Essen. Gas aus Katar, Waffen in die Ukraine: Für Grüne sind es schwierige Tage. Spitzenkandidatin Neubaur zum Krieg und Folgen für die Landespolitik.
Eigentlich wollte die Grünen-Spitzenkandidatin Mona Neubaur mit dem Zug zum NRZ-Interview nach Essen kommen, der fällt jedoch doch aus. Am Ende hilft klimafreundliches Carsharing. Nur eine halbe Stunde später als geplant spricht Neubaur über grüne Politik in Zeiten des Krieges, und wie sich auch die Landespolitik neu orientieren muss.
Frau Neubaur, es herrscht Krieg in Europa. Interessieren sich die Menschen in diesen Tagen überhaupt für Landespolitik oder wollen sie nur über die Ukraine sprechen?
Mona Neubaur: Der Krieg in der Ukraine bestimmt natürlich den Wahlkampf mit. Alles wird unter den Vorzeichen dieser neuen Realität diskutiert, egal ob man mit Landwirten, Gewerkschafterinnen oder Schülern spricht. Es muss jetzt darum gehen, die zukünftige Landespolitik an dieser neuen Realität auszurichten. Es herrscht eine große Ernsthaftigkeit in diesem Wahlkampf.
Kann denn das, was auf Grünen-Politiker wie Baerbock oder Habeck derzeit angesichts dieser neuen Realität auf Bundesebene tun, in grüne Landespolitik übersetzt werden? Beispielsweise der Ankauf von Fracking-Gas aus den USA oder Gas aus Katar?
Ja, das kann es. Was sie im Bund gerade machen, ist, die Versäumnisse der vergangenen Jahre kurzfristig durch die Diversifizierung der fossilen Rohstoffe auszugleichen. Grüne Landespolitik kann den wirklichen Einstieg in den Ausbau der Erneuerbaren leisten, also von Wind und Sonne. Jedes neue Windrad bedeutet mehr Unabhängigkeit von fossilen Importen. Es geht aber auch um Maßnahmen auf Landesebene, die dabei helfen, die Sanktionen gegen Russland lange durchhalten zu können. Etwa Kooperationen zwischen Kommunen, Stadtwerken oder Verbraucherzentralen beim Thema Energiearmut, oder Maßnahmen zur Verbesserung von Energieeffizienz, so dass die Versorgungssicherheit auch von dieser Seite unterstützt wird.
Wenn neue Windräder gebaut werden oder Hochspannungsleitungen gezogen werden sollen, stellen sich auf lokaler Ebene nicht selten Grüne aus Gründen des Naturschutzes dagegen auf. Wie überwinden Sie den Zwiespalt zwischen Natur- und Klimaschutz?
Wir wissen um das Spannungsfeld. Wir wissen um den Wert des Erhalts der Artenvielfalt und wir wissen um die Notwendigkeit und die Zukunftschance der Erneuerbaren Energien. Es ist gut, dass auf Bundesebene im ersten Maßnahmenpaket für die Erneuerbaren der Versuch unternommen wird, Artenschutz und den Ausbau der Erneuerbaren zusammenzubringen, beispielsweise, indem man sagt, dass jemand, der ein neues Windrad baut, in einen Artenschutzfonds einzahlt. Politik muss stets einen Interessensausgleich herzustellen. Das ist nicht immer einfach.
Natürliche Bündnispartner der Grünen wie die Umweltschutzorganisation BUND werfen Ihrer Partei vor, nicht konsequent genug beim Kohleausstieg zu sein und möglicherweise angesichts des Ukraine-Kriegs das Ausstiegsdatum 2030 zu kippen.
Man muss zwischen dem Ziel und pragmatischen Angeboten unterscheiden. Ein pragmatisches Angebot ist es, Kohlekraftwerke in die Sicherheitsreserve zu überführen, um die Energiesicherheit zu gewährleisten. Das heißt aber nicht, das Ziel Kohleausstieg 2030 zu kippen. Wir halten an diesem Enddatum fest. Aber das heißt, dass auch auf Landesebene deutlich mehr als in der Vergangenheit getan werden muss, um den Ausbau der Erneuerbaren voranzutreiben.
Grünen-Politiker organisieren Gas aus einem Staat wie Katar, Grünen-Politiker werben für den Export schwerer Waffen in ein Kriegsland. Wie sehr vergiftet das die grüne Seele?
Es ist wirklich weit weg von dem, was für viele von uns Ziel politischen Wirkens ist. Aber die aktuelle Lage zeigt, dass wir Grüne richtig lagen mit unserer Einschätzung bezüglich Putin. Jetzt gibt es Dinge, die größer als Parteitagsbeschlüsse sind. Das macht kein Grüner mit Freude oder einem Lächeln im Gesicht. Es ist jedoch die Übernahme von Verantwortung. Gerade die Frage von Waffenlieferungen trifft die Grünen im Innersten. Wir haben spätesten seit dem Kosovo-Krieg unsere friedens- und sicherheitspolitischen Debatten an den Realitäten dieser Welt orientiert. Jetzt gibt es jemanden, der das Recht des Stärkeren durchsetzen will. Um wieder zu völkerrechtlich verbindlichen Regelungen und einem friedlichen Miteinander der Staaten zurückzukommen, muss gezeigt werden, dass Putin damit nicht durchkommt.
Durch den Krieg und seine wirtschaftlichen Folgen droht eine übergroße Belastung insbesondere der Ärmsten in der Gesellschaft. Steigende Energie- und Lebensmittelpreise treffen sie überproportional hart. Was muss getan werden, um beispielsweise einen weiteren Anstieg von Kinderarmut zu verhindern?
Auf Landesebene kann durch die Investition in die soziale Infrastruktur Chancengerechtigkeit hergestellt werden. Wir wollen die Verpflegung in Kindertagesstätten kostenlos stellen und Kindern und Jugendlichen ermöglichen, kostenfrei Bus und Bahn fahren zu können. Wir schlagen außerdem einen Pakt gegen Kinderarmut vor. Wir wollen den Kommunen Geld zur Verfügung stellen, damit sie an den Stellen, wo für Kinder Teilhabe nicht möglich ist, selbst Programme auflegen können.
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Was sind andere grüne Kernforderungen, mit denen sie sich von den anderen Parteien unterscheiden?
Mindestens tausend neue Windräder in den nächsten fünf Jahren. Photovoltaik entlang von 2000 Kilometern Autobahn in Nordrhein-Westfalen. Wir brauchen ein flächendeckendes Schnellbusnetz. Und wir wollen einen wirkungsvollen schulscharfen Sozialindex, um gezielt Schulen in Stadtvierteln mit Ressourcen und Personal zu unterstützen, wo der Bedarf besonders hoch ist.
Das Ansehen von Politik ist in den vergangenen Wochen durch das Verhalten von politisch Verantwortlichen nach der Flutkatastrophe beschädigt worden. Stichworte: Heinen-Esser und Spiegel. Wie groß ist dieser Schaden?
Die Ereignisse der vergangenen Wochen haben gezeigt, wie wichtig eine transparente und klare Kommunikation besonders in Krisenfällen ist, besonders für diejenigen, die in Krisenfällen Verantwortung tragen. Das muss ein Anspruch von Politik sein. Es darf nicht sein, dass Wahrheiten scheibchenweise präsentiert werden. Das gebietet im Falle der Flutkatastrophe schon der Respekt vor denjenigen, die Verwandte und Freunde oder ihre gesamte Existenz verloren haben.
Ihre Parteifreundin Spiegel hat bei dem Erklärungsversuch für ihr Verhalten sehr Privates und Persönliches öffentlich gemacht. Über Sie finden sich kaum Informationen über Ihr Privatleben. Warum eigentlich?
Ich finde, man kann Mensch in der Politik sein, ohne Privates zu erzählen. Das ist einfach nicht meines.
Wie kann sich NRW besser auf ein Ereignis wie eine Flutkatastrophe vorbereiten?
Bei einer Regierungsbeteiligung der Grünen werden wir in der Lage sein, einen Krisenstab zu installieren, wenn es zu einer Krise oder einer Katastrophe kommt. Das hat die aktuelle Landesregierung nachweislich und mehrfach nicht getan. Es geht darum, solche Krisen bestmöglich zu managen. Wir müssen Kommunen außerdem zu Übungen verpflichten, damit sie Routinen für Krisensituationen entwickeln.
Als Rot-Grün in NRW 2017 abgewählt wurde, lag das in erheblichem Maß auch an der heftig kritisierten Schulpolitik der damaligen grünen Schulministerin Löhrmann. An der jetzigen Schulministerin Gebauer scheint die Kritik abzuperlen. Was macht sie besser als Ihre Parteifreundin?
Wir gehen anständig mit Frau Gebauer um. Das war unter Rot-Grün anders, da hat die Opposition anders agiert. In der fachlichen und sachlichen Kritik sind wir aber klar. Sie verweigert sich seit zwei Jahren Pandemie, Schulen zu sicheren Orten zu machen, beispielsweise Kommunen bei der Installation von Luftfilteranlagen zu unterstützen. Die hektische Krisenkommunikation von Frau Gebauer hat alle an Schule Beteiligten kurz vors Aufgeben geführt.
NRW ist eins von zwei Bundesländern, das am Montag ohne Teststrategie wieder in den Schulalltag startet. Wie finden sie das?
Wo nicht getestet wird, gibt’s keine Fälle. Ich halte diese Haltung der FDP für falsch. Es gibt nach wie vor Corona-Infektionen auf einem sehr hohen Niveau. Ich finde es deswegen auch nicht richtig, dass die Maskenpflicht in den Schulen abgeschafft wurde.
Sehen Sie größere Deckungsgleichheit bei Schwarz-Grün oder in einer Ampel?
Wer Grün will, muss Grün wählen. Über Koalitionsmöglichkeiten entscheiden die Bürgerinnen und Bürger. Alle demokratischen Parteien werden in der Lage sein müssen, sich auf tragfähige Kompromisse für die kommende Legislatur zu verständigen. Es gibt aber keine Präferenz für uns.