An Rhein und Ruhr. Christof Sommer, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, zieht im Interview eine erste Corona-Bilanz und fordert Unterstützung.
In den vergangenen Monaten waren die Kommunen im Dauerkrisen-Modus. Christof Sommer, der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, zieht im Interview mit der NRZ eine erste Bilanz und erklärt, warum ein neuer Rettungsschirm benötigt wird.
Herr Sommer, Sie haben die Corona-Pandemie als Bürgermeister von Lippstadt und seit dem 1. Januar als Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW erlebt. Wie waren Ihre Erfahrungen?
Eigentlich sind die Kommunen gut durch die Krise gekommen. Natürlich mussten wir eine große Flexibilität an den Tag legen. Wir haben jetzt aktuell die 28. Corona-Schutzverordnung. Häufig kommen die Veränderungen Freitagnachmittags, dann müssen die Krisenstäbe tagen, um sie sofort umzusetzen. Das war eine Herausforderung, die sicherlich bei dem einen oder anderen an die Substanz gegangen ist, manche Mitarbeiter standen vor einem Burn-Out. Aber insgesamt haben die Kommunen das gut hinbekommen.
Die Pandemie hat frischen Wind in verstaubte Amtsstuben geblasen?
Ach, das Klischee von Betonköpfen in starren Strukturen hat doch vor der Krise schon nicht gestimmt und in der Krise hat sich gezeigt, wie kreativ und engagiert Mitarbeiter in kommunalen Verwaltungen sind. Da wurde viel improvisiert, parallel zum Krisenmanagement musste die Leistungsfähigkeit der Verwaltungen aufrecht erhalten bleiben. Auch in der Pandemie brauchten Menschen neue Ausweise oder mussten anderweitig beraten werden.
Hat die Krise zu mehr Bewusstsein für die Bedeutung der kommunalen Ebene geführt?
Das ist bestimmt einigen Menschen bewusster geworden. Dass die Kommunen für die Schulen, Kitas, für die Wasserversorgung oder die Müllabfuhr verantwortlich sind, wird ja als selbstverständlich hingenommen. In der Krise sind die Kommunen aber auch für die schwierige Umsetzung des Ordnungsrechts verantwortlich. Ich selbst habe im Frühjahr vergangenen Jahres ein Kneipenfestival in unserer Stadt abgesagt, da waren die Gastronomen auf dem Baum. Zwei Wochen später, als klar war, wie ernst die Pandemie ist, haben sie sich entschuldigt. Aus dieser Kommunikation ist eine enge Partnerschaft erwachsen.
Apropos Gastronomen: Wie hat sich die Krise auf die Finanzsituation der Kommunen ausgewirkt?
Wir hatten massive Ausfälle bei zentralen Einnahmequellen, vor allem Gewerbesteuer und die Anteile an der Einkommens- und der Umsatzsteuer. Außerdem sind uns die Eintrittsgelder aus Museen, Theatern oder Schwimmbädern weggebrochen. Gleichzeitig liefen die Kosten weiter, etwa für Mieten und Personal, und wir hatten zusätzliche Ausgaben für Infektionsschutz oder die Infrastruktur fürs Homeoffice. 2019 hatten die Kommunen in NRW 27,7 Milliarden Euro Steuereinnahmen. Laut Steuerschätzung werden davon 2021 und 2022 je zwei Milliarden Euro fehlen.
Was bedeutet das?
Es wird gerade für die Kommunen, die schon vorher klamm waren, immens schwierig, die großen Herausforderungen zu bewältigen, die vor uns liegen, Stichwort Klimaschutz oder Verkehrswende. Wir brauchen wieder einen Rettungsschirm wie Bund und Land ihn im vergangenen Jahr aufgespannt haben. Damals wurden die ausgefallenen Gewerbesteuern kompensiert, das war ein guter Ausgleich. Auch in diesem Jahr sind wir zwingend auf Unterstützung angewiesen. Sonst haben wir nichts in der Hand, um in Klimaschutz, Digitalisierung oder einen Ausbau des Radverkehrs investieren, so wie es die Bürger und auch die Politik von uns erwarten.
Statt über Finanzhilfen spricht der Bund über neue Aufgaben für die Kommunen. Am Freitag hat der Bundestag einen Rechtsanspruch für die Ganztagsbetreuung beschlossen…
Da muss ich mich ein bisschen zusammenreißen. Die Regierung hat im Koalitionsvertrag den Grundsatz zementiert, wer bestellt, muss auch bezahlen. Gegen dieses Prinzip verstößt dieser Rechtsanspruch. Der Bundestag hat ihn jetzt regelrecht im Schweinsgalopp verabschiedet, fast wie ein Notstandsgesetz. Am Mittwoch die erste Lesung, am Freitag die zweite. Eine vernünftige Beratung ist da nicht möglich, die Hinweise der Kommunen sind mehr oder minder vollständig unter die Räder gekommen.
Was für Folgen wird dieser Rechtsanspruch für die Kommunen haben?
Zunächst einmal: Die Kommunen bauen seit Jahren bedarfsgerecht aus und wissen sehr gut, dass Familien zunehmend darauf angewiesen sind. Aber ein Rechtsanspruch wird eine enorme Nachfrage auslösen. Um dem gerecht zu werden, müssten die Kommunen in nur wenigen Jahren Betreuungsplätze für bis zu 250.000 Kinder schaffen. Das wird eine irrsinnige Bautätigkeit nach sich ziehen. Dabei sind viele Schulen schon ausgebaut bis unters Dach. Hinzu kommt: Die Städte und Gemeinden sollen wieder mal bezahlen, was andere sich ausgedacht haben. Der Bund unterstützt zwar maßgeblich bei den Investitionskosten, die Kommunen werden aber auf einem Großteil der Betriebskosten sitzenbleiben. Für NRW rechne ich mit Mehrkosten von jährlich 750 Millionen Euro. Ganz abgesehen davon, habe ich keine Idee, woher die Tausenden zusätzlichen Erzieherinnen und Erzieher kommen sollen.
Kann Ihnen das Land nicht helfen? Es stehen noch Beratungen im Bundesrat an?
Wir fordern tatsächlich vom Land, sich zu positionieren, wie man sich dort die Finanzierung des Rechtsanspruches vorstellt. Wir sind als Kommunen ja nicht gegen diesen Rechtsanspruch, das ist kein Teufelswerk. Aber er muss finanzierbar sein. Mich ärgert es, wie da getrickst wird, indem dieser Rechtsanspruch über ein Bundesgesetz und nicht im Schulrecht verankert wird. Beim Schulrecht wäre das Land in der Finanzierungsverantwortung. Es zeigt sich einmal mehr, dass der Blick aus den Fenstern des Reichstags ein anderer ist als aus dem Fenster eines Rathauses.