Uedem. In Uedem entdecken die Nato-Soldaten, wenn russische Aufklärungsflugzeuge in den Luftraum eindringen. Was alles in dem Bunker passiert:
Delta, Mike, Lima... Hauptfeldwebel Philip Spelten schaut aufs Handy, vergleicht in bester Nato-Buchstabierung noch einmal die Seriennummer des Mobiltelefons, bis der Gast ins Kasernengebäude darf. Doch ein paar Etagen tiefer darf das Handy nicht mit. Überhaupt kein elektronisches Gerät.
Hier unten, in einem ehemaligen Bunker, sitzen Nato-Offiziere auf schwarzen Bürostühlen mit Nackenstütze vor Computern und haben jede Maschine auf dem Schirm. Wie die am vergangenen Wochenende. Auf den Monitoren und am Himmel tauchte ein russisches Aufklärungsflugzeug vor der Insel Rügen auf. Zeit zu handeln. Eine Alarmrotte aus zwei Eurofightern begleitete die russische Maschine im internationalen Luftraum weg von Deutschland. Genau solche Aufträge und Beobachtungen kommen aus dem Bunker – mitten am Niederrhein, aus Uedem im Kreis Kleve.
Ja, solche Fälle kommen immer wieder mal vor, berichtet Oberst Wilhelm May. Doch dass sich die Besuche von russischen Aufklärungsflugzeugen vermehrt hätten, will er so deutlich nicht sagen. Sollten aber noch drei, vier solcher Sichtungen hinzu kommen, würde er zu einem anderen Schluss kommen, sagt er im Gespräch mit der NRZ.
Baltops-Großübung im Juni: Oberst erwartet die Russen
May ist der dienstälteste Offizier am Standort, seit 42 Jahren ist er bei der Luftwaffe. „Willi“ steht auf seiner olivgrün Fliegerkluft, die seinen drahtigen Körper einhüllt. Er selbst war lange Jahre am Himmel, zu Zeiten des Kalten Krieges ist er Tornados geflogen. Jetzt ist er sozusagen Manager, plant Einsätze, Personal, Trainings im und mit dem Combined Air Operations Centre (CAOC) in Uedem.
Auf seiner linken Schulter prangt das Abzeichen der 50. Baltops-Großübung. Im Juni nimmt er an der 51. teil. In Stockholm wird es losgehen. Und er weiß, die Russen werden da sein. Sie werden die Großübung begleiten, den Schiffen hinterherfahren, den Flugzeugen hinterherfliegen. „Shadowing“ nennt man das im Militärjargon. Ein potenzieller Gegner stets im Nacken, ist das nicht gruselig?
Oberst May schüttelt den Kopf. Er will, dass die Russen zusehen. „Man zeigt, was man hat und was man kann“, sagt er zum Sinn der Übung. Dieses Manöver soll zur Abschreckung dienen. „Wir sind sicher, dass wir unser Geschäft können, dass wir gut sind“, sagt er. Und natürlich: Die Übung diene auch dazu, noch besser zu werden.
Neben der Großübung gibt es viele kleinere, auch in Uedem. Knapp 200 Menschen aus 20 Nationen arbeiten hier. Im ehemaligen Bunker haben sie 30.000 Flugbewegungen auf ihren Monitoren im Blick, militärische wie zivile. Die Signale kommen von Satelliten aus dem All und von Radarsystemen auf der Erde.
Durch eine Schleuse wird der Bunker betreten
Mit dem Fahrstuhl geht es nach unten. Durch eine Schleuse betritt man den Bunker, der in der 50er-Jahren gebaut worden ist. Genau genommen ist es kein Bunker mehr, weil er an der Seite um einen Flur erweitert und somit nicht mehr in sich abgeschlossen ist. Der Weg führt durch schwere, hellgrüne Metalltüren über lange Flure bis zum Herzstück des CAOC.
Es ist Mittagszeit, sieben Offiziere starren auf ihre Monitore. Es ist still, nur das Rauschen der Lüftung und das Klicken der Computermäuse ist zu hören. Die Konzentration sei seit dem Ukraine-Krieg um 20, 30 Prozent gestiegen, so May. In jedem Raum hängen jeweils zwei Uhren, eine zeigt unsere Sommerzeit, die andere die Zulu-Zeit. Die Zulu-Zeit liegt zwei Stunden hinter unserer. Sie gilt überall auf der Welt, nach dieser Uhr ist es überall gleich spät. Gelbe, blaue und rote Linien sind auf dunklen Landkarten zu sehen. Kleine rote Kästchen zeigen, dass hier Platz für Flieger ist, um in der Luft in Bereitschaft zu sein. Seit Kriegsbeginn gibt es mehr Bedarf für diesen Parkplatz in der Luft. Bislang waren die Bereitschaften am Boden üblich.
Die gibt es auch weiterhin. Denn wenn die Offiziere im Uedemer Bunker Auffälligkeiten am Himmel über dem Nato-Gebiet entdecken, geben sie den Auftrag, Flieger dorthin zu senden. Eine Viertelstunde später können sie in der Luft sein. Zunächst, um sich genauer anzusehen, was dort los ist. Vielleicht aber auch, um den Eindringling zu bedrängen. Und im Zweifel kann auch ein Warnschuss fallen.
Infrarot-Signale mit Leuchtsignalen irritieren
Das, so Oberst May, habe er in seiner Zeit noch nicht einmal erlebt. Wohl aber, dass eine Leuchtsignal abgegeben worden ist. Das dient dazu, die Infrarot-Signale zu irritieren.
Insgesamt, so May, sei das Arbeitsaufkommen in Uedem seit dem Überfall auf die Ukraine gestiegen, Soldaten seien öfter in der Verlegung. „Wir zeigen mehr Präsenz“, erklärt der Oberst. Auch auf seinem Schrank stehen gepackte Taschen, falls es schnell gehen muss.
Als Russland die Ukraine überfiel, war May fassungslos: „Ich konnte nicht glauben, was am 24.2. passiert ist.“ Er weiß: Sobald die Nato aktiv eingreift, „sind wir voll drin“. Damit meint er auch die im März von Ukraines Präsidenten Selenskyj geforderte Flugverbotszone über seinem Land, um Bombardements aus der Luft zu stoppen.
Wie auch immer es weitergeht, was auch immer Putin vorhat, Oberst May ist sich sicher: Mit dem Überfall auf die Ukraine hat Putin sich keinen Gefallen getan.
>>Info: Auch bei Flugzeugentführungen im Einsatz
Neben dem Combined Air Operations Center in Uedem gibt es ein weiteres in Torrejón (Spanien). Das Team in Uedem hat den nordeuropäischen Luftraum im Blick. Sie sind eine Art Luft-Polizei (Air Policing) der Nato und überwachen den Luftraum. Neben militärischen Aufgaben werden sie beispielsweise auch bei Flugzeugentführungen eingesetzt. Der Nato-Bunker am Uedemer Paulsberg ist jeden Tag 24 Stunden lang besetzt.