An Rhein und Ruhr. Um die Betroffenheit der Christen zu zeigen, schlägt der Karikaturist und gläubige Katholik Thomas Plaßmann vor, Kreuze in Kirchen zu verhüllen.

Thomas Plaßmann hält es nicht mehr aus. Schon lange leidet er an seiner, der katholischen Kirche. Der tausendfache Missbrauch an Kindern, die jahrzehntelange Vertuschung, die bis in die jüngere Vergangenheit viel zu schleppende Aufarbeitung – das alles ist zu viel für den Essener, den die NRZ-Leser seit mehr als zwei Jahrzehnten als Karikaturisten kennen und schätzen. Jetzt hat Thomas Plaßmann eine Aktion gestartet: Er will, dass in der Zeit vor dem Advent die Kreuze in den Kirchen mit einem schwarzen Tuch verhängt werden: als Zeichen der Scham und Betroffenheit – und „um Jesus am Kreuz symbolisch den Anblick auf diese klaffende Wunde in seiner Kirche zu ersparen“.

Thomas Plaßmann hat sich in seiner Kirche stets zu Hause gefühlt, war als Jugendlicher selbst Messdiener und arbeitet in verschiedenen Funktionen auch aktiv bis heute mit. Das ist ihm immer noch wichtig, aber wer Plaßmanns wachen, kritischen Geist und seinen Sinn für Gerechtigkeit kennt – und das tun die Abonnenten der NRZ ja – , der ahnt, dass er längst nicht alles gut findet, was im Vatikan und in Bischofsresidenzen gesagt und getan wird. Seit vielen Jahren zeichnet er Kommentare zu kirchlichen Themen, auch zum sexuellen Missbrauch und zu der Weise, wie die Mächtigen in der Kirche damit umgehen. Immer wieder wurden die Zeichnungen in der NRZ abgedruckt, auch verschiedenen Kirchenzeitungen, wie dem „Ruhrwort“, auch bei der „Frankfurter Rundschau“ und bei „Spiegel.de“. Es gibt auch Bücher mit seinen Karikaturen zum Thema Kirche und zum Gemeindeleben (u.a.: „Was glaubst Du denn so ..?“).

Und doch hatte Thomas Plaßmann nun die Ahnung, dass Zeichnen alleine nicht ausreicht. „Als jüngst die schrecklichen Missbrauchszahlen aus der Kirche in Frankreich öffentlich wurden, ist bei mir das Fass einfach übergelaufen“, erzählt er im Gespräch mit der Redaktion. Vor zwei Wochen legte eine Untersuchungskommission in Paris die Ergebnisse ihrer zweieinhalbjährigen Forschung vor. Seit 1950 wurden etwa 330.000 Kinder zu Opfern sexualisierter Gewalt in der Kirche. In 216.000 Fällen waren die Täter offenbar Geistliche, in Tausenden weiteren Fällen waren es Laienmitglieder der Kirche.

Ein öffentlich sichtbares Zeichen

Als er das las, hat Thomas Plaßmann zuerst überlegt, sein Engagement in der Gemeinde ruhen zu lassen. Dann beschloss er, ein stärkeres, ein öffentlich sichtbares Zeichen zu setzen. „Es ist uns Christen in der katholischen Kirche ja nicht egal, was da passiert“, sagt er, „und das sollen auch alle sehen können.“ Und er schrieb einen offenen Brief an die „lieben Katholiken“ in seiner und in den anderen Gemeinden: „Wund, beschämt und fassungslos stehe ich vor dem vorstellungssprengenden Fakt des Missbrauchs in unserer Kirche“, schreibt er.

Und weiter: „Ich kann nicht einfach still so tun, als ginge mich das nichts an. Vielleicht bin ich nicht der Einzige, der so empfindet. Wir sind derzeit Teil einer Organisation, in der millionenfach schwerste Verbrechen an den Schwächsten und Unschuldigsten begangen wurden und vermutlich werden. Eine Organisation, deren Strukturen dies ermöglicht und erleichtert und deren Umgang mit dieser Katastrophe tiefe Risse bis ins Fundament hinterlässt. Es braucht ein Zeichen. Ein Zeichen von uns. Ein Zeichen in und aus den Gemeinden.“

Ein schwarzes Tuch über dem Kreuz soll solch ein Zeichen sein – auch als Mahnung an die Verantwortlichen, „angesichts dieses furchtbaren Abgrunds wirklich alles in die Vergangenheit und die Zukunft gerichtete Notwendige zu tun“. Thomas Plaßmann will das auch als deutliches, sichtbares Zeichen nach außen verstanden wissen, dass „auch wir, die wir unserer Kirche den Rücken nicht zugekehrt haben, leiden, mitempfinden, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und uns an unserem Platz für die notwendigen Schritte zur Heilung einsetzen“.

Schwarze Tücher sollen Kreuze in Deutschland, in Frankreich, in Kanada und in den USA verhüllen – überall dort wo katholische Christen an dieser Wunde leiden. „Auch vielleicht in St. Peter in Rom“, hofft Plaßmann – und ahnt wohl, dass es dazu nicht kommen wird.

Reaktion aus dem Bistum

Der Sprecher des Essener Ruhrbistums jedenfalls steht der Idee eher skeptisch gegenüber, hält symbolische Aktionen für „schwierig“. „Ich verstehe das Gefühl, ein Zeichen setzen zu müssen“, sagt Ulrich Lota. Andererseits befürchtet der Sprecher von Bischof Overbeck, dass dadurch neue Konflikte in die Gemeinden getragen werden, weil womöglich nicht alle es richtig finden, wenn das Kreuz verhüllt wird. „Mein Bild von Gott sagt mir, dass er trotzdem hinschaut auf das, was in der Kirche geschieht.“

Viel wichtiger sei doch, dass der Missbrauch gründlich, schonungslos und zügig aufgearbeitet werde. Und dass die Kirche Lehren daraus ziehe und alles daransetze, Missbrauch zu verhindern. Da habe man im Ruhrbistum vieles auf den Weg gebracht.

Und wenn nun doch Gemeinden Kreuze verhängen – was würden Bischof und Generalvikar dann tun? „Da werden wir sicher nicht einschreiten“, sagt Lota.