, aber es fallen im Moment viele Menschen krankheitsbedingt mal für eine Woche aus. Das betrifft das Krankenhauspersonal ebenso wie beispielsweise die Müllabfuhr. Daraus kann man aber keine Überlastung des Gesundheitssystems ableiten. Das kann bei schweren Grippeepidemien auch so sein. Dann fehlen für einige Tage Mitarbeiter und dann kommen sie wieder zurück. Da müssen wir durch, aber deshalb braucht es keine staatlichen Reglementierungen.

Bei der Diskussion um Corona-Maßnahmen geht es um die individuellen Freiheitsrechte auf der einen und dem Wohl der Bevölkerung auf der anderen Seite. Wie weit sollten die Lockerungen aus Ihrer Sicht derzeit gehen?

Wir sind aktuell in einer Phase, in der wir gar nicht mehr zwischen individuellen Freiheitsrechten und der Gesundheit der Allgemeinheit abwägen müssen. Alle staatlich vorgeschriebenen Maßnahmen sind sinnlos – auch das Zuhausebleiben in Quarantäne. Es sind so viele Infektionen im Umlauf, dass wir uns sowieso anstecken. Die Infektionen brennen sich durch die Bevölkerung. Wir wissen, dass etwa 50 Prozent der Infizierten gar nicht bemerken, dass sie sich infiziert haben. Wenn wir endlich aufhören, alle Infizierten und Kontaktpersonen in Quarantäne zu stecken, haben wir auch wieder mehr Menschen, die auf der Arbeit sind. Es reicht, wenn die eine Maske tragen. Also, kein anlassloses Testen mehr und zu Haus bleibt nur, wer krank ist.

Es ist ein Vorwurf, der immer wieder auftaucht: Medien, Virologen und Politiker hätten das Virus „überschätzt“ oder die Gefahr sogar gezielt dramatisiert, um bei der Einführung von Corona-Maßnahmen auf möglichst wenig Gegenwind zu stoßen. Was sagen Sie dazu?

Es ist falsch, einfach zu sagen, die Virologen oder die Politik hätten das Virus überschätzt. Sie müssen Bedenken: Als 2020 alles losging, da hatten wir eine ganz andere Situation. Es gab ein Virus, das schwer krank gemacht hat und gegen das wir keine natürliche Immunität hatten. Es gab auch noch keinen Impfstoff. Aktuell finde ich allerdings jede Form von Angstverbreitung und Alarmismus unangebracht. Die Situation hat sich verändert, weil es eine Impfung gibt, weil die meisten Menschen so klug waren, sich impfen zu lassen und weil uns die Natur jetzt eine so harmlose Variante wie Omikron geschickt hat. Sie ist quasi der natürliche Ausweg aus der pandemischen Gefahr. Es hätte uns auch eine noch schwerer krank machende Variante als Delta treffen können.