Duisburg.
Integration ist nicht nur ein Thema, das Christen und Moslems beschäftigt. Eine gewaltige Integrationsaufgabe haben die jüdischen Gemeinden in Deutschland seit Anfang der neunziger Jahre zu stemmen.
Alleine auf die jüdische Gemeinde Duisburg - Mülheim - Oberhausen - sind in den vergangenen 20 Jahren mehr als 2600 neue Mitglieder zugekommen. „Vorher hatten wir 160 Mitglieder, mittlerweile sind es mehr als 2800", erklärt Geschäftsführer Michael Rubinstein. Die Zuwanderung speist sich fast ausschließlich aus russischen Juden, die nach dem Zerfall der Sowjetunion ausreisen durften.
Bis 2005 hat die Bundesrepublik Deutschland ohne bürokratische Hürden 200 000 Juden aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion als Kontingentflüchtlinge aufgenommen.Das stellt die Gemeinde auch vor Probleme: „Dadurch kommen neue Herausforderungen auf uns zu“, schildert Rubinstein. Es fängt bei den Sprachkursen im Gemeindezentrum an, geht über ein konsequent zweisprachiges Gemeindeblatt und hört bei Feiertagen längst nicht auf.
Unterschiedliche Feiertage
Während zum Beispiel die deutschen Juden den 27. Januar, den Jahrestag der Befreiung aus dem Konzentrationslager Auschwitz, als Holocaust-Gedenktag begehen, feiern die aus Russland eingewanderten Juden den 8. Mai als „Tag des Sieges“. „Dann kommen die Veteranen, behängt mit Orden“, so Rubinstein.
Was treibt Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland? Ein Bekenntnis zur deutschen Nation ist es mit Sicherheit nicht, wie Eliezer Ben Rafael, Yitzhak Sternberg und Olaf Glöckner in ihrer Studie „Juden und jüdische Bildung im heutigen Deutschland“ herausgefunden haben.
Lebensqualität und soziale Sicherheit
46,2 Prozent der eingewanderten Juden fühlen sich gar nicht, 30,5 % ein bisschen und 23,3 % stark oder sehr stark zur deutschen Nation zugehörig. Stattdessen bekunden 82,7 % starke bzw. sehr starke Identifizierung mit dem jüdischen Volk und immerhin noch 44 % zum Herkunftsland. An Deutschland wird dagegen die hohe Lebensqualität und die soziale Sicherheit geschätzt.
Es sind aber nicht allein wirtschaftliche und soziale Erwägungen, die für eine Auswanderung aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion sprechen. „Juden werden dort bis zum heutigen Tag diskriminiert“, betont Rubinstein. Außerdem stellt die Studie auch fest, dass insbesondere nach längerer Aufenthaltsdauer die Identifizierung mit dem deutschen Staat deutlich zunimmt.
Entsprechend groß ist der Wert, der auf Bildungsarbeit im Gemeindezentrum gelegt wird. Das fängt bereits im Kindergarten an, in dem nicht nur konsequent Deutsch gesprochen, sondern auch Englisch unterrichtet wird. Der erfüllt auch eine weitere Funktion: Nämlich die Eltern über die Kinder wieder zurück zum Judentum zu führen: „Viele Zuwanderer hatten zwar Jude im Pass stehen, aber die Religion kaum oder nie ausgeübt“, so Rubinstein.
Positive
Wahrnehmung
Oder sie sind gar keine Juden. Sprösslinge eines jüdischen Vaters und eine nicht-jüdischen Mutter sind für die jüdischen Gemeinden in Deutschland Angehörige. Dagegen klassifizierte die Sowjetunion alle Kinder eines jüdischen Vaters als Juden, egal ob sie die Religion ausübten oder nicht. „Wir versuchen diesen rund 750 Angehörigen unserer Gemeinde den Weg zu Judentum zu öffnen und sie dabei zu begleiten“, betont Rubinstein, ein gebürtiger Düsseldorfer, der 1997 als Jugendleiter in der Gemeinde begonnen hat.
Trotz aller Schwierigkeiten wird die Zuwanderung als grundsätzlich positiv wahrgenommen. „Ohne sie wäre die jüdische Kultur und Religion auf Dauer hier wohl verschwunden“, urteilt Rubinstein. „Erst durch die Zuwanderung haben wir wieder eine notwendige Größe erreicht.“
Er muss das wissen. Während in seiner Jugend die Kinder aus Duisburg zu vielen Aktivitäten nach Düsseldorf fahren mussten, gehört heute zur Gemeinde selbstverständlich ein aktives Jugendzentrum dazu.