Düsseldorf. „Die Todesschüsse legen sich wie ein Schatten über den Rosenmontagszug“, sagt Jacques Tilly. Mit einem Motivwagen geht er gegen das Trauma an.

Der Meister ist in Eile. Trotzdem nimmt Jacques Tilly sich Zeit, um bei der NRZ zurückzurufen. Selbstverständlich ist das nicht, schließlich hat der 56-Jährige an diesem Freitag noch viel vor. Er ist auf dem Weg zum Richtfest. Das „Comitee Düsseldorfer Carneval“ hat eine erlesene Schar von Karnevalisten und Repräsentanten der Stadt in die Wagenbauhalle geladen, um schon mal Wagen zu zeigen, die Montag im Zug mitrollen.

Die politischen Wagen von Tilly bleiben noch unter Verschluss. Und ein Motiv kann sowieso nicht gezeigt werden, weil es noch nicht mal im Kopf des Wagenbaumeisters existiert: ein Kommentar zu den Morden von Hanau, auf vier Rädern, aus Maschendraht, Pappmaschee und Farbe. Aber es bleiben ja noch zwei Nachtschichten ...

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Die von Tilly perfektionierte Bautechnik macht es möglich, notfalls über Nacht einen Mottowagen auf die Straße zu bringen (siehe dazu auch „Pfiffikus“ im Wochenend-Teil). Als vor acht Jahren Christian Wulff am Freitag als Bundespräsident zurücktrat, gab’s auch Extraschichten für einen abgestürzten, gerupften Bundesadler mit Präsidenten-Wappen. Darunter stand frech: „Und tschüss ..!“

Und als am Sonntag dann durchsickerte, dass Joachim Gauck der Nachfolger werden soll, haben sie noch ein aufbrechendes Adler-Ei dazugestellt, aus dem der Neue zu schlüpfen begann. Erst kurz bevor der Zug losrollte, war die Farbe trocken.

Gegen Terror, Hass und Gewalt – Jacques Tilly baute den Karnevalswagen für die NRZ

Vor zwei Jahren hatte Jacques Tilly erstmals einen Rosenmontagswagen für die NRZ gebaut. Karikaturist Thomas Plaßmann hatte das Motiv gezeichnet. Schon damals das Thema: Gegen Terror, gegen Gewalt und gegen die Hetze von Rechts – Die NRZ zeigt klare Kante. Das Thema war 2018 bei den Jecken am Zugweg gut angekommen – ebenso wie die Zentner von Süßigkeiten, die Herausgeber, Redakteure und Leser aufs närrische Volk herunterregnen ließen. Übrigens: Im nächsten Jahr soll es wieder einen NRZ-Wagen geben – auch weil unsere Zeitung dann 75 wird.

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Jacques Tilly und Thomas Plaßmann haben sich von Anfang an gut verstanden – auch weil sie politisch ähnlich denken und voller Sorge beobachten, dass sich unsere Gesellschaft verändert hat und plötzlich rechtsradikale Thesen wieder laut zu hören sind. Tilly hat sich von Beginn an auch an der AfD gerieben.

Im vergangenen Jahr baute er einen Wagen, auf dem überlebensgroß Nazi-Propaganda-Hetzer Joseph Goebbels seinen jüngsten Spross stolz in die Höhe reckt: Björn Höcke in Windeln. In früheren Jahren zeigte er schon den Biedermann Alexander Gauland mit hässlichem braunem rechtem Flügel. Oder einen Mann in blauer AfD-Badewanne -- und die braune Gülle schwappt über den Rand.


Zimperlich ist Tilly nicht. Wer austeilt, muss auch einstecken. Der 56-Jährige kann das. Aber manches, was ihm da im Schutz der Anonymität entgegengeschleudert wird, ist reine Pöbelei, ist Hass, ist vielleicht auch gefährlich. „Man sollte dir Großmaul das Fell über die Ohren ziehen ...“ Es ist nicht leicht, aus 400 Hass-Mails, die Jacques Tilly nach Rosenmontag bekommen hat, eine auszuwählen, die man drucken kann. Sogar Morddrohungen hat es schon gegeben.

Der Spalt in der Gesellschaft könnte tiefer werden

„Ich glaube, dass der Spalt in der Gesellschaft, den es ja auch in Polen, England oder den USA gibt, auch in Deutschland möglicherweise noch tiefer wird“, hat Tilly der NRZ gesagt. Er will sich die Hoffnung nicht nehmen lassen, dass die Deutschen aufgrund ihrer speziellen finstersten Geschichte eine stärkere Immunität gegen jede Form von rechtsextremer Menschenfeindlichkeit haben. „Ich glaube, dass die AfD nie über 15, 16 Prozent kommen wird, da kann sie sich dran die Zähne ausbeißen. Im Westen Deutschlands, wohlgemerkt.“

Und damit das so bleibt, wird er weiter mahnen, aufrütteln und anklagen. Am Montag wohl auch mit einem Wagen zu den Morden von Hanau. „Noch habe ich keine Idee“, seufzt Tilly. „Aber das Comitee will, dass wir einen Wagen zu dem Thema bauen.“ Und Jacques Tilly will das auch!


Noch bis zum 14. August ist in der Ludwiggalerie im Schloss Oberhausen die Ausstellung „Jacques Tilly – Politik und Provokation – Karikaturen XXL“ zu sehen.