Das hatte viele Leute fassungslos gemacht. „Fridays for Future“ in Hannover hat der Musikerin Ronja Maltzahn abgesagt. Eigentlich hatte die Künstlerin aus Münster am 25. März bei der großen Klima-Demo auf der Bühne stehen sollen. Der Grund für die brüske Ausladung: Maltzahn trägt sogenannte Dreadlocks, die Haartracht der Menschen in der Karibik. Dies, so meinten die Veranstalter, sei in den USA ein Widerstandssymbol der Bürgerrechtsbewegung schwarzer Menschen geworden. Wörtlich hieß es: „Wenn eine weiße Person also Dreadlocks trägt, dann handelt es sich um kulturelle Aneignung“. Das stehe privilegierten Weißen nicht zu.
Danach hagelte es bundesweit Kritik. Auch die NRZ kommentierte: „Das ist ein Beispiel dafür, dass bei ‘Fridays’ manches schiefläuft, einige Leute übers erträgliche Maß abheben – oder sich unter die Umweltbewegten auch Elemente mischen, die ein merkwürdiges Verständnis von Toleranz und Demokratie haben.“ Für diese Mahnung gab es viel Zustimmung von Leserinnen und Lesern. Auch Jannik Berbalk aus Kleve bedankte sich für den Kommentar. Der 23-Jährige ist ein Gründungsmitglied von Fridays for Future im Kreis Kleve. „Ich schreibe Ihnen, weil Sie etwas auf den Punkt gebracht haben, was ich schon seit langem in der Bewegung beobachte ...“
Ohne Auto geht es auf dem Land nicht
Berbalk ist über Proteste gegen das Braunkohle-Baggern im Hambacher Forst vor vier Jahren zum Klimaaktivisten geworden. Da startete Greta Thunberg in Schweden gerade ihren Schulstreik, und gleichgesinnte Jugendliche begannen auch hierzulande damit, sich untereinander zu vernetzen. Im Februar 2019 gründete Berbalk dann zusammen mit anderen die Gruppe in Kleve. Inzwischen haben sie sogar ein Büro in der Nähe des Bahnhofs, sammeln Spenden für die Miete. Dort kam die Gruppe am Dienstag wie in jeder Woche zusammen. Diesmal wurde über Dreadlocks diskutiert, schließlich eine gemeinsame Stellungnahme verfasst. Selbstverständlich nehme man das Thema Rassismus und Diskriminierung sehr ernst, heißt es darin. Aber auch: „Wir empfinden diese Debatte als kontraproduktiv für den Kampf gegen den Klimawandel und befürchten, dass durch eine Überlagerung der Klimadebatte der Kerngedanke von Fridays for Future überschattet wird.“ Das Image der Bewegung sei stark beschädigt worden, besonders der Umgang der Frontleute im Bund mit dem Thema sei schlecht gewesen. Sie hätten energischer widersprechen müssen. In Kleve werde man jedenfalls niemanden wegen seiner Frisur diskriminieren.
Auseinanderdriften zwischen Großstadt und ländlicher Region
Für Berbalk ist das auch ein Zeichen fürs Auseinanderdriften zwischen Großstadt und ländlicher Region. „Die Leute leben in der Stadt ein ganz anderes Leben als wir“, sagt er. Über Forderungen, das System zu verändern oder Autos abzuschaffen, kann er nur den Kopf schütteln. „Wie sollen wir denn dann hier auf dem Land zur Arbeit kommen ...?“
Auch sei man am Niederrhein weniger ideologisch, weniger antikapitalistisch. „Wir reden hier auch mit der
Industrie- und Handelskammer und mit Firmen über unsere Ideen.“ Da gehe es dann um Absenkung der Temperatur in Kühltruhen oder den Bau von Solardächern. Sogar mit der Senioren-Union gab es schon eine Aussprache. Am Anfang seien sogar CDU-Mitglieder bei ihnen in der Ortsgruppe gewesen. Aber die hätten sich dann mit dem bundesweiten Kurs von Frontfrau Neubauer nicht arrangieren wollen.
SPD-Mitglied Berbalk räumt ein, dass er selbst nicht immer mit Neubauers Positionen übereinstimme. Und mit ihrem Auftreten. Manchmal ist sie ihm zu sehr präsent in den Medien, manchmal agiere sie sogar befremdlich. „Fridays for Future“ versteht sich als Basisbewegung ohne hierarchische Strukturen. Die Gruppe in Kleve hat 20 Mitglieder (aber ohne Mitgliedsausweis) und etwa 100 Sympathisanten.
Zu lange Planungszeit für Windräder
Die Bewegung solle sich bundesweit wieder stärker auf die Bekämpfung des Klimawandels konzentrieren als über Gendern und kulturelle Aneignung zu reden, fordern die Niederrheiner. Es sei nicht gut, dass „FFF“ von vielen inzwischen als linksideologische Gruppe wahrgenommen werde. Berbalk setzt auf die Mechanismen der sozialen Marktwirtschaft, um den Klimawandel voranzubringen. „Die Unternehmen sollen merken, dass sie einen Vorteil davon haben, wenn sie Energie sparsamer einsetzen.“
Er glaubt nicht, dass die Zeiten für Klimapolitik angesichts des russischen Krieges nun schlechter werden. Im Gegenteil: „Jetzt sehen doch alle, dass es ein Fehler von Angela Merkel war, so lange auf fossile Energie aus Russland zu setzen, statt rechtzeitig den Ausbau von Solar- und Windkraftanlagen zu fördern.“
Auch die NRW-Regierung habe viel zu wenig getan. „Mit der 1000-Meter-Abstandsregelung zu Wohnhäusern kommen wir mit dem Bau von Windrädern nicht voran“, beklagt er. Acht Jahre Diskussion und Planung habe es gebraucht, bis jetzt in Kleve die Entscheidung zum Aufstellen von ein paar Windrädern gefallen sei. „Das ist doch viel zu lang. Die Windkraft wird hier durch solch lange Planungsprozesse stark ausgebremst“, kritisiert Berbalk.
Wichtig sei es, nun sehr schnell konkrete Fortschritte für die Unabhängigkeit von Russland und fürs Klima zu erreichen. Und das sei allemal wichtiger als die quälenden Debatten um politisch korrekte Frisuren.