An Rhein und Ruhr. Der Medizinische Dienst hat im vergangenen Jahr rund 14.000 Gutachten zu Behandlungsfehlern erstellt. Jeder vierte Fall wurde bestätigt.
Man liest immer mal wieder von den gruseligen Krankenhausgeschichten, in denen dem Patienten unabsichtlich das falsche Knie operiert, ein Tupfer im Bauchraum vergessen oder gar ein todbringendes Medikament verabreicht wurde. Zwar sind das Einzelfälle. Aber wenn man sich die aktuellen Zahlen zu Gemüte führt, ist die Zahl der medizinischen Fehler seit Jahren ein Problem, und zwar ein nicht zu unterschätzendes.
Die Zahl der Gutachten zu medizinischen Behandlungsfehlern in Deutschland ist leicht rückläufig – und etwa jeder vierte beanstandete Fall wird vom Medizinischen Dienst bestätigt. Laut der am Dienstag vorgestellten Begutachtungsstatistik gab es im vergangenen Jahr 14.042 fachärztliche Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern. Die Prüfer stellten in 4099 Fällen einen Mangel fest, in 3550 Fällen mit der Folge eines gesundheitlichen Schadens. Erst dann besteht die Chance auf Schadenersatz. Der Trend bei den Behandlungsfehlern findet sich auch im Bereich Nordrhein (1389 Gutachten, 24,24 Prozent Fehlerquote). In Westfalen-Lippe (1180 Fälle) erwies sich der Verdacht der Patienten hingegen nur in 13,4 Prozent der Fälle als berechtigt. Ob die Corona-Pandemie Auswirkungen auf die aktuelle Bilanz hat, ist nach Einschätzung des Medizinischen Dienstes offen.
Dass sich jeder vierte Vorwurf als berechtigt erweist, ist vermutlich nur die Spitze des Eisbergs. „Unsere Zahlen zeigen nur einen kleinen Ausschnitt eines Problems, das engagierter angegangen werden muss“, sagt jedenfalls Stefan Gronemeyer, Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes. „Wir brauchen endlich systematische Anstrengungen zur Reduzierung vermeidbarer unerwünschter Ereignisse, die schwere Schädigungen verursachen können.“
Zurückgebliebene Fremdkörper und verwechselte Patienten
Dazu gehörten zum Beispiel Patienten- und Seitenverwechslungen, falsche Medikamente oder zurückgebliebene Fremdkörper nach Operationen. Fehler dieser Art, sogenannte „Never Events“, sollten nach Einschätzung der Prüfer verpflichtend gemeldet werden – um daraus Rückschlüsse zu ziehen für verbesserte Sicherheitsmaßnahmen. Das passt zu den Plänen der Weltgesundheitsorganisation. Die hat im September die Patientensicherheit zum prioritären Gesundheitsziel erklärt.
Mutmaßliche Behandlungsfehler ereignen sich vermehrt in Krankenhäusern (9293 Fälle). Das ist wenig erstaunlich, denn die meisten Behandlungsfehlervorwürfe beziehen sich auf operative Eingriffe, die häufig in der stationären Versorgung erfolgen. Knapp 31 Prozent aller Vorwürfe (4337 Fälle) betrafen die Orthopädie und Unfallchirurgie, zwölf Prozent die Innere Medizin und Allgemeinmedizin (1634 Fälle), neun Prozent jeweils die Allgemein- und Viszeralchirurgie (1296) und die Zahnmedizin (1198), acht Prozent die Frauenheilkunde und Geburtshilfe (1128) sowie sechs Prozent die Pflege (899). 25 Prozent der Vorwürfe bezogen sich auf 29 weitere Fachgebiete. Nur wenig tröstlich: Lediglich bei rund einem Drittel der betroffenen Patienten war der Schaden von Dauer – wobei es hier erhebliche Unterschiede gibt.
Tödliche Folge für den Patienten oder die Patientin
Mit einem leichten Schaden wie einer unschönen Narbe lässt es sich schließlich deutlich besser leben als mit einem schweren, der beispielsweise dauerhafte Bettlägerigkeit zur Folge hat. Noch eine Zahl macht nachdenklich: In knapp drei Prozent der Fälle (82) hat ein Fehler zum Tod der Patientin oder des Patienten geführt oder wesentlich dazu beigetragen.