An Rhein und Ruhr. Eiche rustikal oder unbehandeltes Ahorn: die nachhaltige Antwort auf Wegwerfmöbel. Wie das Thema Nachhaltigkeit die Möbelindustrie verändert.
Der Eichenschrank ist schon lange in der Familie. Eiche rustikal. Heute nicht mehr unbedingt angesagt, aber das Erbstück einfach so entsorgen? War irgendwie auch zu schade. Und so steht er nun noch immer da, umfunktioniert zum Büroschrank, umgeben von weißen Billy-Regalen und einem Schreibtisch aus Glas modisch in die Zeit geholt – und nachhaltig gedacht. „Denn Langlebigkeit ist schon mal ein Punkt für nachhaltige Möbel“, sagt Helmut Haybach, Berater beim Tischlerverband NRW. Aber es ist auch nur einer von vielen.
„Nachhaltigkeit bei Möbeln hat eine vielfältige Bedeutung. Wir haben vom Handwerk aus einen Nachhaltigkeitsnavigator mit 30 unterschiedlichen Aspekten“, erklärt Helmut Haybach. Da wäre das Material. Je nach Herkunft kann der neue Esstisch aus illegalem Holz aus dem Regenwald stammen und mit Holzschutz behandelt worden sein. Oder das Holz stammt aus heimischen Wäldern. Der Nabu rät zu Eiche, Robinie und Lärche, aber auch zu Laubhölzern wie Ahorn oder Buche. „Seit 300 Jahren betreiben wir in Deutschland eine nachhaltige Forstwirtschaft“, erklärt Helmut Haybach. Das heißt: Es darf nicht mehr Holz den Wäldern entnommen werden als nachwächst.
Corona bescherte Möbelindustrie steigende Umsatzzahlen
Die Frage des CO2-Ausstoßes spielt in der Produktion und der Lieferkette eine Rolle. Wenn der Schrank um die halbe Welt transportiert wurde, ist die Klimabilanz alles andere als gut. Helmut Haybach nennt weitere Stichworte: Lassen sich die Möbel reparieren? Demontieren und wieder aufbauen? „Möbelstücke, die nach dem ersten Umzug bereits in ihre Einzelteile auseinanderfallen sind nicht besonders nachhaltig. Ein Massivholzmöbel, das schon viele Jahre auf dem Buckel hat und mit etwas Liebe wiederaufgearbeitet werden kann, hingegen schon“, sagt Helmut Haybach. Auch die Frage, ob sich die Möbel später einmal gut entsorgen lassen, ist von Bedeutung. Ein weiterer Vorteil von Massivholzmöbeln: Sie haben einen positiven Einfluss auf das Raumklima. Durch die Aufnahme und Abgabe von Luftfeuchtigkeit können sie im Sommer und Winter das Klima ausgleichen.
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Noch ist der Möbelmarkt aber eher geteilt: Auf der einen Seite gibt es bundesweit einige hochwertige Ökomöbelhersteller, die sich der Nachhaltigkeit verschrieben haben, auf der anderen Seite Hersteller und Möbelhausketten, die billig produzieren. Grundsätzlich sei festzustellen, „dass das Thema Nachhaltigkeit für die Verbraucher beim Möbelkauf eine immer wichtigere Rolle spielt“, erklärt Jan Kurth, Geschäftsführer des Verbandes der Deutschen Möbelindustrie, die in der Pandemie eine gute Auftragslage hatte. Corona hat ihr steigende Umsatzzahlen beschert. 17,5 Milliarden Euro setzen die Möbelhersteller im vergangenen Jahr in Deutschland um – zwei Prozent mehr als 2020.
Holz aus nachhaltiger Waldwirtschaft
Bisher gibt es zwar noch immer keine rechtsverbindliche Grundlage für die Produktion nachhaltiger Möbel. Erste große Möbelketten haben sich dennoch das Thema Nachhaltigkeit zum Ziel gemacht. Der schwedische Möbelriese Ikea setzt nach eigenen Angaben auf FSC-zertifiziertes Holz aus einer nachhaltigen Waldwirtschaft.
In Deutschland gibt es mittlerweile ein Zertifikat das weitergeht. Jan Kurth erklärt: „Das im Sommer 2020 eingeführte RAL-Herkunftslabel ,Möbel Made in Germany’ steht für Qualitätsmöbel aus deutscher Produktion und kurze Lieferwege. Konstruktion, Montage und Qualitätsprüfung müssen in Deutschland stattfinden. Und: Als Mindestanforderung müssen 55 Prozent der Bauteile eines Möbelprogramms aus deutscher Produktion stammen.“ Inzwischen haben sich 60 deutsche Möbelhersteller mit ihren Möbelprogrammen für „Möbel Made in Germany“ zertifiziert.
Nachhaltigkeit hat natürlich auch ihren Preis. Ein Massivholzregal wird es nicht für den Preis eines Spanplatten-Konstrukt geben, oder? „Das kann man nicht pauschal sagen“, sagt Jan Kurth. Denn gerade angesichts der aktuell enorm gestiegenen Logistikkosten reduziere eine regionale Wertschöpfung den Aufwand an dieser. Außerdem gelte: „Selbst wenn die Herstellung kostenintensiver sein sollte, zahlt sich die Langlebigkeit der Möbel aus.“
Ein Vorteil sei auch, dass „Möbel nicht ganz so schnell Moden unterworfen sind, wie beispielsweise Elektronik-Produkte“, sagt Helmut Haybach. Massivholzmöbel könne man umnutzen, „eine andere Front, eine andere Farbe“ – und das gute Stück kann eine ganz andere Funktion haben. „Wichtig ist nur, dass auch die Zuliefererindustrie Standards einführen oder einhalten, beispielsweise bei Türbeschlägen. „Hier sind wir drauf angewiesen, dass die auch nach 20 Jahren noch ausgetauscht werden können und nicht neue Maße haben,“ erklärt Haybach.
Upcycling-Möbel liegen im Trend
Der Tischlerverband NRW sieht eine steigende Nachfrage nach individuellen Möbeln, gerade durch die Corona-Pandemie suchten Kunden verstärkt Möbel nach ihrer Funktionalität aus. „Es geht nicht mehr nur ums Wohnen oder Schlafen“, sagt Helmut Haybach. Sondern auch ums Arbeiten und darum, wie dies alles auf womöglich engem Raum miteinander verknüpft werden kann. Die Zielgruppe von nachhaltigen und individuell zugeschnittenen Möbeln sei die der 40 bis 60-Jährigen, „dann ist man beruflich etabliert und hat auch das Geld für individuelle Massivholzmöbel.“
Im Tischlerverband gibt es seit Ende der 90er Jahre eine Umweltgruppe. Zehn Mitgliedsbetriebe beschäftigen sich mit Fragen der Nachhaltigkeit, im Herbst wird es einen Workshop geben, in dem es darum geht, wie altes Möbel aufgearbeitet werden kann – zu einem zweiten Leben.
Denn auch sogenannte Upcycling-Möbel liegen im Trend, weiß Helmut Haybach: „Was früher weggeworfen wurde, ist heute Trendware. Überarbeiten und neue Nutzung muss die nachhaltige Antwort auf Wegwerfmöbel sein.“
Mittlerweile gibt es einige Tischler und Künstler, die sich aufs Upcycling spezialisiert haben. Bei MoSiMo in Rees gibt es beispielsweise Wohnkunstwerke. Simone Schneider und Olaf Müllers verkaufen Kommoden im Shabby-Chic, Ledersessel mit Jack Daniels-Aufdruck oder Lampen aus Jägermeister-Flaschen in ihrem Laden – oder online. Die alten Möbel finden sie bei Hausauflösungen, einige bekommen sie geschenkt. Ihnen gehe es vor allem um Nachhaltigkeit. „Wir wollen weg von der Wegwerfpolitik.“ Und wenn sie nicht den kompletten Schrank gebrauchen können, so sind vielleicht zumindest die Schrankfüße fürs nächste Projekt nützlich. –