Am Niederrhein. Insekten retten, Artenschwund stoppen. Naturschützer wollen mit einer Volksinitiative die NRW-Politik zum Handeln zwingen. Was dahinter steckt.
Die großen Naturschutzverbände in NRW, der Naturschutzbund Deutschland (NABU), der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt NRW (LNU), haben die Volksinitiative gestartet „Insekten retten – Artenschwund stoppen“.
Damit die Initiative auch nachhaltig etwas bewirken kann, müssen innerhalb eines Jahres 66.000 Unterschriften von stimmberechtigten Bürgern, ab 18 Jahren, aus NRW vorliegen.
Das sind 0,5 Prozent der Wahlberechtigten in unserem Bundesland. Und Bedingung dafür, damit der Inhalt einer Volksinitiative überhaupt erst vom NRW-Landtag beackert werden muss. In acht zentralen Handlungsfeldern fordern die Naturschützer einen deutlichen Politikwechsel. Konkret fordern die Verbände einen Stopp des Flächenfraßes.
Täglich kommen zehn Hektar Fläche unter die Räder
Am Niederrhein muss den flächenfressenden Schaufelbaggern der Kiesindustrie, der ständig und überall explodierenden Ausbreitung von Gewerbegebieten, dem Bau neuer, oft unnötiger, Straßen, der Versiegelung von Parkplätzen, Schulhöfen etc. signifikant Einhalt geboten werden. „Der Verbrauch von maximal fünf Hektar pro Tag in NRW ist aus dem Landesentwicklungsplan gestrichen worden“, kritisiert Dr. Heide Naderer, Vorsitzende des NABU NRW.
Momentan kommen täglich gut zehn Hektar Fläche unter die Räder. Die konservative Landesregierung hat keine Bedenken. Die drei Verbände hingegen fordern, dass der Flächenverbrauch bis 2035 auf Null gesenkt wird.
Mittlerweile sind 45 Prozent der Arten in NRW bedroht; das hat maßgeblich auch mit dem maßlosen Flächenverbrauch zu tun. Auch am Niederrhein beklagen die Experten einen gravierenden Rückgang vieler Insekten-, Vogel- und Pflanzenarten. Dies muss dringend gestoppt werden.
In den letzten 30 Jahren ist allein die Biomasse an Insekten, auch durch die weiter wachsende Lichtverschmutzung, bei uns um gut 70 Prozent zurückgegangen. Das ist Nahrungsmangel pur für viele Vögel und sehr schlecht für die meisten Pflanzenarten. Denn: Rund 80 Prozent aller Blütenpflanzen werden von Insekten bestäubt. Auch in der Landwirtschaft.
Durch das Ausbleiben von Bestäubungen müssen jetzt schon große volkswirtschaftliche Schäden verbucht werden. Das geht jährlich in die Milliarden. Außerdem steht im Forderungskatalog der Naturschutzverbände, dass mehr naturnahe und wilde Wälder in NRW etabliert, Schutzgebiete wirksamer geschützt und lebendige Gewässer und Auen gesichert werden müssen.
Zudem soll der Biotopverbund gestärkt und ausgeweitet, Artenschutz in der Stadt gefördert und der naturverträglichen Landwirtschaft aktiv in den Kommunen auf die Sprünge geholfen werden
Landwirtschaft muss sich ändern
Der größte Artenschwund in NRW ist auf landwirtschaftlichen Nutzflächen zu beklagen. Das sind rund 47 Prozent der Landesfläche, die von etwa 30.000 landwirtschaftlichen Betrieben beackert werden. Wie auf diesen Wiesen, Weiden und Feldern gearbeitet wird, ist aber ganz entscheidend für das Funktionieren der Ökosysteme, die heimische Biodiversität sowie die Qualität des Grundwassers und das Klima.
Die meisten Subventionsmilliarden von der EU flossen bisher an die Landwirtschaft
Die meisten Subventionsmilliarden von der EU flossen bisher an die Landwirtschaft. Rund 40 Prozent aus dem EU-Haushalt. Jedes Jahr. Allerdings profitierten davon vor allem die großen landwirtschaftlichen Betriebe. Das sind 20 Prozent, die 80 Prozent der Subventionen bekommen. Auch am Niederrhein.
Die Biodiversitätsstrategie ist vor fünf Jahren von der Landesregierung beschlossen worden. Die Umsetzung ist bis heute weitgehend ignoriert worden. Klimawandel, Insektensterben, Strukturverluste in der Landschaft, geringe Erlöse, fehlende Perspektiven für Hofnachfolgen – Die Liste der drängenden Fragen zur Ausrichtung der Landwirtschaft ist lang. Die Agrarpolitik ist schon lange gescheitert. Ein Systemwechsel ist dringend erforderlich.
Das liegt an der Prämienvergabe, die sich schlicht an der Größe der landwirtschaftlichen Flächen orientiert. Dabei sind es gerade die kleineren Höfe, die eher in der Lage sind, naturverträglich zu wirtschaften. Bis 2030, so fordern die Verbände der Volksinitiative, sollen 25 Prozent der Anbauflächen in NRW ökologisch bewirtschaftet werden.
Das muss, auch finanziell, entsprechend gefördert werden; und käme natürlich der Artenvielfalt zugute. Eine Umschichtung der Subventionen ist unabdingbar. Mehr Qualität, statt Masse. Auch wenn nachhaltig produziert wird, werden keine Ernährungsengpässe entstehen.
Die Politik muss umgehend die Voraussetzungen schaffen. Nicht zuletzt im Interesse aller Menschen. Der Planet steht vorm Kollabieren.
Wir haben aber nur eine Erde.
Wo und wie Ihre Stimme zählt, erfahren Sie im Internet (www.artenvielfalt-nrw.de) oder bei der NABU-Kreisgruppe Wesel; 02 81-1 64 77 87
GASTKOMMENTAR von Peter Malzbender
Noch nie ist die Erde in so kurzem Zeitraum so geschunden worden.
Das Artensterben weltweit ist das größte, was jemals auf unserem Planeten stattgefunden hat. Und wir Menschen haben es zu verantworten. Der Zug ist vielleicht noch nicht abgefahren. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind genügend da; gehandelt werden muss jetzt. Und zwar sofort. Dazu sind wir auch gegenüber unseren Kindern und Enkelkindern verpflichtet. Die Volksinitiative lädt dazu alle Bürger ein, ein dringend notwendiges Umdenken in Fahrt zu bringen. Mit der eigenen Unterschrift. Auch das erfolgreiche Wirtschaften hat nur eine Zukunft, wenn es sozial- und naturverträglich angelegt ist.
Das ständige Gieren nach maßlosem Wirtschaftswachstum, ist ein fataler Irrglaube. Weniger ist häufig mehr. Wir alle sollten unser Konsumverhalten regelmäßig überprüfen. Das ist unbequem und anstrengend. Kaum zu glauben, dass es heutzutage sogar noch in einigen Naturschutzgebieten erlaubt ist, chemisch-synthetische Pestizide und leichtlöslichen Mineraldünger auf landwirtschaftlich bewirtschafteten Flächen auszubringen. Das ist Etikettenschwindel an Schutzgebieten.
Die Volksinitiative will das und viele weitere naturzerstörerische Eingriffe aufdecken, verhindern und geändert sehen. Geben Sie dem Leben Ihre Stimme.