An Rhein und Ruhr. Im Interview mit der NRZ erzählt Thomas Kutschaty, warum ein späterer Kohleausstieg eventuell nötig ist und was er vom Merz-Besuch in Kiew hält.
Thomas Kutschaty sitzt in seinem schlichten Büro, links hinter ihm ein weißes Billy-Regal mit einigen Büchern und Zeitschriften, rechts hinter ihm ein Bild im Graffiti-Stil, farblich dominiert von einem Grün, das nur ein wenig heller als das Grün der NRZ ist. So klar strukturiert und unaufgeregt wie das Büro ist auch der Spitzenkandidat der SPD für die Landtagswahl selbst im Video-Gespräch mit NRZ-Chefredakteur Manfred Lachniet und Redakteurin Denise Ludwig. In dem einstündigen Interview, das die Leserinnen und Leser der NRZ am Mittwoch live im Internet verfolgen konnten, äußerte sich der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag zu seinen Plänen für den Fall, dass er nach dem 15. Mai der nächste Ministerpräsident wird.
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Die NRZ ist Kutschaty alles andere als fremd. Er wurde vor 53 Jahren in Essen in eine Eisenbahnerfamilie hineingeboren und lebt noch heute in der Stadt, in der die NRZ herausgegeben wird. Auch Essen war einmal Kohlestadt. Nicht von ungefähr beginnt das Gespräch mit einer Energiefrage. Mit Prosper Haniel wurde Ende 2018 in Bottrop das letzte Kohlebergwerk in Deutschland geschlossen. Wenn das nicht geschehen wäre, würde dann heute angesichts der aktuellen Debatten um russisches Gas und Öl möglicherweise über ein längeres Offenhalten der Schächte gesprochen werden? „Unser Ziel muss es sein, aus den fossilen Brennstoffen rauszukommen, wir müssen weg von Kohle, von Öl und Gas, weil das bei der Verstromung sehr umweltschädlich ist“, sagt Kutschaty.
Braunkohle möglicherweise über 2030 hinaus
Ob aber die Steinkohle komplett abgeschrieben sei, hakt NRZ-Chefredakteur Manfred Lachniet nach. „Die Steinkohle ist technisch abgeschrieben“, antwortet Kutschaty. Bei der Braunkohle hingegen sieht der Sozialdemokrat Bewegungsspielraum. Zwar sei im Koalitionsvertrag der Berliner Ampel ein kompletter Kohleausstieg „idealerweise“ für das Jahr 2030 vorgesehen. Unter den aktuell veränderten Bedingungen werde man noch einmal „genau definieren müssen“, was „idealerweise“ heißt. „Ich will auf jeden Fall kein Kohlekraftwerk und nicht das letzte Braunkohlekraftwerk schließen, wenn dadurch anschließend in der chemischen Industrie keine Medikamente mehr produziert werden können in Nordrhein-Westfalen.“
Apropos Ukraine-Konflikt: Dass Friedrich Merz, der Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, nach Kiew gereist ist, hält Kutschaty für „sehr verwunderlich“, da Merz keinerlei Entscheidungskompetenz habe. „Es geht mehr um Show als um tatsächliche Maßnahmen.“ Das werde auch von vielen Bürgern so wahrgenommen. Bundeskanzler Olaf Scholz sei hingegen ein „starker, glaubwürdiger, engagierter“ Kanzler, der sehr besonnen agiere. Die Bürger wüssten das zu schätzen, glaubt Kutschaty. Ob er sich selbst vorstellen könne, eine ukrainische Familie aufzunehmen, fragt Ludwig. „Das kann ich mir durchaus vorstellen, sofern die Platzverhältnisse ausreichen“, sagt Kutschaty ohne Zögern.
Kutschaty: Sieben Jahre mit den Grünen regiert - das war nicht schlecht
Mit wem er sich eine Koalition vorstellen könnte, fragt Lachniet. Gewöhnlicherweise weichen Politiker solchen Fragen aus. Kutschaty zeigt überraschend deutlich, mit welcher er sympathisiert: „Ich habe sieben Jahre lang gemeinsam mit den Grünen in Nordrhein-Westfalen regiert, das war nicht schlecht aus meiner Sicht.“
Die Innenstädte in Nordrhein-Westfalen will der Sozialdemokrat perspektivisch beleben, einerseits durch die Unterstützung des Einzelhandels, andererseits durch eine bessere Mischung, inklusive Kultur, Gastronomie und neuen Wohnungen, von denen sich Kutschaty auch vorstellen kann, dass sie beispielsweise auf Supermärkten aufgestockt werden. Es gehe aber auch darum, das „Umland mitzunehmen“, betonte Kutschaty. „Wir müssen auch die Infrastruktur mitplanen.“
Kutschaty: Wir brauchen 5G an jeder Milchkanne
Heißt aus seiner Sicht: vor allem eine bessere Verkehrsinfrastruktur. Es sei schon „ein Unding“, dass in den vergangenen fünf Jahren in NRW lediglich zwölf Kilometer Radschnellwege gebaut worden seien. In Ballungsräumen will der SPD-Spitzenkandidat den Takt im Nahverkehr verdichten, im ländlichen Raum kann er sich Busse vorstellen, die Menschen auf Abruf abholen. Zu einer besseren Infrastruktur gehört für Kutschaty auch, den Zugang zum Internet zu verbessern: „Wir brauchen 5G an jeder Milchkanne.“
Das kostet alles Geld, wirft Lachniet ein. Kutschaty weist auf einen Überschuss von einer Milliarde Euro im Landeshaushalt hin. Falls nötig, ist er auch bereit, Kredite aufzunehmen. „Es macht ja keinen Sinn, einer Schülerin in 18 Jahren zu sagen, du hast zwar keinen Schulabschluss und keine Ausbildung und deine Umwelt ist kaputt, aber ich habe einen ausgeglichenen Haushalt.“
Kutschaty: Mehr Lehrer in den Schulen, mehr Polizisten auf den Straßen
Apropos Schule: Wie er den Mangel an Lehrkräfte in NRW beheben wolle, fragt Ludwig. Kutschaty weist darauf hin, dass der Lehrermangel besonders an Grundschulen groß ist. Das liege auch daran, dass Grundschullehrer weniger verdienten als Lehrer an Gymnasien. „Deswegen sagen wir als Erstes, dass wir die gleiche Lehrerbesoldung haben müssen.“ Um die derzeit fehlenden 8000 Lehrer zu kompensieren, will Kutschaty Quereinsteiger schneller in die Schule bekommen und mit Gewerkschaften über Lebensarbeitszeitkonten sprechen. Bei diesem Modell würden Lehrer aktuell mehr arbeiten, um am Ende ihres Berufslebens früher aus dem Schuldienst auszuscheiden.
Ein Themenfeld, auf dem die politische Konkurrenz dank des emsigen Landesinnenministers Herbert Reul (CDU) punkten konnte, ist der Kampf gegen kriminelle Clans. Ob Kutschaty diese Linie fortsetzen lassen werde, fragt Lachniet. „Sicherheit braucht lange Linien“, antwortet Kutschaty und weist darauf hin, dass Reul Programme übernommen habe, die Rot-Grün ins Leben gerufen habe. Man werde „natürlich“ den Kampf gegen organisierte Kriminalität fortsetzen. Es sei wichtig, dass „wir mehr Polizistinnen und Polizisten bekommen, vor allem auf der Straße“. In 17 von 46 Polizeipräsidien in NRW seien heute weniger Polizisten im Einsatz als vor fünf Jahren, stichelt Kutschaty gegen Schwarz-Gelb.