An Rhein und Ruhr. Viertklässler können laut einer neuen Studie der TU Dortmund deutlich schlechter lesen. Auch Bücher sind seltener ausgeliehen worden.
Viertklässler in Deutschland sind in ihrer Lesekompetenz während der Pandemie einer Studie zufolge erheblich zurückgefallen. Unter insgesamt fast 4300 getesteten Grundschülern von 111 Schulen wiesen Kinder der vierten Klassen 2021 nach damals gut einem Jahr pandemiebedingter Einschränkungen eine „substanziell geringere“ Lesekompetenz auf als Viertklässler im Jahr 2016. Den Schülern fehle im Durchschnitt ein halbes Schuljahr, ergab eine am Dienstag veröffentlichte repräsentative Untersuchung des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) der Uni Dortmund. Die Ergebnisse seien alarmierend, es brauche umfassende Gegenmaßnahmen, sagte Studienleiterin Nele McElvany.
„Die Lernrückstände beim Lesen von einem halben Schuljahr sind so massiv, dass man sie nicht mit Einzelmaßnahmen wie Nachhilfe-Unterricht auffangen könnte“, betont die Bildungsforscherin und Direktorin des IFS. „Wir steuern auf ein großes Problem zu, das sich durch die gesamte Schulzeit und bis hin zu nicht erfolgreichen Schulabschlüssen ziehen kann.“
Nur noch 37 Prozent sind starke Leserinnen und Leser
Nach häufigen Wechseln zwischen Distanz- und Präsenzlernen, Unterrichtsausfällen oder hybriden Modellen stellte das Forscherteam Lese-Leistungsabfälle durchgängig bei allen Gruppen unter den Viertklässlern fest. Der Anteil der starken und sehr starken Leser ist demnach gesunken von 44 Prozent (2016) auf noch 37 Prozent. Parallel dazu verfügen 28 Prozent der Viertklässler über nur eine schwache oder sehr schwache Lesefähigkeit – fünf Jahre zuvor waren es 22 Prozent.
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Alexandra Vorwerk, stellvertretende Leiterin der Alsfeldschule in Oberhausen, kann diese Ergebnisse zumindest für ihre vierte Klasse, in der sie das Fach Deutsch unterrichtet, nicht bestätigen. „Im Gegenteil“, sagt sie im Gespräch mit der NRZ. „In meiner Klasse können die Kinder, wie ich finde, überdurchschnittlich gut lesen.“ Das, so erläutert sie, habe vor allem mit den Eltern zu tun, die sich in der Zeit von Homeschooling und Distanzunterricht um ihre Kinder gekümmert haben.
Durch Distanzunterricht selbstständiger geworden
Diesen Eindruck bestätigt auch Rainer Endrigkeit, stellvertretender Schulleiter der Pestalozzi-Schule in Neukirchen-Vluyn. Er unterrichtet eine dritte Klasse und meint: Die Entwicklung der Kinder sei standortbezogen sehr unterschiedlich. Für seine Schule kann er nicht bestätigen, dass die Defizite bei der Schülerschaft größer geworden sind – eben weil die Eltern ihre Kinder unterstützt hätten. „Vielleicht sind die Schülerinnen und Schüler durch den Distanzunterricht sogar ein wenig selbstständiger geworden“, sagt er. Dennoch seien die Extra-Programme der Landesregierung gut angenommen worden, die aufgelegt worden sind, um durch die Pandemie entstandene schulische Defizite aufzuholen. So seien beispielsweise Bildungsgutscheine für Nachhilfestunden nachgefragt gewesen, meint Endrigkeit.
Weniger Ausleihen in den Bibliotheken in NRW
Auch in den Bibliotheken herrschte aufgrund der pandemischen Einschränkungen weniger Betrieb – sowohl was die Ausleihzahlen als auch die Veranstaltungen angeht. Präsenzveranstaltungen für Kinder konnten in den letzten zwei Jahren nur sporadisch durchgeführt werden. „Auch hier wurde versucht, mit vielen digitalen Angeboten gegenzusteuern, doch insgesamt waren die Kontakte zur jungen Zielgruppe viel geringer als vor der Pandemie“, erläutert Susanne Larisch, Sprecherin des Bibliothekenverbands NRW auf NRZ-Anfrage.
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Im Jahr 2020 brachen bei den Kinder- und Jugendmedien im Printbereich in NRW bei allen Öffentlichen Bibliotheken die Ausleihzahlen ein, damals gab es 12,922 Millionen Ausleihen. 2019 waren es noch 16,523 Millionen.
Kinder mit mehr als 100 Büchern zuhause können besser lesen
Kinder aus Familien mit mehr als 100 Büchern zuhause können im Mittel besser lesen als Kinder mit wenig Büchern daheim – auch hier ist die Leistung in beiden Gruppen im Vergleich zu 2016 ähnlich deutlich gesunken, ergab die Studie.
Zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund ist der Lesekompetenz-Unterschied tendenziell noch größer geworden. Viertklässler mit ungünstigen Lernbedingungen – kein eigener Schreibtisch, kein zuverlässiges Internet – verlieren 2021 stärker als Kinder mit guten Bedingungen.