An Rhein und Ruhr. Interrailtickets sind zu dessen 50. Geburtstag heiß begehrt und auch Nachtzüge verkehren endlich wieder in der Region. Kosten aber Zeit und Geld.
Interrail und Nachtzug – das klingt eindeutig romantischer als Ferienflieger. Aber auch ein wenig nach letztem Jahrhundert. Doch beide Reiseideen feiern ihr Comeback. Interrail, 1972 in der damaligen Europa-Euphorie erfunden, brachte bis zum steilen Aufstieg der Billigflieger die Jugend in ganz Europa in Bewegung.
Als am vergangenen Wochenende im Jubiläumsverkauf die „Globaltickets“ für Bahnfahrten in ganz Europa zum halben Preis angeboten wurden, brachen die Server unter der Nachfrage zusammen. Es gibt sie also noch, die Nachfrage nach Bahn auf Langstrecke.
Eine Reise, die Erinnerungen fürs Leben schafft, Menschen verschiedenster Kulturen zusammenbringt und Freundschaften schafft, wird 50: Das Interrail-Ticket. Mit dem haben laut der Deutschen Bahn seit 1972 mehr alszehn Millionen Menschen Europa mit dem Zug entdeckt. Hinzu kommt: Interrail gibt es mittlerweile auch für einzelne Länder, einzelne Reisetage und alle Altersgruppen – sogar für Senioren.
Das weckt bei Peter T. aus Essen Erinnerungen: „Neulich bin ich auch mal mit Interrail in den Urlaub gefahren. 1975 war das, glaub ich. Damit sich das auch lohnt, haben wir uns überlegt, erst bis zum Nordkap und von da aus bis nach Marokko zu fahren – was dann aus Zeitgründen nicht geklappt hat. Auf dem Weg nach Süden war in Paris Schluss.
Jugenderinnerungen, die noch 50 Jahre danach aktuell sind
Skandinavien war damals schon teuer – und für uns vier Schüler erst recht. Gut, dass wir für jeden Tag eine Tütensuppe dabei hatten. Ich weiß noch, dass der Rucksack 14 Kilo gewogen hat. Das schränkt den Bewegungsradius doch sehr ein.
Aber meistens saßen wir im Zug. Auch nachts. Norwegen ist ziemlich lang. Es gab grandiose Aussichten. Und viele nette Leute. Ich erinnere mich an das Pärchen, das schon seit zehn Tagen ausschließlich von Gurken und Knäckebrot lebte, weil das Geld knapp geworden war. Da kam unsere Tütensuppe groß raus. Und im Nachtzug nach Trondheim habe ich mich für einen Tag in eine blonde Schweizerin verliebt. Sie hat mir beigebracht, wie man „Küchenschränkchen“ auf Schwytzerdütsch sagt: „Chuchichäschtli“. Vergess ich im Leben nicht mehr.
Eigentlich wollten wir alle so eine Tour mal wiederholen. Dazu ist es leider nie gekommen. Jetzt hat mir der Kollege erzählt, dass es auch ein Interrailticket für Senioren gibt. Warum nicht?! Drei von uns vier Freunden leben ja noch ...“
Na dann: Schließlich ist für fast jeden Geldbeutel etwas dabei. Von „drei Tage binnen eines Monats“ in (beispielsweise) Frankreich (150 Euro, für Italien und Südtirol gilt ein ähnlicher Preis) bis zur freien Fahrt für drei Monate (900 Euro). (Preise:interrail.eu) Haken: in Deutschland gilt der Pass nur für je eine Fahrt raus und rein ins Land. Und schnelle Züge wie TGV, Eurostar und Thalys kosten Zuschlag.
Große Skandinavientour mit dicken Rucksack und Interrailticket
Sina Malin Brücks aus Rheurdt ist eine von ihnen. Im Herbst 2020 hat die heute 21-Jährige den XXL-Wanderrucksack geschultert, um mit Freundin Jana zwei Wochen lang Skandinavien zu erkunden. Dabei ging es von Duisburg über Hamburg, Kopenhagen und Göteborg bis nach Stockholm. „Eine traumhafte Stadt“, schwärmt Sina Malin gefragt nach ihren Highlights.
Von dort aus ging es für sie und Jana dann 14 Stunden lang mit dem Nachtzug Richtung Lappland – bis nach Kiruna, die nördlichste Stadt Schwedens. „Da konnten wir das volle Schweden-Gefühl erleben: Wenige Häuser, kaum Menschen und Natur pur. Trotz der Kälte war es einfach nur gemütlich.“ Über Luleå, Göteborg und Kiel ging es dann zurück nach Hause.
Die lange Zeit im Zug verbrachten sie mit Monopoly-Spielen auf dem kleinen Tisch in der Vierer-Sitzgruppe oder Gesprächen mit Mitreisenden: „Selbst in den abgelegensten Orten haben wir coole Leute aus Deutschland, Frankreich oder Italien kennengelernt.“
Bei der Auswahl eines Verkehrsmittels für ihre Reise fiel die Wahl schnell auf die Bahn. „Für mich war der Klimaaspekt entscheidend“, erklärt die Rheurdterin. „Ich lebe vegan, fahre so viel wie möglich mit Fahrrad und Zug. Es war für mich klar, dass Interrail gegen das Auto oder gar das Flugzeug gewinnt. Abgesehen davon ist es deutlich günstiger, entspannter und flexibler...“
Nun, das gilt bei Nachtzügen eher eingeschränkt. Sie fahren maximal einmal pro Nacht und Richtung, oft auch nur an ausgewählten Tagen, vorzugsweise am Wochenende. Deswegen hatte die Deutsche Bahn jene aufs Abstellgleis verbannte. Dank der Österreicher feiern sie jedoch ein Comeback feiern. Die „Nightjets“ – ohne Jet bekommt man Menschen offenbar nicht bewegt – haben die Schlaf- und Liegewagen zurückgebracht.
Vom Sitzwagen für Sparsame bis zur Pauschalreise auf Schienen
Nachts geht es von Arnheim, Duisburg, Düsseldorf und Köln nach Basel, Zürich, Wien und Innsbruch reisen. Dazu kommt seit letztem Jahr der Anbieter Urlaubs-Express.de, der jeden Freitag südwärts und jeden Samstag nordwärts fährt: über den Brenner bis Bozen oder Verona. Auf Wunsch auch mit dem eigenen Auto an Bord. Das alles hat aber seinen Preis. Unter nightjet.com beginnen die Preise bei 29,90 Euro für den Sitz zweiter Klasse – das ist etwa so entspannt wie Transkontinentalflug Touristenklasse. Über Liege im Sechser-Abteil bis zum eigenen Schlafabteil steigert sich die Preispalette bis 160 Euro – im günstigsten Fall..
Ein anderes Konzept hat “Greencitytrip.de“.. Die Idee steckt im Namen: Bei ihm gibt es Fünf-Tage-Reisen zu buchen in Städte wie Prag, Venedig oder Göteborg. Zwei Nächte im Zug, zwei vor Ort im Hotel. Mit anderen Worten: Hier bucht man eine kleine Pauschalreise. Und: solche Angebote sind noch ein Tropfen auf den heißen Stein: viele Nachtzüge fahren nicht täglich, sind an Ferienwochenenden schnell ausgebucht. Doch selbst ein ausgebuchter Nachtzug ersetzt etwa zwei volle Ferienflieger. Aber dafür gibt’s ein grüneres Gewissen und Bahnromantik.
Die Klimabilanz freut sich
Denn wer eine Reise mit der Bahn antritt, kann eine Menge Kohlendioxid einsparen. Das macht sich besonders bei langen Fahrtstrecken wie der 5.500 Kilometer langen Interrail-Tour von Sina Malin (siehe unten) bemerkbar.
Hätte die 21-Jährige ihre Reise über Dänemark bis nach Nordschweden mit einem Mittelklassewagen mit einem Durchschnittsverbrauch von 7,8 Litern pro 100 km absolviert, hätte sie laut dem CO-Rechner der Stiftung Wilderness International rund 1,47 Tonnen Kohlendioxid produziert. Das entspricht einer Fläche von 24,53 m² Regenwald.
Bei einer Reise mit dem Flugzeug fällt der Unterschied ähnlich gravierend aus: Auf dem Direktflug Düsseldorf nach Stockholm und zurück verbraucht ein einzelner Reisender 0,47 Tonnen CO2. Die Weiterfahrt in andere Städte, die eine Europareise mit der Bahn ausmacht, ist dabei noch lange nicht mit eingerechnet.