Duisburg. Die Duisburgerinnen Almut Kerßenboom und Marlene Kerschkamp kümmern sich ehrenamtlich um Flüchtlinge. Sie beklagen die Rahmenbedingungen.
Fünf Jahre nach dem Satz: „Wir schaffen das“ sitzen Almut Kerßenboom und Marlene Kerschkamp im Duisburger Innenhafen und denken über Merkels Worte nach. Seit fünf Jahren kümmern sie sich um junge Flüchtlinge. Ehrenamtlich. Sie geben Sprachkurse und begleiten die zumeist jungen Männer zu Ämtern. „Haben wir das geschafft? oder „Was haben wir geschafft?“ Diese Fragen sind „blöd“, sagt Almut Kerßenboom. Die Frage sei doch vielmehr: „Was ist zu schaffen, und was können wir wie schaffen?“, damit Flüchtlinge in die Gesellschaft integriert werden. Und da gebe es noch eine Menge zu tun. Was? „Von untern angefangen: Kita, Schule, Ausbildung und Wohnen“, nennt sie Bereiche, „die dringend angepackt werden müssen.“
Feste Bezugsperson für die Flüchtlinge geworden
Es war die Hochphase der Flüchtlingswelle vor fünf Jahren, als Almut Kerßenboom (68) und Marlene Kerschkamp (69) in der Zeitung gelesen haben, dass die Awo Ehrenamtler sucht, die Flüchtlingskindern Deutsch beibringen. Engagieren, das wollten sich die beiden Rheinhauserinnen schon. „Aber ich wollte lieber mit Erwachsenen arbeiten“, sagt Almut Kerßenboom und „ich habe immer mit Kindern gearbeitet, ich wollte nicht mehr auf den kleinen Stühlen sitzen“, erzählt Marlene Kerschkamp schmunzelnd. Und so gaben die beiden dann jungen Männern und Berufseinsteigern Sprachunterricht. Für viele Flüchtlinge sind sie eine feste Bezugsperson geworden, „für manche die einzige.“ Schnell hätten sie gemerkt, „dass es mit dem Sprachtraining alleine nicht getan ist“, sagt Marlene Kerschkamp. Die Flüchtlinge kamen mit Briefen von den Ämtern auf sie zu, die sie nicht verstanden haben.
„Jetzt kommt die Welt zu uns. Wenn wir schlau sind, können wir was mitnehmen“
Gut 20 Flüchtlinge haben beide Ehrenamtlerinnen in den fünf Jahren intensiv begleitet. Zu manchen haben sie noch immer Kontakt, zu wenigen sind Freundschaften entstanden, „wir werden zum Essen eingeladen, und uns wird mit Respekt begegnet. Man sagt ja: Reisen bildet. Und jetzt kommt die Welt zu uns. Und wenn wir schlau sind, können wir was mitnehmen“, sagt Almut Kerßenboom. Ihre persönliche Bilanz nach fünf Jahren? „Geschafft haben wir einiges. Wir haben vielen geholfen, besser Deutsch zu sprechen, haben viele in Ausbildung gebracht. Eine Familie, die ich betreut habe, lebt jetzt in einer Wohnung.“
„Es ist eine aberwitzige Bürokratie“
Es sind diese kleinen Erfolge, die die Ehrenamtlerinnen motivieren weiterzumachen. Bereut hätten sie nie, dass sie vor fünf Jahren gesagt haben: „Wir machen das“. Es sei manchmal stressig, auch weil es wegen Sprachbarrieren zu Missverständnissen komme.
Sie erzählt von einem Erlebnis, das so typisch dafür sei, wie wichtig es ist, sich in den anderen reinzudenken: „Ich hatte mich mit einem jungen Mann zum Skypen verabredet, als ich ihn anrief, sagte er, das ginge jetzt nicht. Da war ich sauer. Am nächsten Tag erklärte er, dass sein Zimmernachbar Besuch hatte und er deshalb nicht reden konnte. Das stelle ich mir ja so erst einmal gar nicht vor, wenn ich in meinem Zimmer sitze und ruhig reden kann.“
Es seien vor allem die Rahmenbedingungen, die Flüchtlingshilfe so schwer mache. Die Post sei ein Ausdruck einer „aberwitzigen Bürokratie“ und „selbst für Deutsche die sich auskennen, ein Buch mit sieben Siegeln“, sagt Reiner Siebert, Leiter des Netzwerkbüros zur beruflichen Integration von Asylsuchenden und Flüchtlingen (IvAF) im Duisburger DGB-Haus. Er hilft den Ehrenamtlerinnen und Flüchtlingen, wenn sie im Dschungel der Bürokratie nicht weiterkommen.
„Es gibt wenig bezahlbaren Wohnraum“
Auch die Kommunikation von Ämtern untereinander müsste besser funktionieren, meint Almut Kerßenboom: „Wenn das Jobcenter Frauen zu einem Sprachkurs schicken, sie aber keinen Betreuungsplatz für ihre Kleinen haben, dann können sie den Kurs nicht belegen.“ Die Wohnsituation sei für viele Flüchtlinge noch immer „unmöglich“. Die Frauen berichten von Azubis, die in Flüchtlingsheimen auf Mehrbettzimmern untergebracht sind – „mit Leuten, die einen ganz anderen Rhythmus haben, lange fernsehen. Das ist keine gute Basis zum Lernen.“
Es gebe aber zu wenig bezahlbare Wohnungen, große wie kleine. „In vielen deutschen Quartieren sind keine Flüchtlinge erwünscht. Dabei wollen wir doch keine Ghettobildung“, sagt Almut Kerßenboom. Doch nur, wenn man sich kennenlerne, könne man auch Ängste verlieren. „Der Haupthinderungsgrund ist die eigene Mauer. Es wäre schön, wenn die Menschen versuchen würden, da rauszukommen“, sagt Almut Kerßenboom.
„Ich will hier ein Zuhause aufbauen“
Vielen Flüchtlingen fehle der Kontakt zu Deutschen. Es seien mehr interkulturelle Begegnungsstätten nötig, auch für Flüchtlingsfrauen, „die noch mehr als die Männer isoliert leben“, um „die Distanz, die eingekehrt ist, zu durchbrechen“. Eine Distanz, die in den vergangenen Jahren, durch Ereignisse wie die Kölner Silvesternacht, spürbar größer geworden ist. „Ein junger Mann sagte mir, ich bin dankbar, dass ich hier bin und bleiben kann. Dafür tue ich doch alles“, erzählt Marlene Kerschkamp, die weiterhin den Menschen, die „ihre Heimat verloren haben“, helfen will, „hier ein Zuhause aufzubauen“.
Fünf Jahre „Wir schaffen das“ – „Ja, wir haben viel geschafft in diesem Land, aber nicht, weil Frau Merkel gesagt hat, wir schaffen das“, ist Reiner Siebert überzeugt, „sondern weil Millionen Menschen wie Marlene und Almut gesagt haben, wir machen das und angepackt haben.“