An Rhein und Ruhr. Der Ukraine-Krieg macht sich auch bei den Telefonseelsorge-Stellen in NRW bemerkbar. Die Pandemie verschärft die Not der Betroffenen zusätzlich.
Die Angst vor dem Ukraine-Krieg und den Folgen für das eigene Leben macht sich auch in den Telefonseelsorge-Stellen an Rhein und Ruhr bemerkbar. Etwa 20 bis 25 Prozent aller Anrufe würden sich derzeit rund um die Ukraine und die Bedrohung durch Russland drehen, sagt Pfarrer Dirk Meyer, Leiter der Telefonseelsorge Niederrhein/Westmünsterland. „Unterschwellig spielt der Konflikt aber natürlich auch in den anderen Gesprächen eine Rolle. Das ist die Folie, auf der sich aktuell alle anderen Sorgen und Probleme abspielen.“
Ähnliche Erfahrungen macht Elisabeth Hartmann, Leiterin der Ökumenischen Telefonseelsorge Essen: „Jeder fünfte Anruf handelt von der Ukraine.“ Der Krieg in Osteuropa sei für viele Betroffene eine Art „Problemverstärker“, weil er Leute, die ohnehin schon mit bestimmten Sorgen zu kämpfen haben oder an einer Angsterkrankung leiden, zusätzlich verunsichere. „Vor der Pandemie konnte man sich wenigstens noch beim Bäcker oder Metzger unterhalten, aber auch das ist schwieriger geworden“, so Hartmann. „Viele Kontakte sind nicht mehr möglich.“
Für Betroffene, die durch Corona in die Isolation getrieben wurden, sei der Fernseher oft „das einzige Fenster in die Gesellschaft“, erklärt Meyer. Ihnen blieben nur zwei Möglichkeiten: „Entweder sie machen den Fernseher an und werden rund um die Uhr mit Krieg konfrontiert, wodurch weitere Ängste geschürt werden - oder sie ziehen sich noch mehr zurück.“ Eine Entscheidung, die die ohnehin schon schwierige Situation von psychisch Erkrankten oder stark isolierten Menschen „im Augenblick noch extremer“ mache.
Hartmann: „Man muss durchatmen, runterkommen, sich erden“
Dabei hätten Ängste eigentlich eine sinnvolle Funktion: „Sie sollen uns schützen“, so Meyer. „Nur in diesem Fall ist es häufig eine diffuse Angst, die sich auf eine unsichere Zukunft richtet.“ Bei der Telefonseelsorge Niederrhein/Westmünsterland hätten in den vergangenen Tagen vermehrt Personen angerufen, die sich vorher noch nie gemeldet haben. „Die fragen sehr konkret nach dem Ukraine-Krieg.“ Viele dieser Betroffenen würden in erster Linie anrufen, um sich austauschen und mit einer anderen Person ihre Sorgen teilen zu können.
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„Bei den meisten geht es einfach um den Austausch“, bestätigt Hartmann. In Essen seien das vor allem ältere Menschen, bei denen nun aufgrund der militärischen Auseinandersetzungen in der Ukraine Kriegserinnerungen hochkommen würden. „Oder Personen, die die Kriegserfahrungen ihrer Eltern oder Großeltern in der Seele tragen und mit Erzählungen über Flucht und Krieg aufgewachsen sind.“ Hartmann spiele bereits mit dem Gedanken, ihren Mitarbeitern eine Fortbildung zum Thema Kriegsenkel anzubieten.
Den Anrufern würden Hartmann und ihr Team ganz praktische Ratschläge mit an die Hand geben: „Schauen Sie nicht jeden Tag Nachrichten, möglichst auch nicht vor dem Schlafengehen.“ Es gebe Betroffene, die rund um die Uhr vor dem Fernseher sitzen würden. „Man muss auch durchatmen, runterkommen, sich erden“, sagt die Leiterin der Ökumenischen Telefonseelsorge Essen. „Stellen Sie sich selbst die Frage: Was tut meiner Seele gut in diesen Zeiten?“ Das könne ein Buch oder auch Musik sein – „oder auch ein Spaziergang in der Natur“.
Die Ökumenische Telefonseelsorge Essen und die Telefonseelsorge Niederrhein/Westmünsterland sind an allen Tagen des Jahres rund um die Uhr unter der zentralen Nummer 0800 1110111 erreichbar. Der Anruf ist kostenfrei, sowohl übers Telefon als auch übers Handynetz.