Essen. Jedes Jahr am 8. März gehen Frauen für ihre Rechte auf die Straße, machen auf Missstände aufmerksam. Welche Bedeutung hat der Weltfrauentag 2021?

Während der NS-Zeit verboten, in 24 Ländern gesetzlicher Feiertag und schon 110 Jahre alt – der Weltfrauentag hat einiges miterlebt. Gesetze wie das Frauenwahlrecht seit 1918 oder die Strafbarkeit von Vergewaltigungen in der Ehe seit 1997 haben das Leben von Frauen in Deutschland verbessert. Ob verheiratete Frauen arbeiten dürfen, hängt seit 1977 nicht mehr von der Gunst der Ehemänner ab und seit 2016 gilt das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung, bekannt unter dem Stichwort "Nein heißt Nein". Jedes Jahr am 8. März gehen Frauen für ihre Rechte auf die Straße. Doch welche Bedeutung hat der Weltfrauentag im Jahr 2021 und wie sieht der Kampf heute aus?

Wir haben vier unterschiedliche Frauen nach ihren Meinungen gefragt

Elisabeth Wilfart war Leiterin einer Beratungsstelle für Prostituierte und ist seit 2012 Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Düsseldorf.

Audrey Dilangu aus Dinslaken studiert Politikwissenschaften, ist Mitglied im Juso-Landesvorstand NRW und zuständig für den Kreisverband Wesel.

Diane Tigges-Brünger ist zuständig für die Frauen- und Gleichstellungspolitik von ver.di NRW sowie stellvertretende Vorsitzende des Frauenrates NRW für den DGB.

Malwina Scheele, Mitglied der Jusos Essen und Teil des Arbeitskreis Feminismus.

Welche Bedeutung hat der Frauentag für Sie?

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Diane Tigges-Brünger: „Frauentag bedeutet für mich: aufmerksam machen. Besonders schön finde ich, unter normalen Umständen, die Aktionsstände. Wir können auf Missstände aufmerksam machen und bei den Leuten nachfragen, was sie bewegt. Und man kommt aus seiner eigenen Blase raus. Aktuell ist es wichtig, durch Online-Aktionen zu zeigen, dass Frauen nicht ruhig werden, nur weil sie durch Corona stärker belastet sind.“

Audrey Dilangu aus Dinslaken studiert Politikwissenschaften, ist Mitglied im Juso-Landesvorstand NRW und zuständig für den Kreisverband Wesel.
Audrey Dilangu aus Dinslaken studiert Politikwissenschaften, ist Mitglied im Juso-Landesvorstand NRW und zuständig für den Kreisverband Wesel. © Unbekannt | Unbekannt

Audrey Dilangu: „Für mich hat der Frauenkampftag einen wichtigen Stellenwert. Weltweit gehen Menschen auf die Straße, um gegen Unterdrückungsformen zu kämpfen, mit denen Frauen tagtäglich konfrontiert werden. In der Vergangenheit habe ich vor allem sehr oft an Kundgebungen und Demonstrationen teilgenommen. Diese hatten für mich immer einen sowohl empowernden als auch revolutionären Charakter.“

Elisabeth Wilfart: „Es gibt nicht ein Land auf der Erde, in dem die Gleichstellung der Geschlechter schon verwirklicht wäre. 2021! Ich finde das unfassbar – obwohl es mein tägliches Geschäft ist. Der Tag gibt die Gelegenheit, auf diese Situation öffentlich wahrnehmbar hinzuweisen und Veränderungen einzufordern. Im letzten Jahr zum Beispiel gab es eine große, sehr interessante Veranstaltung im Schauspielhaus zum Thema: "Feminismus 2020". Aber vor allem die Möglichkeit, dass hier alle Aktiven und Engagierten aus Düsseldorf zusammenkommen und sich auch mal feiern, das ist schon was Besonderes in "normalen Jahren".“

Malwina Scheele: „Am Frauentag erinnere ich mich daran, wie viel durch den Feminismus bereits erkämpft wurde, aber auch daran, wie weit der Weg hin zu einer echten Gleichberechtigung noch ist. Daher ziehe ich auch den Begriff „Frauen*Kampftag“ vor. Bei Aktionen für den Frauentag finde ich es immer besonders schön, dass sich Frauen aus unterschiedlichen Organisationen zusammenschließen und -arbeiten. Das Gefühl von gelebter Solidarität schätze ich sehr. Es gibt einem sehr viel Kraft für die weitere Arbeit.“

Wofür sollten Frauen 2021 kämpfen?

Diane Tigges-Brünger: „Ich kämpfe für ein paritätisches Gesetz im Landtag und Bundestag sowie Coachings für politische Frauen auf kommunaler Ebene. Frauen müssen bestärkt werden. Gleiche Bezahlung für Männer und Frauen und eine Tarifbindung in sogenannten Frauenberufen.“

Elisabeth Wilfart: „Für Parität. In den Parlamenten und im Haushalt.“

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Malwina Scheele: „Wir erfahren an unterschiedlichen Stellen eine nachteilige Behandlung von Frauen. Daher wären konkrete Forderungen z.B. gleiche Bezahlung (die Gender Pay Gap beträgt immer noch 19 %), die Abschaffung von prekären Arbeitsplätzen, eine verbindliche Frauenquote für Vorstände, Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, gesicherte Finanzierung von Frauenhäusern, die Abschaffung des Ehegattensplittings sowie kostenlose Verhütungs- und Periodenartikel. Das eigentliche Ziel ist jedoch auch dann nicht erreicht, wenn alle diese Punkte erfüllt sind: Wir brauchen einen Systemwandel, der von der Gesellschaft getragen wird.“

Was wünschen Sie sich von Männern an diesem Tag, oder auch generell?

Audrey Dilangu: „Dass sie sich aktiv an diesem Kampf beteiligen - nicht nur am Frauenkampftag.“

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Elisabeth Wilfart: „Feminismus ist nicht "reserviert" für Frauen, also nicht nur ein Frauenthema – es müsste viel mehr Feministen geben. Wir wissen doch längst, dass Männer an den bestehenden Strukturen und Rollenvorstellungen auch leiden. Eine (geschlechter-)gerechte Gesellschaft ist eine bessere und lebenswertere Gesellschaft für alle.“

Malwina Scheele: „Männer sind in der privilegierten Situation, dass sie vom Ist-Zustand profitieren – ob sie es wollen oder nicht. Oftmals ist es für sie eine so bequeme Situation, dass sie das eigene Verhalten und ihre Privilegien nicht hinterfragen. Doch genau das ist extrem wichtig. Wenn Männer unsere Mitstreiter sind, können wir viel schneller zur gelebten Gleichberechtigung gelangen.“

Diane Tigges-Brünger: „Junge Männer scheinen mir heute viel proaktiver und weniger auf Karriere fixiert zu sein. Trotzdem, bitte den Aufwand unbezahlter Arbeit bemerken und selbst verrichten.“

Was bedeutet Feminismus für Sie?

Diane Tigges-Brünger: „Feminismus ist für mich der Kampf, immer wieder aufzustehen und Missstände aufzuzeigen. Für den Rest meines Lebens.“

Elisabeth Wilfart: „Feminismus zielt auf eine gerechte Arbeits- und Machtteilung und faire Entwicklungsbedingungen für alle Menschen und das weltweit. Deswegen ist Feminismus für mich immer intersektional. Frauen und Frauenleben sind vielfältig. Wir dürfen nicht nur die Karrieremöglichkeiten von weißen europäischen Mittelschichtsfrauen im Blick haben, sondern auch die Situation von Women of Colour, Migrantinnen, Frauen mit Behinderung etc.“

Audrey Dilangu: „Es gibt verschiedene Arten des Feminismus, oder eher gesagt unterschiedliche feministische Strömungen. Für mich bedeutet Feminismus die Bekämpfung von geschlechterbezogenen Ungerechtigkeiten, die durch patriarchale Strukturen befördert werden. Für mich ist dieser Kampf aber nur möglich, wenn er intersektional erfolgt. Dies bedeutet, dass es wichtig ist, sich Wechselwirkungen von unterschiedlichen Unterdrückungsformen- und Strukturen anzuschauen und diese in den Kampf einzubeziehen. Damit meine ich zum Beispiel klassistische, rassistische, ableistische, queer- oder transfeindliche Strukturen – denn der Kampf für die Gleichberechtigung aller Menschen in unserer Gesellschaft kann nur intersektional erfolgen.“

Lieber rote Rosen oder rote Nelken zum Frauentag?

Malwina Scheele: „Ganz im Sinne des Appells #stattblumen möchte ich lieber Gleichberechtigung als Blumen. Diese verwelken irgendwann und haben langfristig keinen Nutzen.“

Elisabeth Wilfart: „Keine Blumen und lieber echte Gleichberechtigung!“

Audrey Dilangu: „Gerade aus historischer Perspektive natürlich die roten Nelken. Die rote Nelke ist nämlich ein Widerstandssymbol der Arbeiter*innenbewegung.“

Diane Tigges-Brünger: „Ich halte es ganz wie Hildegard Knef: „Für mich soll es rote Rosen regnen.““

Ein kleines Glossar zum Frauentag:

Paritätisch: (Zahlenmäßig) gleichgestellt, gleichberechtigt.

Intersektionalität: Das Konzept der Intersektionalität (auch "Mehrfachdiskriminierung") besagt, dass sich unterschiedliche Dimensionen von Diskriminierungen (z.B. Sexismus, Rassismus und Homophobie) überlagern, verstärken und somit zu spezifischen Formen verdichten können.

Ableismus: Menschen mit Behinderung werden aufgrund des Fehlens bestimmter Fähigkeiten abgewertet.

Empowerment: Empowerment bezeichnet Maßnahmen und Techniken, die in der Lage sind, die Selbstverantwortung und Autonomie von Menschen zu verbessern. Es bezeichnet dabei sowohl den Prozess der Selbstbemächtigung (Emanzipation) als auch die Unterstützung von Menschen, ihre tatsächliche oder gefühlte Macht- und Einflusslosigkeit zu überwinden.

Queer: In Deutschland wird queer häufig als Sammelbegriff für „lesbisch, schwul, bisexuell, transgender und intersexuell verwendet.“